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Vorstand

Mitglied des Vorstands

Dr. Thomas Kriedel

Diplom-Volkswirt

 

Vita
8. August 1949 geboren in Augsburg
1972-1979 Studium der Wirtschaftswissenschaften in Konstanz mit anschließender Promotion
ab 1979 Tätigkeit u.a. als Projektträger für Gesundheitsforschung
1981-1985 Referent in der Honorarabteilung der KBV
1985-1987 Vorstandsassistent der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL)
ab 1987 stellvertretender Hauptgeschäftsführer der KVWL
2002-2004 Hauptgeschäftsführer der KVWL
2005-2017 Vorstandsmitglied der KVWL (u.a. Geschäftsbereiche Personal, Finanzen,
Controlling und Informationstechnologie)
2017-2023 Mitglied des Vorstands der KBV
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Wohin steuert die ambulante Versorgung? Dr. Thomas Kriedel blickt zurück auf 40 Jahre KV-System

Sie waren 40 Jahre im KV-System tätig. Was hat sich in der Zeit verändert?

Dr. Thomas Kriedel, Mitglied des Vorstands der KBV: „Wenn ich 40 Jahre zurückblicke, dann hat sich natürlich viel geändert im gesellschaftlichen Umfeld, auch historisch. Es hat die Wiedervereinigung gegeben, wir haben fünf neue KVen dazubekommen, und auch das Problem des Arztmangels gab's damals gar nicht. Wenn ich mich zurückerinnere, gab es den Spruch vom Seehofer-Bauch, der damalige Gesundheitsminister hieß Seehofer, und sein Bauch wurde gekennzeichnet als ein Arzt-Überfluss. Es gab auch da eine Regelung, dass sich Ärzte niederlassen konnten, noch frei in einer gewissen Zeit. Spannend, da haben sich, glaube ich, 12.000 Ärzte zusätzlich niedergelassen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Heute sind wir in einer Phase des Arztzeitmangels, des Arztmangels. Und wir dürfen nicht vergessen, das ist mit der größte Effekt oder der größte, auch negative Effekt, dass die Möglichkeiten der Selbstverwaltung, der ärztlichen, der innerärztlichen, aber auch der gemeinsamen Selbstverwaltung deutlich zurückgefahren worden sind.“

Was muss sich denn in Zukunft ändern?

„Wir müssen aufpassen, dass das System der ambulanten Versorgung nicht kippt und damit das gesamte Gesundheitsversorgungssystem in Deutschland, und das liegt vor allem daran, dass die ambulante Versorgung das Rückgrat der Versorgung ist. Wir haben das gerade in der Pandemie sehr deutlich gesehen. Da haben die Krankenhäuser ja die schweren Fälle, die notwendig stationär aufgenommen werden mussten, versorgt. Das ist auch richtig so, und damit sie das tun konnten, hat das ambulante System, die niedergelassenen Ärzte haben ihnen den Rücken freigehalten und all die Fälle versorgt, die ambulant versorgt werden könnten, und das ist aus meiner Sicht auch das richtige Modell der Versorgung, auch der Zukunft, und leider ist das bisschen wieder nach Ende der Pandemie nicht mehr so deutlich gemacht worden. Ich glaube aber, dass in Zukunft auch die Krankenhausreform, Teile der Vorschläge der Kommission gehen in die Richtung, Teile, sage ich bewusst, und ich glaube, da ist es ganz wichtig, dass diese Arbeitsteilung auch vernünftig gestaltet wird, und dazu gehört auch, dass die Finanzierung nicht einseitig zulasten oder in dem Fall zugunsten der Krankenhäuser und zulasten der Niedergelassenen ausgestaltet wird. Das haben wir leider in den letzten Jahren häufiger gesehen, denn sonst besteht wirklich die Gefahr, dass die ambulante Versorgung kippt. Und niedergelassene Ärzte brauchen wir, aber wir brauchen auch Krankenhausärzte. Das System muss insgesamt attraktiv für den, ich sage mal, berufspolitischen Nachwuchs sein, und das ist meine große Sorge für die Zukunft.“

Was waren bei Amtsantritt Ihre Erwartungen an die Digitalisierung in der Arztpraxis 2023?

„Ich hätte mir vorgestellt, dass wir da viel weiter sind beziehungsweise noch nicht ganz so weit in vielen Dingen, hört sich paradox an, aber ich habe mir vorgestellt, dass wir Digitalisierung so gestalten, dass sie den Praxen, aber auch den Patienten viel mehr nutzt, und das würde bedeuten, dass man sich an den Bedürfnissen der Praxen und auch der Patienten orientiert und nicht umgekehrt Digitalisierung macht, wie sie jetzt aus meiner Sicht falsch gemacht worden ist: Zu schauen, wo haben wir technische Möglichkeiten, und dann suchen wir dafür die Anwendung. Nein, das ist falsch. Wir müssen es umgekehrt machen. Wo ist ein Bedarf, wo ist eine Chance, Prozesse in der ambulanten Medizin, darüber sprechen wir jetzt, besser zu gestalten, einfacher, schneller, auch qualitativ hochwertiger durch Digitalisierung, und das ist nicht passiert, und das hatte ich mir vor sechs Jahren so nicht vorstellen können, dass wir noch nicht so weit sind.“

Was war Ihre größte digitale Enttäuschung in diesen Jahren?

„Oh, da gab es viele, aber ich glaube, das größte Problem waren die Konnektoren und alles, was damit zusammenhing. Der Konnektor ist ja das Herzstück der bisherigen Netzbildung, der Telematikinfrastruktur. Es muss jede Praxis haben. Leider hat das Konzept dazu geführt wegen der hohen Sicherheitsanforderungen, dass wir spezielle Konnektoren nur für Deutschland produziert haben. Die Industrie kam nicht nach, es hat gedauert, es gab immer wieder Verzögerungen, die Politik hat gedrängt, uns aber Blockade vorgehalten. Also, Konnektoren war ein unerfreuliches Kapitel. Inzwischen sind die in der Praxis, müssen leider schon wieder ausgetauscht werden, was auch keine Freude macht. Und zusammen, all mit diesen Problemen war das wirklich nicht erfreulich, und wir haben uns leider auch, oder wir haben den Praxen, die Gematik und die Politik, Probleme gemacht. Sie mussten sich um den Anschluss von Konnektoren kümmern. Ich weiß nicht, ich habe vorher das nie gehört, dass man seriell und parallel anschließen muss. Das ist keine Aufgabe für eine niedergelassene Arztpraxis. Das machen Techniker, aber der Arzt war teilweise gefordert zu sagen, wie soll das passieren. Oder der Tiefpunkt war natürlich das Problem mit den elektrostatischen Aufladungen, die dazu geführt haben, dass teilweise beim Stecken von der elektronischen Gesundheitskarte, ein Lesegerät und damit das gesamte System in der Arztpraxis abgestürzt ist, weil es eine technische Aufladung gab. Und wir haben da, nicht wir, die Gematik hat den Ratschlag gegeben, dass man doch bitte in der Praxis das Gerät entladen soll, indem man, wenn man hat, einen Heizkörper anfasst, weil dann die Entladung passiert. Also, wir haben uns geweigert, diesen Ratschlag weiterzugeben, inzwischen ist das technisch gelöst, aber aber mit solchen Problemen hat man sich herumschlagen müssen, und ich kann verstehen, dass viele Arztpraxengesagt haben, wenn so eine Art der Digitalisierung auf uns zukommt, dann lassen wir es lieber sein und warten, bis es eine vernünftige gibt.“

Welche Rolle wird die Gematik zukünftig spielen?

„Die Gematik muss sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückziehen, das heißt aus meiner Sicht, ein Netz bauen, das ist es jetzt schon, aber diesen Netzbetrieb auch verantworten. Das muss autonom laufen. Es muss sichergestellt sein, dass es immer am Netz ist, redundant: 99,9 Prozent, 24/7. Das ist ganz wichtig, weil alle Arztpraxen inzwischen angeschlossen sind, und wenn das Netz ausfallen würde, für längere Zeit, würde ein Großteil der Versorgung stillstehen, zumindest der Übermittlung von Daten, auch von Verordnungen. Das ist sehr klar. Das muss auf jeden Fall sein, und die Gematik muss aus meiner Sicht auch die Standards setzen. Das tut sie jetzt auch und auch normieren, damit alle Geräte in Deutschland vernünftig miteinander sprechen können und kommunizieren können, technisch. Dabei würde ich mir aber auch einen starken Einfluss der Gesellschafter wünschen, weil es gibt immer verschiedene technische Möglichkeiten, und das sollte man mit den Gesellschaften abstimmen, welche dieser Möglichkeiten am besten für die verschiedenen Gesellschafter passen, und dann findet man einen Weg für alle, keine verschiedenen Lösungen, aber einen, der möglichst für alle gangbar ist. Das würde ich mir für die Zukunft wünschen, und vor allem, dass stärker auch auf die Belange der Praxis Rücksicht genommen wird, und da bin ich in den letzten Jahren und Monaten optimistischer geworden, dass die Gematik das auch erkannt hat.“

Welche Aufgabe hat das KV-System in Bezug auf die Gematik oder die Politik?

„Wir als KBV und als KV-System haben die Aufgabe, die Interessen unserer Mitglieder und der Praxen zusammenzufassen, zu bündeln und natürlich auch entsprechend mit entsprechender Verve in der Politik zu artikulieren und auch die Wünsche und Verbesserungsvorschläge umzusetzen. Das ist ganz wichtig, und dabei ist es auch wichtig, dass wir da nicht als Lobbyisten wahrgenommen werden nach dem Motto, die wollen blockieren, die wollen das nicht. Nein, es geht darum, praxisadäquate Lösungen zu finden, und das würde ich mir wünschen, dass das von Politik und Gematik auch wieder wahrgenommen wird, dass es unsere Aufgabe ist, auch in der gemeinsamen Selbstverwaltung. Sonst braucht man die ja nicht, wenn man nicht die Bedenken, Wünsche der Betroffenen zur Geltung kommen lässt, und da bin ich aber auch guter Dinge, dass das in Zukunft passieren wird, wobei man allerdings insgesamt die, wenn ich zurückschaue, die Bedeutung der Selbstverwaltung unbedingt wieder stärken muss, so wie sie früher war.“

Wie sehen Sie die Bedeutung der Selbstverwaltung?

„Also für mich ist die Selbstverwaltung, in dem Fall jetzt die ärztliche, aber auch die gemeinsame, der Schlüssel für unser erfolgreiches Gesundheitssystem. Das ist zwar relativ einmalig in der Welt, das heißt aber nicht, dass die anderen Systeme da etwa besser werden. Nein, ich glaube, wir haben da ein richtiges System für uns gefunden, und das Problem ist nur, dass die wahre Bedeutung der Selbstverwaltung nicht mehr da ist. Sie ist ausgehöhlt worden durch viele Einzel-Eingriffe des Staates. Das Grundprinzip ist eigentlich ganz einfach. Die Gesundheitsversorgung ist Teil der staatlichen Daseinsfürsorge, gar keine Frage, des Staates. Aber der Staat sollte den Rahmen setzen, die rechtlichen Rahmenbedingungen setzen, indem, in denen sich die gemeinsame Selbstverwaltung über die konkreten Dinge unterhält, ausgestaltet, was Finanzen, Qualitätssicherung und viele Versorgungsprobleme betrifft, austauscht. Und da wäre ich auch, bin ich auch ein Freund davon und auch im Rückblick auf meine 40 Jahre im KV-System. Wichtig ist auch, dass man regionale Lösungen finden kann. Nicht alles in Berlin muss dort zentralisiert werden und für das ganze Bundesgebiet gleich ausgerollt werden. Das sieht man auch im Föderalismus, warum haben wir einen Föderalismus, wenn man alles in Berlin zentral regeln könnte, und deshalb ein Plädoyer für die Selbstverwaltung, für die gemeinsame Selbstverwaltung und auch mehr Kompetenzen, die auch regional heruntergebrochen werden müssen.“

Was wird in den nächsten Jahren die größte Aufgabe der Selbstverwaltung sein?

„Das wird die Frage sein, wie kann man die Jungen, die nachfolgenden Ärztegenerationen für die Selbstverwaltung wieder, ich sage wirklich begeistern für die ärztliche. Warum lohnt es sich, einmal Vertragsarzt zu werden, und warum lohnt es sich dann, wenn man die Praxis etabliert hat, sich in der Selbstverwaltung zu engagieren? Das war für die älteren Generationen vielleicht keine Selbstverständlichkeit, aber es war klar, es war eine ärztliche Organisation, und meine Sorge ist, dass in Zukunft vielleicht viele Ärzte das KV-System wie eine Bürokratie wahrnehmen, zwar durch Selbstverwaltung gesteuert, aber auch eine Bürokratie. Nein, sie lebt davon, die Selbstverwaltung, dass sich viele Ärzte engagieren. In meiner Zeit in Westfalen, weiß ich noch, hatten wir über 600 Ärzte, die ehrenamtlich in den verschiedensten Ausschüssen tätig waren: Prüfungsausschüsse, Qualitätssicherungsausschüsse, Zulassungsausschlüsse. Es gibt noch viel mehr. Und das ist natürlich Tätigkeit, die man abends noch gemacht hat neben der Praxistätigkeit. Aber davon lebt die Selbstverwaltung. Damit war es möglich, dass in diesen Kommissionen Ärzte sitzen, die wissen, wovon sie geredet haben, die wissen, unter welchen Bedingungen versorgt worden ist, und wenn man dann sich Qualitätssicherungsprotokoll angeguckt hat, konnte es einschätzen, ist das in der Praxis machbar, ist das relevant, oder ist das ein Mangel, und der muss dann auch abgestellt werden im kollegialen Gespräch. Also, das ist für mich ganz wichtig, dass die junge Ärzte-Generation das wieder erkennt und dass es sich lohnt, dafür einzusetzen, dass man etwas bewegen kann. Und da komme ich zurück auf mein Plädoyer: Vorfahrt für die Selbstverwaltung. Wenn die KVen, wenn die KBV nicht die Kompetenz hat, etwas zu ändern, dann fragt man sich natürlich, was kann ich dem jungen Arzt sagen, engagier dich, wenn du doch mit deinem ganzen Engagement wenig ändern kannst, weil der Gesetzgeber kommt und sagt, ich habe eine andere Idee, und nicht auf uns und unsere Erfahrungen hört. Das wird die Herausforderung der Zukunft sein.“

Sechs Jahre KBV, mehr als 40 Jahre KV-System - KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel blickt kurz vor seinem Ruhestand auf seine Tätigkeit im Gesundheitswesen zurück. Was hat sich in all den Jahren - zum Positiven oder Negativen - geändert? Sieht er die ambulante Versorgung auf einem guten Weg? Wie wichtig ist heutzutage noch die Selbstverwaltung? Und wie steht es denn nun eigentlich um die Digitalisierung?