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Reform der Notfallversorgung

Reform der Notfallversorgung ist dringend geboten - jetziges System gilt als nicht effizient genug

Hierzu bedarf es einer intelligenten Weiterentwicklung bereits bestehender und funktionierender Strukturen ambulanter und stationärer Versorgung in Deutschland. Zudem gilt es, die Steuerung zu verbessern und dabei die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.

Licht und Schatten bei BMG-Eckpunkten

Was sagen Sie zu den vorgestellten Eckpunkten der Notfallreform?
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV: Ja, zum Ersten ist es erfreulich zu sehen, dass es zu dem bisher vorliegenden Papier eine deutliche Weiterentwicklung gegeben hat. Wir sehen in der neuen Vorlage Licht und Schatten. Einige Dinge sind adressiert, die für uns wichtig sind, andere sind nach wie vor als kritisch zu betrachten.

In welchen Punkten können Sie ihm zustimmen?

Zum einen ist an einer Stelle festgestellt worden, dass es zusätzlichen Finanzierungsbedarf und zwar struktureller Art gibt. Das ist essentiell wichtig und eine Voraussetzung, dass das funktionieren kann. Zum Zweiten wird das Thema der Bereitschaftsdienstpraxen zeitlich besser eingegrenzt auf realistischere Zeiten. Und es werden auch Möglichkeiten eröffnet, von diesen Zeiten abzuweichen, wenn es einfach zu wenig Bedarf an einem Standort gibt. Das ist ein zweiter wichtiger Punkt. Ein dritter positiver Punkt ist, dass durchaus länderübergreifend und sogar bundesweit die 116117 gefördert digital mit den Leitstellen vernetzt wird. Und ein ärztlicher Rufbereitschaftsdienst dahinter geschaltet werden kann, der aber eben nicht regional verortet sein muss, sodass man sehr gut dort Spitzenzeiten abpuffern kann. Auch das ist sicher eine richtige Entwicklung.

In den Eckpunkten ist auch von Patientensteuerung die Rede…

Das ist ein ebenfalls durchaus positiver Aspekt in den Eckpunkten, dass die Steuerung zum ersten Mal als notwendig adressiert wird. Sie ist vielleicht noch nicht konsequent zu Ende gedacht. Aber es ist ganz, ganz wichtig, dass im Bereich der Akut- und Bereitschaftsdienste und Notfallmedizin gesteuert wird, den Bürgerinnen und Bürgern Angebote gemacht werden, die intuitiv leiten. Denn alles für alle, jederzeit, das können wir nicht vorhalten.

Wo gibt es Änderungsbedarf?

Zum einen immer noch bei der Finanzierung. Das ist zwar jetzt zum ersten Mal adressiert, aber aus unserer Sicht noch nicht ausreichend. Zum Zweiten wird ein 24/7 fahrender, aufsuchender Notdienst gefordert. Den können wir nicht liefern. Der ist einfach personell, selbst wenn er bezahlt würde, nicht zu stemmen. Auch nicht mit dem dort genannten Ersatzpersonal, das es ja genauso wenig gibt. Das zweite ist, wir glauben, dass die ganze Notfallreform nicht ohne die Krankenhausreform geht. Denn wenn wir über INZs oder über gemeinsame Standorte sprechen, muss klar sein, wie viele und wo. Und es ist offensichtlich, dass nicht an allen jetzt bestehenden Krankenhäusern INZs möglich sind. Das ist auch personell in keinster Weise zu leisten und auch nicht notwendig. Sodass wir erst wissen müssen, welche Krankenhäuser bleiben denn überhaupt am Markt. Und an welchen Standorten kann und sollte dann über ein solches INZ oder eine Kooperation nachgedacht werden.

Wie unterscheiden sich die BMG-Eckpunkte vom Papier der Ärzteverbände?

Das Papier der Ärzteverbände sollte ja vor allem zum Ausdruck bringen, was diejenigen, die diese Dienste machen müssen, nämlich die Ärztinnen und Ärzte, fordern. Das sind Mindestanforderungen aus der ärztlichen Sicht. Das befasst sich weniger mit der administrativen Seite. Die Eckpunkte aus dem Ministerium befassen sich natürlich mit der administrativen, mit der organisatorischen Seite. Das wiederum ist Aufgabe der KVen. Und hier müssen die KVen maßgeblich gefragt werden, was ist leistbar.

Wie wird es mit der Notfallreform nun weitergehen?

Was die Zeitschiene angeht, kann ich dazu nichts Konkretes sagen. Das wird am Ministerium liegen. In welchem Gesetz dann die Entwürfe kommen, nochmal, wir glauben, dass zwingend die Krankenhausreform mitzudenken ist. Spätestens beim Thema INZ geht das eine nicht ohne das andere. Insofern ist für mich im Moment schwer abzuschätzen, wann dort die nächsten Schritte kommen werden.


KBV-Standpunkte

Auf einen Blick:

  • Steuerung der Patientinnen und Patienten: bewährte Strukturen stärken und ausbauen
  • Kooperation mit dem stationären Versorgungsbereich in den Fokus rücken
  • Kein dritter Versorgungssektor erforderlich
  • Keine Sozialversicherungspflicht für Niedergelassene im Bereitschaftsdienst

Im Detail:

Akut- und Notfallpatienten in die jeweils richtige Versorgungsebene begleiten

Menschen, die akut medizinische Hilfe benötigen, können selbst oftmals nicht angemessen einschätzen, wo sie diese Hilfe am einfachsten und passendsten finden. Sie benötigen hierbei Unterstützung: Der Notfallversorgung muss eine einheitliche Steuerung vorgeschaltet werden, die Akut- und Notfallpatienten in die für sie richtige Versorgungsebene navigiert – also in das Krankenhaus oder die ambulante Praxis.

Diese Steuerung sollte möglichst früh, ressourcenschonend und bundeseinheitlich erfolgen –  beispielsweise telefonisch, online und/oder mittels standardisierter Ersteinschätzung überall dort, wo Patientinnen und Patienten sich erstmalig mit ihrem gesundheitlichen Problem vorstellen.

Hierfür steht bereits seit 2012 die bundeseinheitliche Bereitschaftsdienstnummer 116117 über Telefon sowie mittlerweile auch über Website und App zur Verfügung – und das rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr.

Die Erfahrung zeigt, dass etwa 20 Prozent der Anrufenden schon mit einer telefonischen Beratung geholfen werden kann. Dies entlastet auch die ärztlichen Ressourcen vor Ort.

Die 116117 ordnet den jeweiligen Akutfall korrekt zu und navigiert Patientinnen und Patienten schnellstmöglich und ohne Umwege in die für sie anlassgerechte, ressourcenschonende Behandlungsebene.

Dabei kommen standardisierte und evaluierte Verfahren (SmED: Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland) zum Einsatz. 

Kooperation mit dem stationären Versorgungsbereich in den Fokus rücken

Eine einheitliche Regelung zur Erst- beziehungsweise Notfallversorgung an der Schnittstelle zum Krankenhaus (Notaufnahme) steht noch aus.

Soweit sich also ein ortsgebundener Ärztlicher Bereitschaftsdienst auf oder am Krankenhauscampus befindet, soll sich dessen Zuständigkeit ausschließlich auf die ambulante Akut- beziehungsweise Erstversorgung erstrecken. 

Die organisatorische und medizinische Gestaltung der klinischen Notaufnahme einschließlich Schockraum und so weiter bleiben in der Verantwortung des Krankenhauses.

Versorgungsbedingte Übergaben von Patientinnen und Patienten vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst an die klinische Versorgung erfolgen nach vorher kooperativ festgelegten Bedingungen insbesondere bezüglich der:

  • Übergabevoraussetzungen,
  • Übergabemodalitäten,
  • Übergabeprotokolle sowie
  • Zuständigkeitsabgrenzung.

Dies bezieht sich in solchen Kooperationsmodellen auch auf Vereinbarungen zum Personal sowie zur Technik – und zwar Letzteres nur im Umfang der ambulanten Akut- und Erstversorgung.

Die Vergütung erfolgt entsprechend aus dem jeweiligen ambulanten beziehungsweise stationären Budget.

Kein dritter Versorgungssektor erforderlich

Mit Hilfe von den geschilderten Kooperationsmöglichkeiten zwischen Bereitschaftsdienst und klinischer Notaufnahme wird die Bildung eines neuen Sektors unnötig. Weitere Schnittstellenprobleme werden vermieden. 

Notfallversorgung: Patienten besser steuern, im Zweifel auch mit einer Gebühr?

Warum ist eine Notfallreform so wichtig?

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV: „Also, es ist ja ein Thema der letzten Jahre immer wieder gewesen, dass wir erleben, dass insgesamt der Notdienst, ob es der ärztliche Bereitschaftsdienst ist oder die Notaufnahme in den Krankenhäusern nicht sachgerecht in Anspruch genommen werden. Das heißt, es gibt Klagen aus Krankenhäusern, vollgelaufene Notaufnahmen, Patienten, die sich beschweren, dass sie lange auf Notfallversorgung warten, und einer der Gründe ist sicherlich, dass ganz viele Menschen den ärztlichen Bereitschaftsdienst und die Notaufnahmen aufsuchen, eigentlich keine Notfälle im medizinischen Sinne sind. Und hier, glaube ich, muss eine bessere Steuerung her, da die Kapazitäten limitiert sind. Wir haben nicht unendlich Menschen, die diesen Dienst verrichten können. Das ist für die Vertragsärztinnen und -ärzte ja ein Dienst, den sie zusätzlich zu ihrer Praxistätigkeit verrichten, und insofern ist der leistbar für Menschen, die wirklich außerhalb der Sprechstundenzeit eine Behandlung brauchen, und natürlich für Unfälle, aber nicht für Befindlichkeitsstörungen oder für Dinge, die man am Tag einfach nicht erledigen konnte oder wollte.“

Wie können Patienten gesteuert werden?

„Also, wir wollen natürlich verhindern, dass Menschen, die ärztliche Hilfe brauchen, diese nicht bekommen, und auf der anderen Seite gibt es natürlich viele Bedarfe, die auch berechtigt sind, aber eben nicht im Notdienst abzufrühstücken sind, und von daher ist eine Patientensteuerung von Nöten, und das kann man zum Beispiel sehr gut mit einer standardisierten medizinischen Ersteinschätzung machen, die telefonisch oder über webbasierte Applikationen erfolgen. Gegebenenfalls können dann sogar Kolleginnen und Kollegen zugeschaltet werden, wenn die Probleme diffiziler werden, und damit klingt es sehr zuverlässig, besonders gravierende Krankheitsbilder oder gefährliche Krankheitsbilder rauszufiltern. Das wird in der Schweiz seit vielen Jahren praktiziert, und auch wir haben millionenfache Erfahrungen mit diesem SmED-System, und dann könnten die Patienten gemäß ihrer Ersteinschätzung die Empfehlung bekommen, beispielsweise in den nächsten Tagen ihre hausärztliche Praxis aufzusuchen, oder vielleicht sogar im anderen Extremfall, dass der Krankenwagen oder der Rettungswagen losgeschickt wird und sofortige medizinische Hilfe angefordert wird.“

Was haben Sie mit einer Notfallgebühr gemeint?

„Die Notfall-Gebühr löst ja reflexartige Reaktion auf, wie man immer wieder feststellen kann. Zum einen ging es natürlich gar nicht darum, jetzt Kassenpatienten da besonders zu beschweren, sondern es gilt für alle Menschen, die den Notdienst, sei es der ärztliche Bereitschaftsdienst oder die Krankenhaus-Ambulanz, ohne Notwendigkeit aufsuchen. Die Notwendigkeit würde durch die medizinische Ersteinschätzung dokumentiert, und alle, die sich sozusagen dieser Ersteinschätzung nicht widersetzen, aber sie ignorieren und trotzdem eben diesen Dienst in Anspruch nehmen, müssten eine Fehlinanspruchnahme-Gebühr entrichten. Die könnte auch völlig unbürokratisch im Rahmen der Abrechnung über die Krankenkassen abgerechnet werden, und die Krankenkassen könnten dann bei ihren Versicherten um die Einholung dieser Gebühr nachhalten. Das muss gar nicht von den Kolleginnen und Kollegen oder den entsprechenden notdienstleistenden Stellen geregelt werden.“

Sollen Menschen aus der Notfallversorgung ferngehalten werden?

„Also entscheidend ist natürlich, dass wir, dass es völlig unstrittig ist, dass die Menschen, die ärztliche Hilfe außerhalb der Sprechzeiten brauchen, für die gibt es den ärztlichen Bereitschaftsdienst und gibt es die Notaufnahmen. Aber die Kapazität ist halt endlich, und von daher müssen wir eine Situation schaffen, dass Bürger, die unsicher sind in medizinischen Fragestellungen eine Anlaufstelle bekommen, bei der sie entsprechende Informationen bekommen, und die Zuordnung in die richtige Versorgungsebene. Wenn das gewährleistet ist, dann, glaube ich, ist es auch zumutbar, dass Menschen, wenn sie dann sich dieser Empfehlung entziehen, mit einer Gebühr belastet werden. Es geht natürlich nicht darum, wirklich Kranke aus dem Notdienst fernzuhalten, denn für diese Menschen ist er ja etabliert worden, und jetzt wird man sicherlich in der Feinabstimmung schauen müssen, wo man hier entsprechende Tatbestände definiert. Sicherlich wird niemand Eltern, die mit ihren fiebernden Kindern unsicher sind, aus den ärztlichen Bereitschaftsdienst-Praxen fernhalten wollen. Aber ich denke, Rückenschmerzen, die seit drei Wochen bestehen, sind für jeden erkennbar kein Grund, abends ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.“

Was muss getan werden, um Patienten besser zu informieren?

„Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das ist keine originäre Aufgabe der Vertragsärzte. Da wird, glaube ich, auch der Sicherstellungsauftrag sehr weit interpretiert. Der ist in der Form, wie er mitunter politisch kommuniziert wird, nämlich, dass jeder alles zu jeder Zeit überall bekommen kann, schlicht nicht durchhaltbar. Und in dem Fall muss man einfach sagen, ist der Sicherstellungsauftrag nicht erfüllbar. Von daher muss er auf das normale Maß zurückgeführt werden. Der Paragraf 12 des SGB V sagt es relativ deutlich: wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig, und das ist eben weit davon entfernt Komfort-Behandlung 24/7 überall und für jeden, und das, glaube ich, ist zum einen mal eine wichtige Information, die auch politisch kommuniziert werden müsste, und dann muss natürlich eine solche Struktur vorgehalten werden. Die kostet Geld, die muss vorfinanziert werden, und die kann nicht von den Ärzten vorfinanziert werden, die ja schon mit dem Dienst beschwert sind. Dass die jetzt diesen Dienst noch selber finanzieren, ist ja zugegebenermaßen eine aberwitzige Konstruktion. Von daher ist das eine Daseinsfürsorge, die aus meiner Sicht durch Steuergelder finanziert werden müsste, wie man letztlich auch die Feuerwehr finanzieren muss, in der Hoffnung, dass sie nie rausfahren muss und das möglichst wenig brennt. Aber das ist eine Leistung, die muss einfach gestellt werden. Dann gibt es auch eine für alle verfügbare Informationsplattform, sei es über Telefon oder Web, und dann kann man den Menschen auch abverlangen, diese zu nutzen. Die Struktur muss natürlich vorher geschaffen werden.“

Welche Rolle spielt dabei die 116117?

„Die 116117 ist mittlerweile eine sehr bekannte Nummer, viel bekannter, als wir uns vor wenigen Jahren noch hätten träumen lassen. Da hat sicherlich die Corona-Pandemie einen positiven Effekt gab, weil sie von dem als Informationsnummer des Bundeskanzleramtes damals sogar genutzt wurde, und insofern kennen mittlerweile sehr viele Menschen die 116117, und das ist ja dann auch die richtige Nummer und die richtige Anlaufstelle für Beschwerden, die nicht den klassischen medizinischen Notfall mit Lebensgefahr oder schwerer körperlicher Versehrtheit definieren. Also, wir reden ja nicht von Unfällen, Schlaganfällen, Herzinfakten. Das sind klassische Dinge, wo auch mal der Krankenwagen raus muss oder der Notarzt. Aber viele der Punkte, die in den Notaufnahmen und in den ärztlichen Bereitschaftsdienst-Praxen aufschlagen, sind ja Bagatellerkrankungen oder eher medizinische Fragestellungen.“

Was muss aus KBV-Sicht jetzt unbedingt getan werden?

„Also, zunächst müsste es mal einen Konsens darüber geben, was ist denn wirklich notwendig in der Notfallversorgung, und gibt es die Überlastung. Ich bin mitunter erstaunt, dass es jetzt etliche Krankenhäuser gibt, na ja, das ist alles gar nicht so schlimm, und wir brauchen da gar nichts regeln, weil wir doch uns daran gewöhnt haben, dass wir praktisch jeden Monat aus den Krankenhäusern Wasserstandsmeldungen haben, wie fürchterlich die Notaufnahmen überlaufen sind, was sich offen gestanden in dem Patientenzahlen nicht wirklich abbilden lässt. Denn wir wissen, dass sicherlich in Großstadtzentren Notaufnahmen stark frequentiert werden. Über die Republik gezogen ist die durchschnittliche Frequenz aber bei zwischen 0,5 und einem Patienten pro Stunde. Es wäre halt jetzt erst mal zu klären, ist es ein Problem für die Krankenhäuser oder nicht? Sollte es tatsächlich gar kein Problem sein, dann gibt es natürlich keinen Handlungsbedarf. Dann könnten die Krankenhäuser ja ohne weitere Probleme diesen Notdienst auch leisten. Ist es ein Problem, und so habe ich es bisher verstanden, dann sollte man nach einer gemeinsamen Lösung suchen.“

Wie zuversichtlich sind Sie da?

„Na ja, ich glaube, dass es einfach eine normative Kraft des Faktischen gibt. Also, wenn es ein Problem gibt, dann wird man das lösen müssen, weil es sonst perspektivisch halt Versorgungslücken gibt und eine Situation, wie wir sie in Berlin im letzten Jahr hatten, das an mehreren Tagen tatsächlich die Feuerwehr melden musste, wir haben aktuell keine Fahrzeuge zur Verfügung. Das heißt übersetzt: Ein schwerer Autounfall und die Feuerwehr ist nicht in der Lage, da Krankenwagen hin zu senden, ist in meinen Augen eine dramatische Entwicklung, die auch nicht akzeptabel ist. Und von daher finde ich es auch leichtfertig, so zu tun, als gäbe es gar kein Problem, denn die Menschen, die wirklich den ärztlichen Notdienst brauchen, sind letztlich die, die leidtragend sind, wenn dieser Notdienst durch Bagatellerkrankungen blockiert ist.“

Die Notfallversorgung muss reformiert werden. Ein Kernelement: eine bessere Patientensteuerung. KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen hatte dazu sogar eine Notfall-Gebühr vorgeschlagen. Was er damit konkret meint und was die nächsten Schritte hin zu einer dauerhaft funktionierenden Notfallversorgung sein müssen, erläutert er im Video.

Patientenströme müssen besser gesteuert werden

Warum ist eine Notfallreform notwendig?

Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV:
Ja, es gilt angesichts der knappen Personalressourcen einfach, diese zu bündeln und sicherzustellen, dass die Menschen ebenengerecht so versorgt werden, dass sie a) gut versorgt sind, dass b) aber nicht Ressourcen verwendet werden, die man einfach für den Grad der Versorgung nicht bräuchte.

Was müssen die Ziele sein?

Die Ziele müssen sein, dass wir die Bürgerinnen und Bürger sehr nah sozusagen aufnehmen. Am besten telefonisch vorab und vorsortieren, wer braucht eigentlich welche Zuwendung. Wir wissen aus dem Notdienst, dass fast die Mehrheit der Fälle eigentlich leichte Fälle sind. Es geht zum Teil um verlorene Medikamente, verlorene Rezepte oder um wirklich Kleinigkeiten. Und das müssen wir abschichten, um dann für diejenigen, die tatsächlich zum Beispiel intensive Betreuung brauchen, weitere Diagnostik oder ärztliche Zuwendung brauchen, dann auch für die wirklich da zu sein.

Was schlägt die KBV vor?

Zum einen schlagen wir vor oder empfehlen wir dringend, dass wir die bestehenden Notfallstrukturen, die zum Teil ja hervorragend sind, nicht zerschlagen. Also dass auf gar keinen Fall alles neu am grünen Brett gemacht wird, sondern wir definitiv sagen, es gibt Erfolgsmodelle und hervorragend funktionierende Akutversorgung überall schon. Das muss verbessert, ausgebaut, standardisiert werden, zum Beispiel, also einheitliche Einschätzungstools sollten erprobt und dann auch eingeführt werden. Die Digitalisierung bietet eine Chance und dann die Zusammenarbeit auch mit den Krankenhäusern optimieren, ausbauen, wo das möglich ist.

In welchen Punkten besteht Konsens mit den Konzepten von DKG und Notfallmedizinern?

Ja, vielleicht nur bei den ganz grundsätzlichen Stichpunkten, nämlich, es muss etwas getan werden und wir müssen die Ressourcen, die wir haben, vernünftig einsetzen. Es gibt aber einen scheinbaren Grunddissens. Die Kliniker denken sehr oft immer noch wirklich vom vom Notfall her, also aus der Notfallmedizin, über die wir gar nicht reden. Für uns ist sonnenklar, dass die Versorgung von akut Schwerstverletzten, von Herzinfarkten, Schlaganfällen, also von allem, was mit Tatütata, mit Hubschrauber und Blaulicht ins Krankenhaus kommt, was liegend kommt, ist überhaupt nicht unser Aufgabengebiet hier. Für uns geht es um die Fußgänger, sage ich jetzt mal bewusst, um diejenigen, die zu Fuß, entweder mit ihrem Kind oder selber sich irgendwo vorstellen mit einem medizinischen Problem. Und da ist ein Grunddissens, denn das sind Menschen, die nicht so schwer krank sind und auch keine so hochgerüstete Versorgung brauchen. Die müssen anders wahrgenommen werden. Da liegt der Grunddissens. Der zweite Grunddissens liegt in der Frequenz, also wo überall können wir das machen. Die Krankenhäuser schlagen vor, an allen Krankenhäusern, die teilnehmen. Das sind viel zu viele. Wir haben jetzt bereits an 700 Krankenhäusern solche Standorte, wo auch die ambulante Versorgung, also die KVen, mit Notfallpraxen tätig sind. Das kann man vielleicht noch an zwei, drei Stellen verbessern, verändern. Da kann man baulich noch Dinge verändern. Wir haben oft zwei Eingänge, die sind auf zwei Etagen, die sind in zwei verschiedenen Gebäuden. Da kann man sicher nacharbeiten, sollte man auch nacharbeiten, das ideal zu vereinen. Es werden Patienten zweimal aufgenommen, auch unsinnig. Sie müssen am Schalter A aufgenommen werden, am Schalter B. Einheitliche Verfahren, standardisieren. Da gibt es viel, aber das geht nicht 1.200 Mal in Deutschland oder noch öfter.

Die Krankenhäuser wollen sich an den Patientenströmen orientieren…

Das halten wir für einen gefährlichen Weg. Denn der Patient ist natürlich in der Regel der schlechtest qualifizierte, um zu entscheiden, in welcher Ebene er am besten versorgt ist. Und so wie wir auch in anderen Lebensbereichen Regeln haben, nach denen wir uns richten müssen, im Straßenverkehr, wo es auch nicht geht, dass jeder macht, was er will. Und dann werden Straßen so gebaut oder Verkehrszeichen so geändert, wie die Leute fahren möchten, sondern es wird gesagt, vor einer Schule muss eben 30 gefahren werden. So ist es hier auch. Wir müssen Angebote machen, wir müssen die Menschen früh abholen, am besten telefonisch. Dann muss sich der Mensch erst mal gar nicht bewegen, sondern kann erstmal sogar auf dem eigenen Sofa behandelt werden. Wir wissen aus den Erfahrungen auch aus dem Ausland, dass da dabei schon fast 20 Prozent der Betroffenen zufriedenstellend versorgt werden, aus deren Sicht. Ein Fünftel, das ist eine Menge. Und insofern sagen wir, wir müssen Ströme steuern. Und wir dürfen auf gar keinen Fall auch nur den Eindruck erwecken, dass wir ein zweites ambulantes Anlaufsystem für die primär-ärztliche Versorgung machen, wo man 24/7 einfach hinlatscht und versorgt wird. Das ist ein fataler Eindruck. Das ist in den Großstädten teilweise schon passiert, indem Krankenhäuser in den U-Bahnen und S-Bahnen Werbung für ihre Ambulanzen gemacht haben, für ihre Notfall-Ambulanzen, und entsprechend höher frequentiert wurden. Dieser Eindruck eines weiteren Versorgungssystems darf schon deshalb nicht entstehen, weil ja insgesamt von diesen akuten ambulanten Notfällen überhaupt nur etwas über 4 Millionen pro Jahr zu nennen sind. Und wir haben mit gleichen ICDs, also mit gleichen Krankheitskodizes, über 200 Millionen solcher Fälle in den Praxen. Daran wird klar an diesem Zahlenverhältnis, wie ungeheuer groß und schadhaft das Potenzial ist, wenn es den Anschein erweckt, als könnten diese Menschen woanders jetzt Versorgung finden. Das wäre eine unglaubliche Umsteuerung, Fehlsteuerungen möglich. Das heißt, das ist ein erhebliches Risiko und das sollten wir sehr gut im Auge haben und auf keinen Fall in diese Richtung gehen.

Welche Rolle spielen die Niedergelassenen bei der Reform?

Ein Streit, der im Moment geführt wird, auch seitens der Krankenhäuser ist zu welcher Uhrzeit, übernimmt wer, wann welche Versorgung. Und da sind wir sehr leidenschaftslos, weil wir sagen, es kommt auch auf die Anzahl derjenigen an, die da kommen, und das sind in ganz Deutschland 2,2 Millionen, die während der Sprechstundenzeiten kommen, also furchtbar wenig Patienten, über die die Krankenhäuser laut klagen. Das heißt also, für diese relativ wenigen Patienten aus Sicht des ambulanten Systems muss geschaut werden, wie können wir die versorgen. Da ist die 116117 vorne dran. Da ist eine gute Triage ganz wichtig, um abzusortieren. Und dann bleibt übrig die Frage, sind es jetzt 0,3 Patienten pro Stunde. Dann kann man keinen eigenen Arzt da hinsetzen. Dann muss das nebenher mitgemacht werden, weil es einfach für den Aufwand in keiner Form leistbar ist, dort einen Arzt oder auch nur eine Fachschwester hinzusetzen. Sind es mehr an bestimmten Standorten, muss man es anders machen. Das gleiche gilt für die Uhrzeit. Das ist nicht dogmatisch zwischen 8 und 18 Uhr, sondern man muss sich wirklich die Region, den Standort anschauen und dann schauen, ist dort ab 6 Uhr, ab 7 Uhr, ab 8 Uhr, wann ist da was los und wann muss wie reagiert werden. Und das muss zwischen Krankenhäusern und KV abgeschichtet werden. Und tagsüber gibt es sicher ein enormes Potenzial, auch Praxen zu nutzen, wenn es gelingt, digital in Echtzeit und nachvollziehbar zuverlässig zu klären, wer kann einen solchen Patienten aufnehmen. Wenn das 2 bis 3 am Tag sind, dann wird es sicher Fachärzte geben, Orthopäden, Dermatologen, HNO-Ärzte, wer auch immer, Internisten, die solche Patienten ohne Weiteres in ihren Praxen mitversorgen können. Auch daran wird gearbeitet. Auch das wäre ein Modul, ein Mosaik, was funktionieren kann.

Wie wird es nun weitergehen?

Es gibt zum einen im G-BA den gesetzlichen Auftrag, ein solches Ersteinschätzungsverfahren zu etablieren. Da gibt es einen großen Streit. Die Krankenhäuser möchten das auf gar keinen Fall, wollen jetzt lieber auf die große Reform warten. Und wir sagen umgekehrt: Erstens, was ist denn eine große Reform? Und warum wollen wir auf die warten? Wir brauchen ein Ersteinschätzungsverfahren, das ist unstrittig. Wir haben eines vorgeschlagen und sind auch in der Erprobung. Und für uns wäre es sinnvoll, dass der G-BA entscheidet, dass dieses System, vielleicht noch ein weiteres, jetzt großflächig erprobt wird, um dann in zwei Jahren sagen zu können, das funktioniert und wird jetzt ein Bestandteil der großen Notdienstreform. Es ist also keinesfalls sinnvoll, jetzt nichts zu tun und zu warten, sondern wir brauchen ein Ersteinschätzungsverfahren, idealerweise bundesweit standardisiert, beginnend am Telefon, aber auch nutzbar am Tresen, in der KV-Praxis, eben in der Klinik, Fußgänger-Ambulanz. Und daran müssten wir jetzt arbeiten. Das ist, glaube ich, der entscheidende erste Schritt.

Wie hat sich die Notfallversorgung entwickelt und was hat die KBV gefordert?

2023

Veranstaltung: KBV-Sicherstellungskongress 2023 - Zukunft der Akutversorgung (13.10.2023)

2022

Pressemitteilung: Dr. Gassen kommentiert das Positionspapier von Marburger Bund (MB) und der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA). (09.06.2022)

2021

Stellungnahme der KBV zu Anträgen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen (03.06.2021)
Hintergrundartikel: Bewährte Strukturen als Basis zur Reform der Notfallversorgung (08.07.2021)
Veranstaltung: Kooperationstagung 116117 | 112 - Gemeinsam mehr für Patienten (20.09.2021)

2020

Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung (06.02.2020)
Veranstaltung: Neuordnung der Akut- und Notfallversorgung an Krankenhäusern - Miteinander oder gegeneinander? (26.02.2020)

2019

Notfallversorgung: KBV und MB präsentieren neue Vorschläge – Schulterschluss der Ärzteschaft

21.06.2019 | Niedergelassene und Krankenhausärzte haben ein gemeinsames Konzept für die künftige Notfallversorgung ausgearbeitet. Kernelemente sind eine gezielte Steuerung akut hilfebedürftiger Patienten sowie Gütekriterien für die medizinische Ersteinschätzung.

Dokumente zum Download

Eine Gemeinsame Anlaufstelle für die Akut-und Notfallversorgung in Deutschland (Stand: 21.06.2019, PDF, 478 KB)

Gütekriterien für ein Instrument zur standardisierten Ersteinschätzung von Notfallpatienten (Stand: 21.06.2019, PDF, 692 KB)

Statement Dr. Andreas Gassen zum Thema Intersektorale Zusammenarbeit: Gütekriterien zur Reform der Notfallversorgung (Stand: 21.06.2019, PDF, 349 KB)

Statement Dr. Stephan Hofmeister zum Thema Intersektorale Zusammenarbeit: Gütekriterien zur Reform der Notfallversorgung (Stand: 21.06.2019, PDF, 352 KB)

Statement von Dr. Susanne Johna, Marburger Bund (Stand: 21.06.2019, PDF, 164 KB)

Statement von Rudolf Henke, Marburger Bund (Stand: 21.06.2019, PDF, 101 KB)

PraxisNachricht

Resolution zur Notfallversorgung verabschiedet (19.09.2019)

2018

Gassen: Wir brauchen keine „dritte Säule“ für die Notfallversorgung

14.03.2018 | Bei einer Fachtagung zur Reform der Notfallversorgung erläuterte KBV-Chef Gassen das Konzept einer gemeinsamen Organisation von Vertrags- und Klinikärzten.

Gutachten zur Notfallversorgung in Deutschland

19.04.2018 | Es reichen bundesweit 736 Notfallzentren aus, um die Bevölkerung im Notfall optimal zu versorgen. Das ergab ein Gutachten, das im Auftrag der KBV erstellt wurde. Portalpraxen seien sinnvoll, aber nicht an jeder Klinik, folgerte KBV-Vorstand Gassen.

Gutachten zur Notfallversorgung in Deutschland (Stand: 19.04.2018, PDF, 2.2 MB)

Präsentation zum Gutachten "Notfallversorgung in Deutschland (Stand: 19.04.2018, PDF, 1.4 MB)

Neue Software hilft bei der Einstufung von Notfällen

25.06.2018 | Ein Anruf beim ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116117 schafft Klarheit für Patienten mit akuten Beschwerden. Anhand von konkreten Fragen ermöglicht die Software eine sichere Empfehlung zum Besuch einer Bereitschaftspraxis oder einer Notfallaufnahme.

2017

Eckpunkte der KBV und der KVen zur Weiterentwicklung der ambulanten Notfallversorgung (29.03.2017)
Konzeptpapier von KBV und Marburger Bund (18.09.2017)
Zi-Studie zeigt Reformbedarf bei Notfallversorgung auf (30.11.2017)