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Veranstaltungen

Vielfalt in der Praxis – Migration und Gesundheit

Fachtagung in Berlin, 13. November 2017

Migration hat Einfluss auf alle Lebensbereiche und bringt auch für den Alltag in der ambulanten Versorgung besondere Herausforderungen mit sich, wie Sprachbarrieren und unterschiedliche kulturelle und religiöse Sichtweisen.

Damit Ärzte und Psychotherapeuten diesen Herausforderungen noch besser begegnen können, hat die KBV am 13. November 2017 eine Fachtagung mit dem Titel „Vielfalt in der Praxis - Migration und Gesundheit“ veranstaltet. 80 Besucher haben an der Veranstaltung teilgenommen, Experten angehört und sich über ihre Erfahrungen in der interkulturellen Kommunikation ausgetauscht.

 

Programm

Programm

10:00 Uhr  Begrüßung und Einführung in das Thema
Dr. med. Stephan Hofmeister, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV
10:10 Uhr

Vorträge

  • Vielfalt in der medizinischen Versorgung aus ethischer Sicht – Worauf kommt es an?
    Prof. Dr. (TR) Dr. phil. et med. habil. Ilhan Ilkilic, Director Institute for Health Sciences of the Istanbul University, Mitglied im Deutschen Ethikrat
  • Vielfalt in der medizinischen Versorgung aus epidemiologischer Sicht
    Prof. Dr. med. Oliver Razum, Dekan der Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Leiter der Abt. Epidemiologie & International Public Health, Universität Bielefeld
  • Vielfalt in der medizinischen Versorgung: Erfahrungen aus der kirchlichen Arbeit
    Dagmar Apel, Landeskirchliche Pfarrerin für Migration und Integration in Berlin
11:10 Uhr Kaffeepause
11:25 Uhr

Berichte aus der Praxis

  • Vielfalt in der psychotherapeutischen Versorgung
    Dr. Hatice Kadem, niedergelassene Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Berlin
  • Beratungsperspektive für Menschen mit Migrationshintergrund
    Thorben Krumwiede, Geschäftsführer der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD), Berlin
  • Erfahrungen zu Migration und Gesundheit im sektorenübergreifenden Netzwerk „Gesundheit für Billstedt/Horn“
    Dr. med. Gerd Fass, 1. Vorsitzender Ärztenetz Billstedt/Horn e.V., Hamburg
  • Altern und Pflege im Generationenwandel nach der Migration aus der Sicht eines Angehörigen
    Halil Can, Gastdozent an der Alice Salomon Hochschule Berlin
12:10 Uhr Round-Table mit allen Referenten
13:00 Uhr Mittagspause
14:00 Uhr Parallele Arbeitsgruppen
  Qualitätszirkel „Kultursensibilität in der Patientenversorgung“
Konkrete Anregungen, Tipps und Hilfen für die eigene Praxis: Qualitätszirkel (QZ) bieten Ärzten und Psychotherapeuten die Möglichkeit, sich mit Kollegen fachlich auszutauschen. Die Teilnehmer können an der Simulation eines QZ mitwirken, das QZ-Modul kennenlernen und ihre eigenen Erfahrungen zum Thema einbringen.

Alicia Navarro Ureña, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Qualitätszirkel-Tutorin, Berlin

Moderation: Ingrid Quasdorf, KBV
Workshop „Psychotherapie mit Menschen aus anderen Kulturen und Flüchtlingen“
Die Wahrnehmung von Krankheit und damit auch die der Behandlung als Weg zur Heilung sind kulturell geprägt. Kenntnisse der spezifischen Auffassungen der Patienten können über den Erfolg in der Psychotherapie entscheiden. Nach dem Impulsreferat besteht die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und für Fragen.

Michaela M. Müller, Diplom-Psychologin, niedergelassene Psychotherapeutin, München

Cluse Krings, Sozial-Anthropologe, München

Moderation: Dr. Susanne Armbruster, KBV
 15:30 Uhr  Abschluss mit Get-together

Moderation: Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann, Deutsches Ärzteblatt






  • Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV: "Migration ist, seit es Menschen gibt, eine Triebfeder für Veränderung." (Foto: KBV / Nicolas Ebert)

    Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV: "Migration ist, seit es Menschen gibt, eine Triebfeder für Veränderung." (Foto: KBV / Nicolas Ebert)

  • Dr. Hatice Kadem, Fachärztin für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, im Gespräch mit Veranstaltungs-Moderatorin Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann. (Foto: KBV / Nicolas Ebert)

    Dr. Hatice Kadem, Fachärztin für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, im Gespräch mit Veranstaltungs-Moderatorin Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann. (Foto: KBV / Nicolas Ebert)

  • Prof. Dr. Dr. med. Ilhan Ilkilic: "Es gibt über 18 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Das sind mehr als 20 Prozent der Bevölkerung." (Foto: KBV / Nicolas Ebert)

    Prof. Dr. Dr. med. Ilhan Ilkilic: "Es gibt über 18 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Das sind mehr als 20 Prozent der Bevölkerung." (Foto: KBV / Nicolas Ebert)

  • Von Links: Dagmar Apel, Prof. Dr. med. Oliver Razum, Prof. Dr. Dr. med. Ilhan Ilkilic, Dr. Hatice Kadem, Thorben Krumweide, Halil Can, Dr. med. Gerd Fass, Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann (Foto: KBV / Nicolas Ebert)

    Von Links: Dagmar Apel, Prof. Dr. med. Oliver Razum, Prof. Dr. Dr. med. Ilhan Ilkilic, Dr. Hatice Kadem, Thorben Krumweide, Halil Can, Dr. med. Gerd Fass, Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann (Foto: KBV / Nicolas Ebert)

Vom Verständnis gemeinsamer Zeichen


Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, eröffnete die Tagung mit einem kurzen Grußwort. Er bezeichnete Migration als „Triebfieder für Veränderung, seit es Menschen gibt.“

Dabei gab der KBV-Vize im Hinblick auf die Flüchtlingssituation in Deutschland auch zu bedenken, dass Migration und Flucht zwei unterschiedliche Dinge seien, die sich jedoch „nicht selten überschneiden.“ Diese Überschneidung bringe ein erhöhtes Potenzial an Morbidität mit sich, sowohl somatisch als auch psychisch. Bei der Behandlung von Migranten sei die Arzt-Patienten-Beziehung beeinflusst von unterschiedlichen Wahrnehmungen sozialer Normen.

 „Ohne Verständnis gemeinsamer Zeichen ist eine sichere Arzt-Patienten-Beziehung nicht möglich“, betonte Hofmeister. Er wies außerdem auf die neue PraxisWissen-Broschüre „Vielfalt in der Praxis“ hin, die die KBV im Rahmen ihres Engagements für die Allianz für Gesundheitskompetenz herausgegeben hat.

″Ohne Verständnis gemeinsamer Zeichen ist eine sichere Arzt-Patienten-Beziehung nicht möglich.″ Dr. Stephan Hofmeister

Drei Perspektiven zur Migration


Die Tagung gab ihren Besuchern Gelegenheit, das Thema Vielfalt aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten: Aus ethischer, epidemiologischer und religiöser Sicht.

Die ethische Perspektive lieferte Prof. Dr. Dr. med. Ilhan Ilkilic, Mitglied im Deutschen Ethikrat und Direktor des „Institute for Health Sciences“ an der Universität von Istanbul. Zu seinen zentralen Thesen gehörte, dass die ethnische Rechtfertigung ärztlichen Handelns immer vom Wohlbefinden des Patienten abhängt. Der Schlüssel hierzu sei die gelungene Kommunikation mit dem Patienten als Einzelschicksal. „Jeder Patient ist als Individuum zu behandeln und nicht als Mitglied seiner religiösen Gruppe“, erklärte er.


Für den epidemiologischen Blickwinkel war Prof. Dr. med. Oliver Razum, Leiter der Abteilung Epidemiologie & International Public Health, Uni Bielefeld, zuständig. Er betonte, dass Migranten nicht zwangsläufig besonders oft oder schwer krank seien. Es gebe in der Praxis auch besonders gesunde Zuwanderer, da es oftmals sehr widerstandsfähige und mutige Menschen seien, die migrieren.


Dagmar Apel, Landeskrichliche Pfarrerin für Migration und Integration in Berlin, berichtete von ihren Erfahrungen mit Geflüchteten aus der kirchlichen Sicht. Apel dankte den Ärzten und Psychologen, die ehrenamtlich für ihr kirchliches Flüchtlingsprojekt arbeiten. „Wir wollen erreichen, dass der Mensch ein selbstbestimmtes Leben führen kann“, erklärte sie. Aus ihrer Sicht seien Zeit und Sicherheit die wichtigsten Bestandteile der Behandlung.

″Jeder Patient ist als Individuum zu betrachten und nicht als Mitglied seiner religiösen Gruppe.″ Prof. Dr. Dr. med. Ilhan Ilkilic

Berichte aus der Praxis: Integration im ambulanten Kontext


Ergänzend lieferten weitere Redner konkrete Beispiele aus ihrer eigenen medizinischen und psychologischen Praxis.

So sprach die türkischstämmige Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr. Hatice Kadem über Vielfalt in der psychotherapeutischen Versorgung. Ihre Arbeit erfordere viel Geduld, sie müsse oft denselben Patienten „ immer wieder dieselben Dinge sagen“, da sich die orientalische Kultur im Gegensatz zur Deutschen nicht so sehr auf Schriftstücke konzentriert, sondern eher auf mündlicher Überlieferung beruht.

Broschüren und Flyer mit Patienteninformationen seien zwar nützlich und gut, würden aber oftmals nicht gelesen. Seit mehreren Jahren fordert sie gemeinsam mit Kollegen, für die bessere Kommunikation mit Migranten einen Dolmetscherpool.

″Die deutsche Sprache ist die Sprache der Bürokratie und der Schriftstücke. In den orientalischen Kulturen wird viel mehr mündlich kommuniziert.″ Dr. Hatice Kadem

Vertrauen schaffen



Thorben Krumwiede, Geschäftsführer der unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD), erläuterte die Beratungsperspektive für Menschen mit Migrationshintergrund. Seit 2011 bietet die UPD Beratungen in russischer, arabischer und türkischer Sprache an. Eine besondere Herausforderung sei es dabei, Vertrauen zwischen dem Beratenden und dem Patienten zu schaffen.

Von interkulturellen Erfahrungen aus dem sektorenübergreifenden Netzwerk „Gesundheit für Billstedt/Horn“ berichtete Dr. med. Gerd Fass.

Im „Gesundheitskiosk“ des von Menschen mit Migrationshintergrund besonders geprägten Viertels in Hamburg-Billstedt wird die ärztliche Behandlung unterstützt durch mehrsprachiges Personal wie Krankenschwestern und Physiotherapeuten, die sich besonders viel Zeit für die Patienten nehmen.

 Das Modellprojekt habe bereits 500 zufriedene Patienten begleitet.

Soziale Netze bündeln


Zu guter Letzt sprach Halil Can, Gastdozent an der Alice Salomon Hochschule Berlin, über das Altern und die Pflege von Menschen mit Migrationshintergrund aus Sicht eines Angehörigen.

Um die Situation alternder Migranten zu verbessern, sei seines Erachtens wichtig, vorhandene soziale Netze vor Ort zu bündeln. Man könne zum Beispiel mit ausgebildeten Stadtteil-Coaches die Familien bei schwierigen Übergangsphasen unterstützen.

″Wir müssen aus dem Schubladendenken herauskommen.″ Dr. Bernhard Gibis

Abschluss-Diskussion: „Wir müssen das Individuum sehen und nicht den Kulturkreis“


Zum Abschluss der Tagung diskutierten alle Redner über die Zukunftsperspektiven der Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei waren sie sich darüber einig, dass Ärzte und Patienten sehr viel miteinander reden müssen sowie auf gegenseitiges Verständnis und Respekt achten sollten.

Dr. Bernhard Gibis, Leiter des Geschäftsbereiches Sicherstellung und Versorgungsstrukuren der KBV, erklärte: „Wir stellen fest, dass wir in der pauschalierten Vergütung, die sich an der Mehrheit ausrichtet, keinen Platz für Diversität haben. Außerdem betonte Gibis: „Wir müssen aus dem Schubladendenken herauskommen und das Individuum sehen, nicht seinen Kulturkreis“.

Nach der Mittagspause hatten Tagungsbesucher die Möglichkeit, zwei parallel laufende Workshops zum Thema zu besuchen. Sie konnten sich entscheiden zwischen der Veranstaltung „Qualitätszirkel – Kultursensibilität in der Patientenversorgung“ und dem Workshop „Psychotherapie mit Menschen aus anderen Kulturen und Flüchtlingen.“