Außerklinische Intensivpflege wird ausgebaut - Übersicht für Praxen
02.12.2021 - Die außerklinische Intensivpflege von Versicherten, die beispielsweise beatmet oder tracheotomiert sind, wird neu geregelt. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat dazu eine eigene Richtlinie beschlossen. Die Neuerungen gelten ab 2023. Für die ärztliche Verordnung wird es dann ein neues Formular geben.
Mit der Richtlinie zur außerklinischen Intensivpflege setzt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einen gesetzlichen Auftrag aus dem Intensivpflege‐ und Rehabilitationsstärkungsgesetz um (§ 37c SGB V „Außerklinische Intensivpflege“). Ziel ist es, die medizinische Versorgung der Betroffenen zu verbessern, Beatmungsentwöhnungs‐ beziehungsweise Dekanülierungspotenzial auszuschöpfen und Fehlanreize in der außerklinischen Intensivpflege zu beseitigen.
Tausende werden beatmet
Bundesweit werden laut G-BA mehrere tausend Menschen außerhalb von Krankenhäusern intensiv betreut, die meisten davon beatmet. Statistiken der Krankenkassen wiesen allein für 2019 über 22.000 Fälle aus. Beatmete und ähnlich Schwerstkranke werden bisher entsprechend der Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege versorgt (HKP-Richtlinie). Dort wird diese Leistung herausgelöst und als eigenständige Leistung entsprechend der neuen Richtlinie geregelt. Den Beschluss dazu hat der G-BA am 19. November gefasst.
In der neuen Richtlinie ist unter anderem geregelt, in welchen Fällen diese Leistungen ärztlich verordnet werden dürfen, wann im Vorfeld einer Verordnung eine sogenannte Potenzialerhebung durchgeführt werden muss und welche ärztliche Qualifikation benötigt wird. Die KBV hat die Neuerungen, die zum 1. Januar 2023 gelten sollen, in einer Übersicht zusammengestellt (siehe unten).
Neues Formular und Übergangsregelung
Für die vertragsärztlichen Praxen soll es ab Januar 2023 ein neues Formular geben, auf dem sie die außerklinische Intensivpflege verordnen.
Außerdem ist eine Übergangsregelung vorgesehen: Verordnungen von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege, die vor Januar 2023 nach den Regelungen der HKP‐Richtlinie ausgestellt werden, gelten grundsätzlich über den 1. Januar 2023 hinaus weiter. Sie verlieren jedoch spätestens ab dem 31. Oktober 2023 ihre Gültigkeit.
Zudem wird der Bewertungsausschuss prüfen, inwiefern der EBM hinsichtlich der vertragsärztlichen Leistungen anzupassen ist.
Wesentliche Neuerungen in der außerklinischen Intensivpflege ab 2023
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in der neuen Richtlinie zur außerklinischen Intensivpflege (AKI-Richtlinie) unter anderem geregelt, in welchen Fällen diese Leistungen ärztlich verordnet werden dürfen, dass im Vorfeld einer Verordnung eine sogenannte Potenzialerhebung durchgeführt werden muss und welche ärztliche Qualifikation benötigt wird.
Die wichtigsten Punkte im Überblick:
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Bei beatmeten oder trachealkanülierten Versicherten erfolgt vor jeder Verordnung jeweils individuell eine Potenzialerhebung.
Dabei wird insbesondere Folgendes erhoben und dokumentiert:
- das Potenzial zur Reduzierung der Beatmungszeit bis hin zur vollständigen Beatmungsentwöhnung (Weaning),
- das Potenzial für eine Umstelung auf eine nicht-invasive Beatmung,
- das Potenzial zur Entfernung der Trachealkanüle (Dekanülierung),
- beziehungsweise die Möglichkeiten der Therapieoptimierung sowie die jeweils zur Umsetzung notwendigen Maßnahmen.
Für den Fall, dass die Beatmung / Trachealkanüle dauerhaft indiziert oder eine Dekanülierung oder Entwöhnung zum Zeitpunkt der Erhebung nicht möglich oder absehbar ist, sind die konkreten Gründe zu dokumentieren. Nur sofern keine Aussicht auf eine nachhaltige Besserung besteht und eine Dekanülierung oder Entwöhnung dauerhaft nicht möglich ist, sind Ausnahmen von der regelmäßigen Potenzialerhebung möglich.
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Die außerklinische Intensivpflege setzt eine ärztliche Verordnung voraus. Diese erfolgt auf einem noch zu vereinbarenden Verordnungsformular. Derzeit befinden sich KBV und GKV‐Spitzenverband in Verhandlungen dazu. Die Einführung des Formulars ist ebenfalls zum 1. Januar 2023 geplant.
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Sowohl zur Verordnung als auch Potenzialerhebung ist eine besondere ärztliche Qualifikation erforderlich.
Zur Potenzialerhebung berechtigt sind:
- Fachärzte/‐innen mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin,
- Fachärzte/‐innen für Innere Medizin und Pneumologie,
- Fachärzte/‐innen für Anästhesiologie mit mindestens 6‐monatiger einschlägiger Tätigkeit in einer spezialisierten Beatmungsentwöhnungs‐Einheit,
- Fachärzte/‐innen für Innere Medizin, Chirurgie, Neurochirurgie, Neurologie oder Kinder‐ und Jugendmedizin mit mindestens 12‐monatiger einschlägiger Tätigkeit in einer Beatmungsentwöhnungs‐Einheit
oder
- weitere Fachärzte/‐innen mit mindestens 18‐monatiger einschlägiger Tätigkeit in einer spezialisierten Beatmungsentwöhnungs‐Einheit.
- Außerdem: Zur Erhebung des Potenzials zur Entfernung der Trachealkanüle bei nicht beatmeten Versicherten sind auch Fachärzte/‐innen mit mindestens 18‐monatiger einschlägiger Tätigkeit in einer stationären Einheit der neurologisch‐neurochirurgischen Frührehabilitation berechtigt.
Zur Verordnung berechtigt sind:
- Fachärzte/‐innen mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin,
- Fachärzte/‐innen für Innere Medizin und Pneumologie,
- Fachärzte/‐innen für Anästhesiologie,
- Fachärzte/‐innen für Neurologie,
- Fachärzte/‐innen für Kinder‐ und Jugendmedizin,
- Hausärzte/‐innen, wenn sie über Kompetenzen im Umgang mit beatmeten oder trachealkanülierten Versicherten verfügen.
Bei Versicherten, die weder beatmungspflichtig noch trachealkanüliert sind, erfolgt die Verordnung durch Fachärzte/-innen, die auf die außerklinische Intensivpflege auslösende Erkrankung spezialisiert sind.
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Ärztinnen und Ärzte können sowohl zur Potenzialerhebung als auch zur Verordnung qualifiziert sein. Wenn festgestellt wird, dass bei jemandem voraussichtlich langfristig kein Beatmungsentwöhnungs‐ / Dekanülierungspotenzial besteht und die regelmäßige Potenzialerhebung damit nicht notwendig wird, gilt ein Vier-Augen-Prinzip. Wer dann das Potenzial erhebt, kann nicht gleichzeitig die Verordnung ausstellen.
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Die Befugnis zur Verordnung für Hausärzte und Hausärztinnen bedarf der Genehmigung durch die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen hierzu regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen anbieten. Die KBV plant, hierfür eine CME‐zertifizierte Onlinefortbildung zur Verfügung zu stellen.
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Der Stellenwert einer guten Kooperation und Koordination zur Sicherstellung der Versorgungskontinuität ist aufgrund der Komplexität der Erkrankungen und Behandlungsverläufe in der außerklinischen Intensivpflege besonders hoch.
So sollen die ärztlich an der außerklinischen Versorgung Beteiligten und weitere Angehörige von Gesundheitsfachberufen (z. B. geeignete Pflegefachkräfte, Logopäden, Ergo‐ und Physiotherapeuten, Hilfsmittelversorger, Atmungstherapeuten) in einem Netzwerk eng zusammenarbeiten.
Ärzte und Ärztinnen, die außerklinische Intensivpflege verordnen, tragen die Verantwortung für die Koordination der medizinischen Behandlung der Versicherten einschließlich der rechtzeitigen Einleitung des Verfahrens zur Potenzialerhebung.
Auch die Krankenkassen sind mit in die Versorgung einzubeziehen. Sie sollen insbesondere dahingehend unterstützend mitwirken, im Falle einer anstehenden Entwöhnung geeignete stationäre Einrichtungen mit verfügbaren Versorgungskapazitäten zu benennen.
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Das Krankenhaus kann im Entlassmanagement außerklinische Intensivpflege für bis zu sieben Kalendertage nach der Entlassung verordnen. Die Krankenkassen sollen möglichst vor der Entlassung der Patientinnen und Patienten in die Organisation einer erforderlichen Anschlussversorgung einbezogen werden.
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Die Richtlinie zur häuslichen Krankenpflege (HKP‐Richtlinie) wird um bestimmte Leistungen der außerklinischen Intensivpflege bereinigt und es wird eine Übergangsregelung zur Verordnung geben.
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Im Leistungsverzeichnis der HKP‐Richtlinie ergeben sich aufgrund der neuen AKI‐Richtlinie folgende Änderungen:
- Nummer 24 „Krankenbeobachtung (spezielle)“ wird gestrichen.
- Nummer 8 „Beatmungsgerät, Bedienung und Überwachung“: In der Bemerkungsspalte wird eingefügt: „Der Anspruch besteht für Versicherte, die einen punktuellen Unterstützungsbedarf im Umgang mit dem Beatmungsgerät haben und bei denen Voraussetzungen für die außerklinische Intensivpflege nicht gegeben sind. Bei Versicherten mit einem Anspruch nach § 37c SGB V erfolgt die Leistungserbringung auf der Grundlage der Richtlinie über die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege gemäß § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 SGB V“.
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Verordnungen außerklinischer Intensivpflege, die bis Ende 2022 nach den Regelungen der HKP‐Richtlinie ausgestellt werden, gelten über den 1. Januar 2023 hinaus. Sie verlieren jedoch spätestens ab dem 31. Oktober 2023 ihre Gültigkeit. Dann entfällt der gesetzliche Anspruch auf außerklinische Intensivpflege nach § 37 SGB V „Häusliche Krankenpflege“. Ein solcher Anspruch besteht dann nur noch nach § 37c SGB V „Außerklinische Intensivpflege“.