Neuerungen bei der geriatrischen Reha - Formular wird angepasst
23.12.2021 - Patienten ab 70 Jahren sollen eine geriatrische Reha künftig auch ohne Prüfung durch die Krankenkassen erhalten können. Dazu müssen bestimmte medizinische Voraussetzungen erfüllt sein, die der verordnende Arzt vorab abklären und dokumentieren muss.
Diese und weitere Neuerungen hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen, Mitte 2022 sollen diese in Kraft treten.
Konkret geht es darum, einen Gesetzesauftrag umzusetzen und den Zugang insbesondere zur geriatrischen Reha für Versicherte zu vereinfachen. So sollen neben der geriatrischen Rehabilitation auch Anschlussrehabilitationen nach einem Krankenhausaufenthalt ohne vorherige Überprüfung der Kasse durchgeführt werden können.
Geriatrische Reha: Abklärung anhand fester Kriterien
Damit eine medizinische Überprüfung durch die Krankenkassen entfallen kann, ist es für die Verordnung einer geriatrischen Reha künftig erforderlich, dass die Ärzte durch den G-BA-Beschluss vorgegebene Voraussetzungen abklären und diese auf dem Verordnungsformular 61 dokumentieren.
Der Patient reicht dann die Verordnung wie gehabt zur Kostenübernahme bei seiner Krankenkasse ein, die bei entsprechender Dokumentation nur noch leistungsrechtliche Voraussetzungen prüfen darf.
Aus der ärztlichen Verordnung soll hervorgehen, dass der Patient älter als 70 Jahre ist, eine Multimorbidität vorliegt und er beispielsweise an altersbedingten Erkrankungen wie Demenz, Muskelschwund oder Muskelatrophie leidet und sturzgefährdet ist. Dabei sind auch Funktionstests durchzuführen und zu dokumentieren (mehr dazu siehe Infokasten).
Keine Ablehnung mehr ohne Gutachten
Auch bei allen anderen Indikationen der medizinischen Reha können die Krankenkassen die Verordnung nicht mehr ohne Weiteres ablehnen. Von der medizinischen Einschätzung der verordnenden Ärzte und Psychotherapeuten darf die Krankenkasse nur abweichen, wenn eine von der Verordnung abweichende gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes (MD) vorliegt.
Aufklärung bei allen Reha-Verordnungen
Eine weitere Neuerung betrifft ebenfalls alle Reha-Verordnungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Künftig müssen Ärzte und Psychotherapeuten die Versicherten vor der Reha‐Verordnung fragen, ob sie einer Übersendung der gutachterlichen Stellungnahme des MD an die verordnende Praxis zustimmen. Außerdem müssen sie Versicherte über die Möglichkeit der Einwilligung zur Übermittlung der Krankenkassenentscheidung an Angehörige, Vertrauenspersonen und/oder Pflege‐ und Betreuungseinrichtungen informieren.
Verordnungsformular 61 wird angepasst
Infolge der Neuerungen wird das Reha-Verordnungsformular (Muster 61) angepasst. Für die Einwilligungsentscheidungen der Patienten beispielsweise wird ein neuer Teil E angefügt.
Vergütung und weitere Schritte
Der Beschluss des G-BA wird aktuell vom Bundesministerium für Gesundheit geprüft. Die Einführung der Neuerungen ist zum 1. Juli 2022 geplant.
Der zeitliche Vorlauf hat mehrere Gründe. So ist eine Anpassung des Reha‐Formulars erforderlich, was sowohl die Belieferung der Praxen mit Vordrucken als auch die Verordnungssoftware betrifft.
Außerdem wird dem Bewertungsausschuss Zeit gegeben, den EBM anzupassen. Die gesetzlich geforderten Neuerungen sind mit einem Mehraufwand in den Praxen verbunden. Diese müssen bei einer geriatrischen Reha unter Umständen zusätzlich Tests durchführen und auf dem neuen Formular 61 dokumentieren.
Auch die Information der Versicherten über die Möglichkeit der Einwilligung zur Übermittlung der Leistungsentscheidung der Krankenkasse und der Weiterleitung der gutachterlichen Stellungnahme des MD generiert einen Mehraufwand in den Praxen.
Reha-Verordnung ab 1. Juli 2022: Neuerungen im Überblick
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 16. Dezember 2021 einige Neuerungen für die medizinische Reha beschlossen. Diese betreffen insbesondere die geriatrische Rehabilitation, also eine Reha in der Regel für Versicherte ab 70 Jahren. Die Neuerungen werden voraussichtlich zum 1. Juli 2022 in Kraft treten.
Nachfolgend die wichtigsten Punkte:
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Ärztliche Aufgaben
Eine geriatrische Reha darf weiterhin nur von Ärztinnen und Ärzten verordnet werden. Diese stellen die medizinische Notwendigkeit einer geriatrischen Reha anhand bestimmter Kriterien fest, dokumentieren diese auf dem Verordnungsformular 61 und die Krankenkassen sind an diese ärztliche Feststellung gebunden.
Kriterien
- Es liegt ein erhöhtes Lebensalter von 70 Jahren oder älter vor.
- Der Patient weist eine geriatrietypische Multimorbidität auf. Dazu gibt der Arzt mindestens eine rehabegründende Funktionsdiagnose und zwei geriatrietypische Diagnosen auf dem Verordnungsformular an.
Zur Hilfestellung weisen die Tragenden Gründen zum G-BA-Beschluss geriatrietypische Diagnosen aus, zum Beispiel Demenz und leichte kognitive Störungen, Muskelschwund und Muskelatrophie (Sarkopenie), Dekubitalgeschwüre und Sturzneigung.
Funktionstests
- Die Schädigungen, die aus den vorliegenden Diagnosen hervorgehen, sind durch zwei Funktionstests aus unterschiedlichen Schädigungsbereichen nachzuweisen – zum Beispiel einem Timed „Up & Go“ in Verbindung mit einem Chair Stand‐Up Test bei eingeschränkter Mobilität und einem Uhrentest bei kognitiven Störungen.
- Mindestens ein Funktionstest erfolgt für die rehabegründende Funktionsdiagnose.
Übersicht der Funktionstests nach Schädigungsbereichen:
Mobilität Kognition Schmerz Herz-/Lungenfunktion - Timed „Up & Go“ (TUG) in Verbindung mit Chair Stand‐Up Test (Chair‐Rise)
- de Morton Mobilitäts Index (DEMMI)
- Motilitätstest nach Tinetti
- Handkraft
- Mini Mental Status Test (MMST)
- Geriatrische Depressions-Skala (GDS 15)
- Uhrentest nach Watson
- Visuelle oder Numerische Schmerzskala
- Ergometrie
- Spirometrie
- NYHA‐Skala
Quelle: G-BA-Beschluss vom 16. Dezember 2021: Dort sind die zur Auswahl stehenden Funktionstests in einer neuen Anlage II der Reha‐Richtlinie aufgelistet.
Prüfung durch die Krankenkasse entfällt
Sofern die oben benannten Voraussetzungen für eine geriatrische Reha erfüllt werden, darf die Krankenkasse die medizinische Erforderlichkeit nicht mehr überprüfen.
Abweichung nur mit gutachterlicher Stellungnahme
Für alle anderen Reha-Indikationen darf die Krankenkasse von der medizinischen Erforderlichkeit einer Reha‐Verordnung nur dann abweichen, wenn eine von der Verordnung abweichende gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes vorliegt. Die Krankenkasse soll dem Versicherten das Gutachten des Medizinischen Dienstes zur Verfügung stellen. Dies gilt auch für die Verordnung von geriatrischer Reha, wenn die oben genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, der Patient beispielweise jünger als 70 Jahre ist oder keine entsprechenden Funktionstests durchgeführt wurden.
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Ärztliche Information und Einwilligung der Versicherten
Der Gesetzgeber schreibt vor (Paragraf 40 Absatz 3 Satz 8 SGB V), dass künftig alle Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten bei einer Reha‐Verordnung die Versicherten informieren:
- über die Möglichkeit der Einwilligung zur Übersendung der gutachterlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes nach an den verordnenden Arzt/Psychotherapeuten sowie
- über die Möglichkeit der Einwilligung zur Übermittlung der Krankenkassenentscheidung an Angehörige, Vertrauenspersonen und/oder Pflege‐ und Betreuungseinrichtungen.
Die Versicherten müssen der Übermittlung in beiden Fällen zustimmen. Die verordnenden Ärzte/Psychotherapeuten informieren die Krankenkasse über die Einwilligung auf dem Verordnungsformular (Muster 61). Dazu wird dort ein neuer Teil E angefügt. Sofern der Patient einer Übermittlung an Dritte zustimmt, benennt er diese selbst auf dem Reha‐Formular Teil E.
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Bei einer Anschlussrehabilitation (AHB; nach Paragraf 40 Absatz 6 Satz 1 SGB V) wird die medizinische Erforderlichkeit der Reha durch die Krankenkasse künftig ebenfalls nicht mehr überprüft. Voraussetzung ist, dass die Rehabilitationsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit und positive Rehabilitationsprognose sowie bestimmte ausgewählte Diagnosen verschiedener Indikationsgruppen aus dem AHB‐Indikationskatalog der Deutschen Rentenversicherung Bund vorliegen. Die Veranlassung der Reha erfolgt weiterhin durch Krankenhausärzte.