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Stand 04.04.2018

Politik

Für sektorübergreifende Versorgung an einem Strang ziehen

Interview mit DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß

Wenige Wochen nach seinem Amtsantritt schlägt der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß, verbindliche Töne an. Er setzt auf eine stärkere Zusammenarbeit von Kliniken und niedergelassenen Ärzten: „Wir werden nicht daran vorbeikommen, sektorübergreifend zu denken.“

Herr Dr. Gaß, wie bewerten Sie das Kapitel Gesundheitspolitik im Koalitionsvertrag von Union und SPD aus Sicht der DKG?

Grundsätzlich positiv. Vor allen Dingen wenn wir es vergleichen mit dem, was im vorigen Koalitionsvertrag stand. Damals haben wir eine gewisse Sorge der Politik wahrgenommen, ob die Krankenhäuser ihrer eigentlichen Aufgabe gut genug nachkommen. Das Thema Qualität war damals sehr prominent besetzt. Mittlerweile scheint die Politik wahrzunehmen, dass die Krankenhäuser wichtige Institutionen für die Gesundheitsversorgung in Deutschland sind, die ausreichend Personal und eine angemessene Finanzierung brauchen. Das ist die wichtigste Botschaft, die wir aus diesem Papier herauslesen.

Problematisch sehen wir nach wie vor die Situation bei der Investitionsfinanzierung. Es wird zwar erneut darauf hingewiesen, dass diese Aufgabe bei den Ländern liegt und die Länder ihr auch nachkommen sollen. Konkret können wir im Moment allerdings nicht erkennen, ob wir hier mit einer Verbesserung in absehbarer Zeit rechnen können. Das bleibt eine Baustelle, an der wir arbeiten müssen.

Als Sie Ihr Amt als DKG-Präsident antraten, sagten Sie, dass Sie an einem „neuen Kapitel der Krankenhauspolitik“ mitschreiben möchten. Was schwebt Ihnen da konkret vor?

Ich will meine eigenen Möglichkeiten realistisch einschätzen und nicht davon sprechen, dass ein neues Kapitel durch mich persönlich aufgeschlagen wird. Vielmehr müssen wir in der gemeinsamen Selbstverwaltung, aber auch die DKG als Verband, aktiv mitwirken an der Entwicklung der Politik in Deutschland und an der Struktur der Krankenhauslandschaft. Dazu sollten wir eigene Vorschläge machen, die wir natürlich zunächst einmal innerhalb des Verbandes ausführlich und am Ende auch einvernehmlich diskutieren müssen. Aber dann geht es darum, der Politik auch als Gestalter gegenüber zu treten.

Spielt das Verhältnis von DKG und KBV dabei eine Rolle?

Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass wir eine erhebliche Schnittmenge haben. Bei allem Wettbewerb, der natürlich existiert und den man auch nicht negieren kann, haben wir viele Gemeinsamkeiten. Niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser sind Leistungserbringer. In der Selbstverwaltung werden wir als „eine Bank“ betrachtet, wenn Sie an den Gemeinsamen Bundesausschuss denken. Ich würde mir wünschen, dass wir häufiger überlegen, wo wir gemeinsam Vorschläge und Konzepte erarbeiten können, die das Gesundheitswesen voranbringen und die im Interesse der Patientinnen und Patienten sind.

Die KBV sieht die Versorgung künftig verstärkt als intersektorales „Joint Venture“, vor allem in strukturschwachen Regionen. Was halten Sie davon?

In strukturschwachen Regionen funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenhäusern, aber auch Krankenkassen allgemein problemloser als in Ballungsgebieten, in denen man eine ganz andere Form des Wettbewerbs hat. Ich habe das selbst in meinem Heimatbundesland Rheinland-Pfalz erlebt, etwa in der ambulanten Notfallversorgung. Dort ist es fast die Regel, dass die Bereitschaftsdienstzentralen der KV an Krankenhäusern sind und dass man dort kooperiert. Das funktioniert umso besser, je weniger man zueinander in Konkurrenz steht.

Aber auch in Regionen mit vielen Anbietern gibt es gute Gründe, auf Zusammenarbeit zu setzen statt auf Abgrenzung. Das Grundprinzip, sektorübergreifend zu denken und Ressourcen zusammenzuführen, ist ein Modell, an dem wir zukünftig gar nicht mehr vorbeikommen.

Sie sagten, Wettbewerb sei eher schädlich für den Kooperationsgedanken. Würden Sie das bitte erläutern?

Wenn Sie sich in einer Situation befinden, in der niemand Sorge haben muss, dass der eine dem anderen etwas wegnimmt, dann fällt es naturgemäß leichter, zusammenzukommen. Natürlich kann das Ziel nicht sein, dass der Wettbewerb gänzlich verschwindet. Jeder sollte für sich und dann teilweise eben auch gemeinsam die Aufgaben übernehmen, für die er am ehesten befähigt ist. Am Ende sollte ein Ergebnis zustande kommen, was für beide in Ordnung ist.

In Ballungsgebieten haben wir oft die Situation, dass in einer sehr überschaubaren räumlichen Region verschiedene Akteure identische Aufgaben übernehmen – sie zum Teil sogar zusätzlich an sich ziehen – obwohl ein anderer Anbieter schon da ist. Das führt dazu, dass man sich am Ende nicht nur im Wettstreit um die Patienten befindet, sondern auch um das Personal. Das ist ein Aspekt, der aus meiner Sicht immer wichtiger wird und der auch dazu führt, dass Doppelvorhaltungen einfach keine Zukunft mehr haben werden.

 

″Die Doppelvorhaltung von Leistungen hat keine Zukunft.″ Dr. Gerald Gaß

Das spricht doch für die Idee, Krankenhäuser, die aus sich heraus nicht mehr tragfähig sind, zurückzubauen und im Gegenzug Zentren zu schaffen, in denen Kräfte aus dem Klinik- und dem ambulanten Bereich gemeinsam Versorgung anbieten. Ist das ein Konzept, dem Sie etwas abgewinnen können?

Ich bin ein Anhänger des Konzepts, das der Sachverständigenrat im Jahr 2014 formuliert hat. Er spricht da von regionalen oder lokalen Gesundheitszentren, die sektorübergreifend tätig sind und die in die Richtung gehen, die Sie ansprechen. Dort können beide Partner – im Zweifelsfall sind es auch noch mehr als nur die niedergelassenen Ärzte und das Krankenhaus – zusammenkommen und an einem bestimmten Ort gemeinsam Leistungen anbieten. Das sind interessante Lösungen.

Aber so etwas wird nicht gelingen, indem wir von Berlin aus sagen, jetzt legen wir mal die Landkarte auf den Tisch und identifizieren die Standorte, wo das so sein soll. Die Akteure vor Ort müssen diese Möglichkeiten für sich erkennen. Zum Teil müssen wir die Rahmenbedingungen auch noch ein Stück weit verändern, damit das funktioniert.

Können Sie ein Beispiel geben?

Denken Sie an die kleineren Krankenhausstandorte mit überschaubaren Fallzahlen, die sich heutzutage voll umfänglich aus der Summe der DRGs finanzieren sollen. Vorhaltekosten für die Infrastruktur werden nicht gesondert finanziert. Wenn die Finanzierung gesichert wäre, dann kann ich mir gut vorstellen, dass diese Infrastruktur auch sektorübergreifend genutzt wird.

Das können dann niedergelassene selbstständige oder auch angestellte Ärzte sein, die in einem Medizinischen Versorgungszentrum – was im Übrigen nicht dem Krankenhaus gehören muss, da sind alle Lösungen vor Ort denkbar – zusammenarbeiten und Geräte etc., die ja sehr teuer sind, gemeinsam nutzen.

Es gibt Herausforderungen, mit denen beide Sektoren zu kämpfen haben. Sie haben das Stichwort Personal schon genannt, dazu gehört auch der medizinische Nachwuchs …

Es wäre gut, mehr jungen Menschen, die den Arztberuf ergreifen wollen, das Medizinstudium zu ermöglichen. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass wir darüber hinaus die Gesundheitsfachberufe stärker in den Blick nehmen müssen. Diese Berufe bringen Potenziale mit, die durch die Ausbildung und später auch Akademisierung Möglichkeiten der Patientenversorgung eröffnen, die wir in Deutschland bisher so nicht angehen.

Ich weiß, dass das gerade für die Ärzte kein ganz einfaches Thema ist. Aber wenn Sie sich international umschauen, dann ist es sehr üblich, dass Pflegekräfte mit besonderen Qualifikationen oder auch andere Gesundheitsfachberufe zum Teil eigenverantwortlich mehr Aufgaben übernehmen als es bei uns bislang der Fall ist. Ich glaube, da sollte man ein Stück weit offener werden.

Es gibt die Meinung, in Deutschland gebe es zu viele Kliniken. Was sagen Sie dazu?

Diese Stimmen gibt es. Genauso gut kann man aber auch sagen: Wir haben eine traditionell gewachsene Versorgungsstruktur in Deutschland, die sich an der Gesamtversorgungssituation orientiert. Wenn es darum geht, was eine ideale Versorgungslandschaft ist, dann darf man nicht nur auf die Kliniken schauen. Vielmehr muss man die gesamte Struktur im Blick haben und etwa folgende Fragen stellen: Ist die Verteilung zwischen ambulant und stationär angemessen? Gibt es genügend ambulante Anbieter, die in der Lage wären, Patienten zu übernehmen, wenn die Klinikstruktur so nicht vorhanden ist?

Am Ende ist es eine politische Entscheidung, wie flächendeckend die Krankenhausversorgung sein soll. Dafür ist meiner Ansicht nach nicht die Selbstverwaltung zuständig. Da sehe ich die Politik in der Verantwortung. Wir sind natürlich gerne bereit und auch interessiert, einen Beitrag zu leisten. Aber der Klassiker am Grünen Tisch, „wir schauen mal nach Dänemark“ oder „wir öffnen eine Internetseite, klicken ein paar Krankenhäuser weg, und gucken, was passiert“, das ist meines Erachtens keine Lösung, mit der die Bevölkerung einverstanden wäre. Die wohnortnahe Gesundheitsversorgung, ob ambulant oder stationär, ist ein wesentliches Merkmal der Attraktivität von Regionen.

Sie haben das Verhältnis zwischen Politik und Selbstverwaltung in jüngerer Zeit mit dem Begriff „Misstrauenskultur“ in Verbindung gebracht. Was meinen Sie damit?

Wir haben in der zurückliegenden Legislaturperiode erlebt, dass der Gesetzgeber den Krankenhäusern sehr weitreichende Vorgaben gemacht hat. Das ging bis hin zu der Frage, wie das Personal einzusetzen sei. Da wird sehr viel in die originäre Verantwortung der Krankenhausleitungen hineinregiert. Ich glaube, es wäre gut, mehr Vertrauen in die Institutionen und die verantwortlichen Personen zu setzen.

Wir sind selbst daran interessiert, gute Patientenversorgung zu betreiben und gute Arbeitgeber zu sein. Deshalb braucht es diese detaillierten Vorgaben nicht. Wir haben eine dramatische Überregulierung – übrigens nicht nur im Krankenhausbereich. Diese Überregulierung ist am Ende Ausdruck von Misstrauen. Man möchte Kontrolle ausüben, Kontrolle braucht Dokumentation. Diese Kontrollaufgabe wird dann weitergegeben, an die Krankenkassen, an den Medizinischen Dienst. Das hat sich in einer Art und Weise entwickelt, die bei uns unglaublich viele Ressourcen bindet.

 

″Wir haben eine dramatische Überregulierung.″ Dr. Gerald Gaß

Sehen Sie die Politik jetzt diesbezüglich auf einem besseren Weg?

Ich sehe zumindest, dass das Schwungrad, das vor vier Jahren angeworfen wurde, nicht weiter angetrieben wird. Es findet sich im Koalitionsvertrag zwar nicht wirklich eine Botschaft, dass man Überregulierung abbauen möchte oder Ähnliches, aber man hat zumindest keine großen neuen Themen aufgeworfen, bei denen wir damit rechnen müssen, dass es neue Regulierungen gibt.

Wir fordern aber die Politik auf, die bisherigen Vorgaben auch einmal zu überprüfen, beispielsweise in der Qualitätssicherung: Verbessert sich eine vermeintlich schlechte Situation, oder war die Situation vielleicht gar nicht so schlecht wie gedacht?

Eine solche Evaluation ist im Moment aber nicht erkennbar.

Nein. Deshalb ist es unsere Aufgabe, die Politik daran zu erinnern. Ich nenne ein Beispiel, das auch die Vertragsärzte betrifft: die ambulante spezialärztliche Versorgung, wo Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte mit besonderer Kompetenz für Patienten mit speziellen Erkrankungen zur Verfügung stehen sollen.

Wenn Sie sich anschauen, was wir dort für einen bürokratischen Aufwand betreiben in den Zulassungsverfahren, die durch die erweiterten Landesausschüsse administriert werden – das ist unglaublich. Für das Zulassungsverfahren gibt es aktuell ein Formular mit über 93 Seiten! Da habe ich meine Zweifel, ob das noch als Zulassung oder als Verhinderung zu definieren ist.

Bis zu Ihrem Wechsel nach Berlin waren Sie in der Lokalpolitik aktiv, saßen im Gemeinderat ihres Heimatortes. Welche Erfahrungen nehmen Sie aus dieser Zeit mit in ihr neues Amt?

Nicht nur aus den Erfahrungen in der „kleinen“ Politik, sondern auch aus meiner Zeit als Abteilungsleiter in einem Ministerium nehme ich vor allem eines mit: Bei allen Auseinandersetzungen in Sachfragen sollte man sich immer wieder auch in die Rolle des Anderen hineinversetzen und versuchen zu verstehen, warum er oder sie ein bestimmtes Interesse verfolgt und bestimmte Lösungen bevorzugt.

Mit diesem Verständnis lässt sich besser nach Kompromissen zu suchen, die am Ende vielleicht nicht beide Seiten gänzlich zufriedenstellen, aber auch nicht den einen als Gewinner und den anderen als totalen Verlierer zurücklassen. Das ist etwas, was ich mir persönlich auf die Fahne geschrieben habe.

 

Dr. Gerald Gaß ist seit Januar 2018 Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Der 54 Jahre alte Diplom-Volkswirt und Diplom-Soziologe war zuvor zehn Jahre Geschäftsführer des Landeskrankenhauses Andernach mit insgesamt 17 Standorten. Seit 2016 ist er Vorsitzender der Landeskrankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz und im Vorstand der DKG. Von 2001 bis 2008 war Gaß Leiter der Abteilung Gesundheit im Ministerium des Landes Rheinland-Pfalz für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen unter der damaligen Ministerin Malu Dreyer (SPD). Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.