Rede von Dr. Stephan Hofmeister zur Sitzung der Vertreterversammlung der KBV am 27. Mai 2019
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
auch von mir ein herzliches Willkommen. Ich steige gleich ein mit einer Bemerkung zu den Verhandlungen zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) im Bewertungsausschuss, wozu mir der poetische Filmtitel einfällt: „Was vom Tage übrig blieb“. Was vom TSVG übrig bleibt, müsste man eigentlich fragen. Poetisch ist daran aber gar nichts. Wie Andreas Gassen schon sagte: Der GKV-Spitzenverband weiß genau, wie er die Verhandlungsklaviatur bedienen muss, um die Intention des TSVG zu unterlaufen.
So treffen wir in den Arbeitsgruppen des Bewertungsausschusses auf einen betont eisenharten Verhandlungspartner, dessen billiges Kalkül schon während des Gesetzgebungsverfahrens unverhohlen angekündigt war.
Man könnte jetzt sagen „Das ist alles Verhandlungsroutine, warum jammert ihr da?“ Nein, wir jammern nicht, wir stellen fest. Da hat der Gesetzgeber ein Gesetz erlassen, dem man mit viel gutem Willen sogar zugestehen kann, dass es die Versorgung verbessern sollte. Wobei, um das noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen, unsere Analyse dessen, was zur Verbesserung der Versorgung erforderlich ist, eine völlig andere war und ist! Die KBV hat in den Beratungen zum TSVG unermüdlich klar gemacht, dass dieses Gesetz nur die gewünschte Wirkung haben wird, wenn es auf kleinteilige Vorgaben verzichtet. Als die Entbudgetierung der Grundleistungen keine Aussicht auf Erfolg hatte, schlugen wir vor, dass den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) wenigstens ein Instrumentenkasten zur Verfügung gestellt wird, mit dem sie je nach regionaler Rahmenbedingung ein Mehr an Terminen organisieren. Auch darauf hat man nicht gehört.
Wir haben schließlich ein kleinteiliges Gesetz bekommen, dessen komplexe Regelungen Tür und Tor für Bürokratie, Kontrolle und Bevormundung öffnen und dabei auch noch die Möglichkeit schaffen, das alles möglichst schlecht zu bezahlen. Die GKV nutzt jetzt in den Verhandlungen diese Kleinteiligkeit, um genau das zu erreichen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, am Ende wird sich nun zeigen, ob die Versprechen der Politik gelten, ob wir uns als Ärzte und Psychotherapeuten auf die Zusagen des Gesetzgebers und des Ministers verlassen können.
Zu einem Teilelement der Kleinteiligkeit noch ein Gedanke beziehungsweise ein kurzer Blick zurück. Ende der 1990er-Jahre hat man von den niedergelassenen Ärzten gefordert, dass sie ihre Praxen über Terminsprechstunden organisieren, weil dies den Patientenbedürfnissen eher entspräche. Dies hat sich dann auch im Qualitätsmanagement niedergeschlagen, in dem eine Sprechstundenplanung besonders berücksichtigt wird. Nicht zuletzt wurde auch mit der Einführung der Disease-Management-Programme (DMP) intendiert, dass Chronikern vermehrt Sprechstunden angeboten werden und die Praxis in Richtung Bestellpraxis organisiert wird.
Heute wird mit der offenen Sprechstunde genau das Gegenteil eingeführt. So viel zur Halbwertszeit von politischen Meinungen.
Auch an anderer Stelle streiten die Kassen mit harten Bandagen ums Geld, aber in diesem Fall untereinander. Ich meine das Verteilen der Gelder über denRisikostrukturausgleich (RSA). Nun könnte man meinen, dass wir uns das entspannt von der Seitenlinie anschauen könnten, aber weit gefehlt. Der Entwurf des Faire-Kassenwahl-Gesetzes enthält „Kollateralschäden“, die massive Auswirkung auf die Versorgung und die Vergütung haben können. So sieht er vor, dass die DMP-Zuschläge aus dem RSA gestrichen werden. Das dürfte das Aus für die Programme einläuten, denn niemand wird so blauäugig sein zu glauben, dass sich die Kassen weiterhin die Programmkosten ans Bein binden, die sie nicht verrechnen können. Die Folge wird sein, dass die Chronikerprogramme keine finanziellen Anreize für die Ärzte bieten werden. Also sind sie tot. Mir ist wichtig, noch einmal herauszustellen, dass die DMP bei der Einführung erst einmal nichts anderes waren als ein Geldverschiebebahnhof zwischen den Kassen und bei uns nicht sehr beliebt. Wenn eine Kasse etwas für die Chroniker tat, bekam sie höhere Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds – das war der Mechanismus.
Wir Ärzte haben das von Beginn an kritisiert, weil sich die Chronikerversorgung dadurch erst einmal nicht verbesserte, da die Programme medizinisch dazu gar nicht ausreichend ausgelegt waren. Nun haben wir es nach jahrelangem mühevollem Verhandeln im G-BA soweit gebracht, dass die DMP medizinischen Nutzen entfalten und langsam zu wirken beginnen. Erste Evaluationen zeigen das deutlich. Und genau in diesem Moment wird ihnen der Hahn zugedreht. Richtig deutlich wird auch hier die Unbeständigkeit politischer Festlegungen. Noch vor etwas über einem Jahr hat der Gesetzgeber zwei weitere DMP angeschoben. Mit dem TSVG wird der G-BA außerdem beauftragt, die Integration digitaler Anwendungen in die DMP zu prüfen. Jetzt soll die Förderung abgeschafft werden. Eigentlich zum Lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Für die Versorgung von Chronikern ist das keine gute Nachricht, vor allem deshalb nicht, weil schon die neuen Terminregeln negative Effekte auf die Versorgung chronisch kranker Menschen haben werden.
Dieses Schielen auf den RSA führt mich zu einem anderen Aspekt des Faire-Kassenwahl-Gesetzes, nämlich dem unwürdigen Spielchen mancher Kassen, uns Ärzte der Falschkodierung zu bezichtigen. Wenn die Kassen sich untereinander übervorteilen wollen, dann sollen sie das tun. Wenn sie das aber auf unserem Rücken austragen, dann wird es ernst.
Diagnosen sind unsere Sprache und nur damit können wir komplexe Krankheitsgeschehen angemessen beschreiben und beurteilen. Ohne Diagnosen sind wir Ärzte „stumm“!
Auch die Idee, dass hausärztliche Diagnosen weniger „Wert“ seien als fachärztliche, ist hanebüchen! Das umso mehr, wenn man die Begründung liest, die hausärztliche Versorgung Kranker sei kostengünstiger. Wunderbar, wenn dem so ist, wo bleibt dann der von uns geforderte flächendeckende primärärztliche Steuerungstarif? Das wäre doch die Lösung – und nicht die Abwertung hausärztlicher Diagnosen!
Insofern ist auch die Äußerung des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Techniker Krankenkasse, Thomas Ballast, absolut unbrauchbar, dass Hausärzte entlastet würden, wenn sie nicht mehr kodieren müssten. Nein, man würde sie mundtot machen!
Diese Art von „Entlastung“ brauchen wir Hausärzte nicht! Wir stellen und benennen Diagnosen – und Diagnosen, die in gleicher Weise und Qualität benannt sind, sind auch gleichviel wert. Unabhängig davon, welcher Kollege oder welche Kollegin sie gestellt hat. Sollen die Kassen das untereinander ausmachen, meinetwegen. Uns aber in Mithaftung zu nehmen, das werden wir nicht zulassen.
Apropos Entlastung: Ja, das vertragsärztliche System braucht Entlastung, um seine Ressourcen zielgenau einzusetzen. Die KBV setzt sich deshalb schon lange für eine vernünftige Patientensteuerung ein, ich sprach es eben an. Der Ansatz von Steuerung, den das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) enthält, übertritt aber in einigen Teilen eine rote Linie. Mit Paragraf 68a zum Beispiel werden die Krankenkassen unter dem Deckmäntelchen der „digitalen Innovation“ in die Lage versetzt, direkt in das Versorgungsgeschehen einzugreifen. Vielleicht kooperieren sie dafür mit Vertragsärzten, müssen sie aber nicht, denn Paragraf 68b erlaubt ihnen eine direkte Patientenansprache zum Zwecke der Steuerung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Vorhaben kommt der Aufkündigung des Systemfundamentes gleich!
Wir Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten sind zuständig für die ambulante Versorgung. Darauf fußt das gesamte System. Deshalb gewährleisten wir die Sicherstellung und deshalb verzichten wir auf das Streikrecht.
Teile des DVG entpuppen sich als ein Regelwerk, mit dem Kassen erstmals die Versorgung steuern können. Das wird den Bürgern möglicherweise erst einmal egal sein. Jeder aber irrt, der glaubt, die Krankenkassen hätten ein alleiniges Interesse an einer guten Versorgung, in der der Patient im Mittelpunkt steht. Krankenkassen haben ein Interesse an der Kassenlage – das sagt schon der Name. Sie steuern nach Kassenlage. Das ist auch legitim und sogar notwendig, umso wichtiger ist dabei aber das strukturelle Gegengewicht durch diejenigen, die die Patientinnen und Patienten täglich medizinisch versorgen. Diese Ordnung wird hier unterhöhlt zu Lasten der Patienten und der behandelnde Ärzte und Psychotherapeuten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gegen diese Aspekte des Gesetzes müssen wir uns eindeutig und hörbar positionieren. Ich würde sogar noch weiter gehen: Für mich ist das der casus belli.
Auf einen Aufreger möchte ich noch eingehen, der zeigt, dass einerseits Dinge schief gehen können, es aber andererseits in der gemeinsamen Selbstverwaltung auch einmal schnell Lösungen geben kann: die Neufassung der Gesundheitsuntersuchung (GU). Der Gesetzgeber hat eine Änderung in der GU vorgegeben, die die Selbstverwaltung umsetzen musste. Nach langem Ringen wurde im G-BA eine gemeinsame Lösung gefunden. Als dann im Bewertungsausschuss die Vergütung festgelegt wurde, wurde keine Übergangsphase definiert. Ursächlich dafür war nicht die Ignoranz der Verhandler, sondern tatsächlich ein Kommunikationsproblem. Es gab zwei unterschiedliche Interpretationen zur Wirksamkeit der Zeitvorgaben, die nicht artikuliert wurden. Bei der übergangslosen Variante hätten die Praxen schlimmstenfalls bereits vereinbarte Termine für Vorsorgen absagen müssen. Höchst ärgerlich und disruptiv im Praxisbetrieb. Der Zorn war nachvollziehbar. Aber die gemeinsame Selbstverwaltung hat sich innerhalb von 48 Stunden – sozusagen auf dem kleinen Dienstweg – darauf verständigen können, wie dieses Problem zu beheben sei und eine Übergangslösung geschaffen. Ein Beispiel für kooperative Zusammenarbeit! Davon hätten wir gerne mehr!
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, keine Rede kommt heute ohne das Stichwort Digitalisierung aus. Herr Kriedel wird dazu noch weiter ausführen. Ich greife aber schon zwei Aspekte heraus, die in besonderer Weise zeigen, was keine sinnvolle Digitalisierung ist. Bei idealer Digitalisierung wird ein Prozess evaluiert, optimiert und dann digitalisiert. Im zweitbesten Fall wird ein gut funktionierender Prozess einfach digitalisiert ohne weitere Optimierung. Im schlechtesten Fall jedoch wird ein bestehender, gut funktionierender Prozess durch die Digitalisierung verkompliziert und führt zur bürokratischen Arbeitszeitvernichtung.
Im DVG wird eine solche Arbeitszeitvernichtung noch befördert, denn es verpflichtet die Ärzte dazu, die elektronische Patientenakte (ePA) zu befüllen. Behandlungsdaten per Knopfdruck oder im Default System aus dem Praxisverwaltungssystem auf Wunsch des Patienten in eine ePA zu schieben, ist eine gute Sache. Das entspricht der Digitalisierung eines Prozesses, auf den der Patient schon lange einen Anspruch hat. Im Gesetzentwurf finden sich aber die Begriffe „Anlage und Verwaltung“ einer ePA. Das soll finanziert werden, gut. Oder nicht gut, wenn wir an die zu erwartende Blockade im Bewertungsausschuss denken.
Aber was heißt hier „Unterstützung bei Anlage und Verwaltung“? Wir Ärzte und auch unsere Praxen sind nicht und können nicht die Sekretäre für unsere Patienten sein. Das ist zeitlich überhaupt nicht zu schaffen – und im Geringsten unsere Aufgabe. Diese Passage muss präziser gefasst und entschärft werden, sonst droht den Praxen ein heilloses Durcheinander! Unsere Forderung ist klar: Eine solche Akte muss so strukturiert sei, dass jeder Patient sie selber anlegen, lesen und führen kann. Sie ist die Akte des Patienten! Eine echte arztgesteuerte Fallakte zur Verbesserung der Versorgung ist ein ganz anderes Thema, welches hier aber leider nicht adressiert wird.
Das elektronische Rezept und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) in ihrer derzeitigen Ausprägung sind auch Negativbeispiele für die an sich wünschenswerte Digitalisierung. Beim Rezept wird die qualifizierte elektronische Signatur mit Chipkarte und Pin eine drastische Verlängerung der Signaturzeiten für ein Rezept zur Folge haben. Was das an einem Montagmorgen in einer vollen Praxis bedeutet, muss ich hier niemandem erklären. Bei der eAU soll neben dem elektronischen Dokument ein Papierdokument gedruckt werden. Gürtel und Hosenträger gleichzeitig. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, so geht Digitalisierung nicht!
In aller Deutlichkeit, ich begrüße die Chancen der neuen Kommunikationstechnik auch in der ambulanten Versorgung. In ihr steckt großes Potenzial, das wir heben müssen und ich kann mir kaum vorstellen, dass es dann großen Widerstand in den Praxen geben wird. Ärzte sind keine Technikfeinde, wie gerne suggeriert wird. Im Gegenteil. Landauf, landab laufen tolle Projekte zur Digitalisierung mit Arztpraxen und KVen. Aber bitte mit Verstand!
Womit wir bei einem, ja vielleicht bei dem größten Digitalisierungsprojekt des Gesundheitsbereiches wären: der Schaffung einer semantischen und syntaktischen Interoperabilität medizinischer Informationsobjekte (MIOs). Mir ist die Botschaft wichtig, dass die Standardisierung der MIOs aus ärztlicher Sicht vorangetrieben wird. Das ist der Grundgedanke, um die MIOs für die gesamte Versorgung nutzbar zu machen. Wir werden sehr viel Wert darauf legen, dass sich die Abläufe in den Praxen dadurch möglichst wenig verändern werden. An manchen Stellen wird das unvermeidbar sein, aber das meiste wird im Hintergrund laufen.
Die Standardisierung der MIOs wird nur dann ein Erfolg, wenn sie die Versorgung verbessen – und das heißt auf Ebene der Praxis, dass sie die Kolleginnen und Kollegen durch schnelle und gelingende Informationsübertragung entlasten. Dies ist eine unbedingte Voraussetzung, die Versorgung zukunftsfest zu machen, denn die ärztliche Arbeitszeit wird zunehmend weniger, wir haben darüber schon oft gesprochen.
Insofern verstehe ich die Äußerungen des FDP-Bundestagsabgeordneten und Kollegen Prof. Ullmann nicht. Seiner Meinung nach gibt es in Deutschland keinen Ärztemangel. Hier muss ich nachfragen. Wenn er voraussetzt, dass wir alle überflüssigen stationären Kapazitäten abbauen und eine versorgungsgerechte Patientensteuerung einführen, dann hätten wir vielleicht genügend Ärzte – gemessen an der Kopfzahl. Aber auch nur dann und vielleicht. Davon sind wir noch weit entfernt und insofern gilt ausdrücklich: Die Arztzeit schwindet und schwindet wie auf der Uhr im Foyer der KBV.
Auch ist das Zählen von Köpfen als Maßstab befremdlich. Niemand zählt heutzutage mehr Köpfe Wir können uns nicht drauf ausruhen, dass die Ärztezahl nominell steigt. Etwa die Hälfte aller angestellten Ärzte arbeitet nicht mehr als 20 Stunden pro Woche. Das ist bitte keine Kritik an der Arbeit angestellter Ärztinnen und Ärzte, aber es wäre fahrlässig, diesen Fakt zu ignorieren. Relevant ist, wie viele ärztliche Arbeitsstunden jeden Tag von den vorhandenen Ärztinnen und Ärzten geleistet werden. Diese Zahl sinkt beständig und hierbei sind demografische Entwicklung und steigende Morbidität noch nicht einmal einkalkuliert. Ein vorsichtiger und freundlicher Umgang mit den vorhandenen Kolleginnen und Kollegen und die Schaffung weitere Studienplätze sind das Gebot der Stunde. Abbau überzähliger stationärer Strukturen und echte Steuerung sind zwingend.
Das bringt mich zur Bedarfsplanung: Der G-BA hat, vorfristig wie Herr Prof. Hecken stolz verkündete, die neue Bedarfsplanung beschlossen, womit 3.500 neue Arzt- und Psychotherapeutensitze ausgewiesen werden. 1.500 zusätzliche Hausärzte und knapp 500 Nervenärzte und 400 Kinder- und Jugendmediziner – das klingt wunderbar. Eine neue Planung schafft aber keine neuen Ärzte. Deswegen ist und bleibt das Planungsinstrument eine Hülse und weckt schlimmstenfalls falsche Erwartungen.
Positiv ist aber auf jeden Fall, dass Morbidität und regionale Bedingungen künftig stärker berücksichtigt werden. Sie haben in den Landesausschüssen sechs Monate Zeit, den Beschluss umzusetzen. Sportlich nenne ich das!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um im Bild zu bleiben: Sportlich ist und viel Ausdauer verlangt die Zielsetzung der Laborreform. Die Beschlüsse der KBV-VV von Dezember 2016 sind vom Bewertungsausschuss zum 1. April 2018 in Kraft gesetzt worden. Seit dem haben wir den Live-Betrieb und beobachten intensiv, wie sich die Vorgaben auswirken. Die ersten beiden Quartale, also das zweite und dritte Quartal 2018, haben wir bereits in der Auswertung, wozu uns Rückmeldungen aus den KVen und von Berufsverbänden zugegangen sind. Erste Analysen zeigen: Es wird nichts furchtbar, aber der Weg ist steinig. Akuter Korrekturbedarf ist bisher nicht erkennbar.
Für eine konsolidierte und echt-datengestützte Auswertung der Reform müssen wir auf die Zahlen Q4/2018 und Q1/2019 warten. Das bedeutet, dass eine entsprechende Ausarbeitung nicht vor Frühjahr 2020 vorliegen wird.
Wir sehen heute aber schon, dass der Leistungsbedarf seit Beginn der Reform etwas gesunken ist, was wir mit der Reform bezwecken wollten – oder besser: auch bezwecken wollten. Gemeinsames Ziel war es ja vor allem, die Lasten besser zu verteilen. Um das reine Sparen ging es uns nicht und darf es uns auch nicht gehen. Das Labor ist schließlich nicht der Steinbruch der Versorgung. Laboruntersuchungen sind essentieller Teil der ärztlichen Diagnostik und aus der Behandlung nicht wegzusparen. Es bleibt der richtige, wenngleich auch anstrengende und langsame Weg, sich medizinisch-inhaltlich mit dem Thema Labor auseinander zu setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwei Themen möchte ich zum Abschluss noch ansprechen: die Software SmED und die sektorübergreifende Versorgung.
Mit SmED hat das KV-System ein stabiles softwaregestütztes Instrument zur Ersteinschätzung, um die Patienten im Bereitschaftsdienst und in der Akutversorgung besser zu versorgen. Wir erproben die Software längst über das DEMAND-Projekt des Innovationsfonds‘ und wir werden sie ab dem kommenden Jahr bundesweit für die 116117 verwenden.
Vielen ist vielleicht gar nicht klar: Das ist ein absolutes Novum, ein landesweit einheitliches für 80 Millionen Bürger verfügbares Angebot dieser Art gibt es nirgends sonst auf der Welt. Wenn ich mir anschaue, wo wir noch vor einem Jahr standen, dann kann ich nur ehrlich sagen: Respekt! Respekt allen Beteiligten für diese Leistung!
Auf der Tagung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) vor zwei Wochen hat sich gezeigt, dass wir auf dem Weg auch die meisten SmED-Kritiker überzeugen konnten. Da hat es einige Missverständnisse gegeben, die geklärt werden konnten. Es hat aber auch bei uns die Einsicht gegeben, die Software an einigen Stellen zu verändern und anzupassen. Das ist die Flexibilität, die das KV-System entgegen allen Klischees ausmacht. Eine Flexibilität, die wir auch in all den Versorgungslösungen und Projekten auf dem KBV-Sicherstellungskongress in der vorigen Woche wieder gesehen haben. Wie hat Andreas Gassen das eben genannt? Das KV-System ist ein flexibles, ein lernendes System. Das macht seinen Erfolg aus! Und darauf dürfen wir auch Stolz sein.
Alle Welt redet von Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung. Wir reden nicht, wir haben SmED und damit eine reale, funktionierende und nützliche digitale Lösung.
In absehbarer Zeit wird SmED auch vom Bürger selbst per App genutzt werden können. Auch das ist unsere Antwort auf die ausufernde Inanspruchnahme medizinischer Leistungen, indem wir den Bürgern ein Instrument an die Hand geben, ihr Behandlungsbedürfnis zu reflektieren und sich in strukturierter Weise Hilfe zu beschaffen. Darüber hinaus wird SmED auch an den gemeinsamen Tresen der Portalpraxen Anwendung finden können. So funktioniert – und ich gebrauche absichtlich das fälschlicherweise inkriminierte Wort –: Patientensteuerung!
Damit kommen ich zum letzten und auch einem Zukunftsthema, zur intersektoralen Versorgung. Unser IGZ-Gutachten ist in die gesundheitspolitische Szene und in die Gesundheitswirtschaft eingesickert und beginnt zu wirken. Vor kurzem habe ich auf Einladung der apoBank bei den Berliner Wirtschaftsgesprächen dazu referiert und diskutiert. Es gibt von einigen Seiten Vorbehalte gegen unsere Idee von intersektoralen Gesundheitszentren, klar, es gibt aber auch viel Interesse. Dabei ist deutlich geworden, dass ein IGZ schnell als kleine Klinik oder „Krankenhaus light“ missverstanden werden kann. Das ist ein IGZ nicht.
Es ist auch kein Anhängsel einer großen Klinik im Hintergrund. Ein IGZ muss von der ambulanten Seite gedacht werden und ist von sich aus wirtschaftlich tragfähig. Es ist „erweiterte ambulanten Versorgung“. Eine wichtige Voraussetzung dabei: Die Kommunen müssen wollen und mitmachen. Planerisch, finanziell, organisatorisch. Auch von Klinikseite wurde das bestätigt und man zeigte sich dialogbereit. Das müssen wir als KV-System aufgreifen und gemeinsam konkretisieren, wie wir potenziellen IGZ-Betreibern reale organisatorische und unternehmerische Hilfestellung anbieten können. In einer Arbeitsgruppe der KVen, die sich in der KBV treffen wird, werden wir dazu ein Konzept entwickeln. Eine ganz konkrete und durchaus große Herausforderung wird es sein, eine speziell auf die IGZ zugeschnittene Vergütung zu entwickeln und mit den Krankenkassen zu konsentieren. Auch dazu gibt es konkrete Ideen, mit denen es möglich würde, sektorübergreifende ärztliche Leistungen wirklich vergleichbar zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe meinen Bericht mit den Einengungen und Begrenzungen der aktuellen politischen Lage begonnen.
Mit den zukunftsträchtigen und kreativen Lösungen von uns Vertragsärzten und Vertragspsycho-therapeuten habe ich geendet. Politik kann uns helfen, ob aber Politik verlässlich ist, werden wir am Ergebnis des TSVG messen können. Nehmen wir die politische Hilfe, wo wir sie finden, und vertrauen wir ansonsten auf uns! Wir sind verlässlich!
Unsere gemeinsamen Erfolge, unsere Kraft, unsere kreativen und konstruktiven Ideen und Ihr Engagement vor Ort jeden Tag bestätigen uns darin.
Vielen Dank
Es gilt das gesprochene Wort.