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Regierungskommission legt Pläne zur Notfallversorgung vor - Gassen: Abgleich mit Realität erforderlich


Wie bewerten Sie die Vorschläge der Regierungskommission zur Notfallreform?

Dr. Andreas Gassen:
„Na gut, es ist eine Regierungskommission, die das so ein bisschen aus dem Elfenbeinturm plant. Und das sollen ja Vorschläge sein. Jetzt muss man sagen, es gibt den ein oder anderen Vorschlag, der durchaus sinnhaft erscheint. Natürlich macht es Sinn, dass man anrufende Menschen, die den Notdienst in Anspruch nehmen wollen, erst mal über einen Algorithmus und medizinische Fachkräfte überhaupt einordnet, ob sie eine dringende Versorgung brauchen oder ob nicht der Besuch in der Praxis in den nächsten Tagen reicht und somit insgesamt die Anflutung des Notdienstes zu reduzieren. Ich glaube ohnehin, dass man und das kommt in dem Papier schon als erstes etwas zu kurz, vielmehr auch das Verhalten der Patientinnen und Patienten hier ventilieren muss. Es kann nicht sein, dass egal welcher Bedarf von Menschen geäußert wird, dass der irgendwie bedient wird und man sich Gedanken macht, dass auch jeder noch so unsinnige Wunsch 24/7 vorgehalten wird. Das kann nicht sein. Dafür haben wir weder die Leute noch das Geld. Was befremdlich wirkt, sind dann Vorschläge, dass man nicht nur INZs in großer Zahl aufbauen will, mit sehr hohen personellen Anforderungen - wo ich im Moment nicht wirklich sehen kann, wie die Krankenhäuser die erfüllen werden, aber das wissen die sicherlich besser - und zum anderen unter anderem Notfallpraxen, also ärztliche Bereitschaftsdienst-Praxen mit einer Besetzung ab 14:00 werktags gefordert werden. Das ist üblicherweise Sprechstundenzeit. Insofern wäre es schön, wenn die Regierungskommission an der Stelle auch erklärt hätte, was dann in den Praxen geschieht, ob die dann alles abgesperrt werden. Denn wir wissen ja 650 Millionen Behandlungsfälle finden in den Praxen statt, während wir nur wenige Millionen Notfälle im ganzen Jahr in Praxen und Krankenhäusern haben. Also von daher ist das sicherlich ein sehr schräger Blick auf die Versorgungsnotwendigkeiten. Abgesehen davon: Krankenhäuser haben bekanntermaßen sich dem Arbeitszeitschutzgesetz zu unterwerfen. Niedergelassene arbeiten zwar viel, aber können auch nicht 24 Stunden sieben Tage die Woche arbeiten. Insofern wäre hier ein bisschen Realitätssinn angepasst und man muss einfach schauen, was ist machbar, was ist notwendig und was ist nice to have. Und das ist so ein bisschen das, was man in gewissem Grad entschuldigen kann bei einer doch sehr versorgungsfernen Kommission, die einfach mal vom grünen Tisch einen Vorschlag macht. Aber die erfordern natürlich ein dringendes Abklopfen auf Realisierbarkeit. Sicherlich macht es Sinn, die 116117 und die 102 technisch zu verzahnen. Es macht auch Sinn im Vorfeld zu schauen, was kommt an Patientenwünschen da an und wie sind die zu sortieren. Weil das ist ja ein Phänomen, was uns immer wieder ärgert, dass Wespenstiche praktisch mit dem Krankenwagen in die Notfallambulanz gefahren werden, wo sie nichts zu suchen haben. Eigentlich hätten sie noch nicht mal was in der Arztpraxis zu suchen und gleichzeitig dann der Herzinfarkt länger warten muss. Also dass man hier besser sortiert, sage ich mal, ist auf jeden Fall richtig. Das kann man grundsätzlich auch mit digitalen Instrumenten gut machen. Dafür wäre ein bisschen Digitalisierung in Deutschland gar nicht so schlecht, aber vielleicht gibt es dann auch einen Impuls in der Richtung. Aber man sollte sich, glaube ich, davon lösen, dass alles überall zu jeder Zeit erbracht werden kann. Und vor allen Dingen macht es schon Sinn, dass man auch ein bisschen bedenkt, wie die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen diese ganzen Erfordernisse stemmen sollen, denn es ist ja nicht so, dass die nur Notdienst machen. Die machen ja nebenbei alle noch ihre Praxen, machen Hausbesuche und sollen dann auch noch Notdienst machen. Und wenn man dann hört, von 14 bis 22 Uhr unter der Woche, kann man an der Stelle nur den Kopf schütteln. Also da dieser Kommissionsvorschlag braucht dringend das Rendezvous mit der Realität. Es sind einige interessante Ansätze drin, aber es ist leider auch viel Wolkenkuckucksheim dabei.“

Wie geht es nun mit der Notfallreform weiter?

„Na gut, das ist ein Vorschlag einer Regierungskommission, und die wird jetzt jeder kommentieren, der sich berufen fühlt. Und da wird man ganz viele Dinge dann mal gegeneinander erproben müssen. Und ich sehe es einfach so: Der Gesetzgeber ist jetzt aufgefordert, mit den jeweiligen Beteiligten natürlich in die Diskussion zu treten und zu schauen, wo haben wir gemeinsame Linien. Da sind ja ein paar drin, die sollten wir dann auch umsetzen. Wo gibt es Dinge, die vielleicht einfach aus Praktikabilität nicht umsetzbar sind. Und ich glaube, das ist ganz entscheidend, die Länder muss man dazu hören, denn die sind unmittelbar beteiligt. Und ich glaube, ganz wichtig ist, und das wird bei dem Entwurf so ein bisschen vergessen, wir haben ja in vielen Bundesländern bewährte Strukturen, die sich über Jahre herauskristallisiert haben. Die finden keine wirkliche Entsprechung in dem Vorschlag, und das halte ich für einen Fehler, weil es macht natürlich keinen Sinn, bestehende funktionierende Strukturen, wo auch gute Kooperationen zwischen Niedergelassenen und Krankenhäusern etabliert sind, jetzt sozusagen abzuräumen, um ein abstraktes Konstrukt zu erheben, zu dem uns, sagen wir mal ganz ehrlich, wahrscheinlich die gestalterische Kraft in Deutschland fehlt. Allein schon, weil wir durch den Föderalismus natürlich 16 Bundesländer dazu fragen müssen. Wir sind eben nicht Dänemark mit 9 Millionen Einwohnern, wo man das am grünen Tisch vereinbaren kann, sondern hier sind ganz viele Belange zu berücksichtigen. Hier muss man auch in die Fläche schauen und von daher ist das, glaube ich, das, was ich mit Rendezvous mit der Realität meine. Und dazu gibt es ja genug Akteure, die sich in dem Thema lange auskennen und auch lange unterwegs sind. Die sollte man sicherlich fragen.“

Die Notfallversorgung soll seit Jahren neu aufgestellt werden. Nun hat eine Regierungskommission Vorschläge dazu erarbeitet. Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, sieht ein paar interessante Ansätze, allerdings auch viel, was in der realen Welt kaum umsetzbar sein wird. Ein wichtiger Punkt kommt ihm viel zu kurz.