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Ambulante Versorgung muss 2023 stärker in den Fokus rücken

Das Jahr 2022 startete mit einem neuen Bundesgesundheitsminister…

Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV:
„Das hat interessant begonnen. Der Bundesminister Lauterbach kam sehr früh in seiner Amtsperiode zu uns und hat sich einem ausführlichen Interview durch den KBV-Vorstand gestellt. Und die dort von ihm getätigten Äußerungen haben uns relativ hoffnungsfroh gestimmt, zum Beispiel zur Digitalisierung, wo er ganz klar sagte, die Digitalisierung muss den Patienten und den Kolleginnen und Kollegen in den Praxen nutzen, sonst ist sie sinnlos und dann will er sie nicht. In andere Richtung hatten wir auch den Eindruck, dass er möglicherweise sehr viel medizinischer, sehr viel ärztlicher denkt und die ambulante medizinische und psychotherapeutische Versorgung eher stärkt. Allein, Worte zählen nicht, es zählen Taten. Und was danach kam, ist für uns doch relativ ernüchternd. Wir haben die wichtigen Themen für uns nicht wirklich adressiert bekommen bisher. Es gibt Kommissionen, die sich zu verschiedenen Themen äußern, deren Zusammensetzung für uns eher unklar ist. Die Protagonisten GKV und wir sind nicht dabei, also diejenigen, die eigentlich liefern müssen, sind überhaupt nicht gefragt. In der Digitalisierung gibt es eben keine Zäsur, keinen Neuanfang, keinen Reset, wie er zu erhoffen war und wie er auch nötig wäre, sondern es gibt ein "Weiter so", mit neuen Zielrichtungen zwar, immerhin, aber eben ein "Weiter so" für die Praxen. Es gibt weiterhin den Konnektoren-Tausch, der viel Geld kostet, viel Elektroschrott produziert. Und in der medizinischen Versorgung hat eben nach wie vor Corona fast das ganze Jahr dominiert, was medizinisch nicht mehr erforderlich gewesen wäre. Und dadurch sind alle Kräfte gebunden gewesen, die wir gebraucht hätten für wichtige andere Diskussionen.“

Wie steht es um das Thema Notfallversorgung?

„Das ist ein gutes Beispiel, die Notfallversorgung. Denn dort ist tatsächlich Reformbedarf. Anders als viele schreiben, nicht eine Neuerfindung des Systems erforderlich, aber doch Reformen, Anpassungen. Zum einen, weil uns das Fachpersonal fehlt, sowohl in den Kliniken als auch im vertragsärztlichen System. Und zweitens, weil Bürgerinnen und Bürger einfach immer noch keine Leitlinien haben, wie sie am besten im System zurechtkommen. Und dadurch werden die Ressourcen, die wir haben, die knappen Ressourcen, falsch genutzt. Patienten mit wenig schlimmen Erkrankungen kommen in die Notfallambulanzen. Das ist nicht notwendig, da gibt es bessere Möglichkeiten. Wir haben hervorragende Vorschläge gemacht. Wir sind vorbereitet für Reformen. 116117, SmED, nur als Stichpunkte, Kooperationen mit Kliniken. Da gibt es hervorragende Modelle. Und wir wissen auch, dass nicht one size fits all für ganz Deutschland passen wird. Es gibt ja unterschiedliche Bedarfe und da wäre eine Reform überfällig. Allerdings sind wir in die Gespräche zurzeit nicht eingebunden, wie auch bei der Ambulantisierung, ein weiteres Thema. Dort hat eine Kommission getagt und hat dem Minister Vorschläge gemacht. Und die Ergebnisse sind für uns eher überraschend bis erschreckend, da nicht das ambulante Potenzial gehoben werden soll zum Nutzen der Patienten und zum Nutzen der Gesamtgesellschaft, weil es nicht mehr so teuer sein würde, sondern es wurde im Grunde ein Jägerzaun um die Krankenhäuser vorgeschlagen. Und das ist natürlich nicht die Richtung, in die es gehen soll. Das sind also zwei Beispiele für eine Entwicklung, die wir sehr kritisch betrachten.“

Wie bewerten Sie das Jahr 2022 aus hausärztlicher Perspektive?

„Also, was die Hausärzte betrifft, gibt es zwei Besonderheiten. Zum einen steht im Koalitionsvertrag ausdrücklich drin, dass die Leistungen für die Hausärzte entbudgetiert werden sollen. Das haben wir auch nachgefragt im Ministerium. Da hieß es dann, nein, das wird also auf keinen Fall in dieser Legislatur kommen. Begründet damit, dass es ja gar keinen Sinn machen würde und wir das gar nicht bräuchten. Das sehen wir natürlich ein bisschen anders. Natürlich ist das erforderlich, dass alle ärztlichen Leistungen vollständig, wie sie erbracht wurden, auch bezahlt werden. Das ist eine Forderung, von der wir auch nicht abrücken. Das ist die eine Seite. Also wieder wohlfeile Erklärungen. Deswegen nochmal: Lasst euch an euren Taten messen und Worte haben wir genug gehört. Hier ist also nicht geliefert worden und es sieht auch nicht so aus, als würde geliefert werden. Noch erschreckender ist allerdings dann der letzte Vorschlag über die Kioske, der lange Zeit herumgeisterte aus dem BMG, in dem es so aussah, als würde jetzt tatsächlich medizinische Leistung in eine dritte Säule verlagert, unter der Leitung von irgendwem in irgendwelchen Kiosken oder Spätis möglicherweise, in Berlin. Und das ist ein Frontalangriff auf die Versorgung durch Hausärzte und Hausärzte, auf den festen und verlässlichen Wert in Deutschland, dass ich einen Arzt oder eine Ärztin als ersten Ansprechpartner für meine gesundheitlichen Belange habe und das wäre hier unterwandert worden. Inzwischen rudert man etwas zurück, aber insofern gilt auch für uns Hausärzte höchste Wachsamkeit. Offenbar ist man politisch, ideologisch auch bereit, uns zu substituieren und den Bürgerinnen und Bürgern ein anderes Angebot zu machen. Es wird da auf Skandinavien verwiesen oder Kanada oder Australien. Riesige, menschenleere Flächenstaaten, in denen selbstverständlich auch eine Community Health Nurse helfen muss, weil man 600 Kilometer zum nächsten Krankenhaus hat. Das ist in Deutschland aber absurd, solche Vergleiche anzustellen.“

Was sind die wichtigsten Themen für das Jahr 2023?

„Ja, wir hatten ja eine Klausursitzung zusammen mit der jetzt scheidenden Vertreterversammlung. Und es gibt mehrere Punkte, die wir unbedingt adressieren und wollen und müssen neben den Sachthemen Notfallversorgung, Ambulantisierung, ambulantes Operieren, hausärztliche Versorgung, Delegation - alles Themen, die wichtig sind. Auch die Weiterentwicklung der Vergütung ist wichtig. Da fallen wir hinten runter, systematisch hinten runter. Sind das Themen, dass wir überhaupt den Wert des ambulanten Versorgungssystems bei politischen Meinungsbildnern wieder verankern. Das war in den 70er und 80er Jahren völlig unstrittig. Da war in den Grundsatzpapieren zum Beispiel der CDU noch ausdrücklich drin gestanden der hohe Wert der Selbstverwaltung und der selbständigen freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen für die Versorgung. Die haben ja diese staatliche Aufgabe übertragen bekommen. Das ist in den Köpfen heutiger Politiker nicht mehr vorhanden. Das müssen wir wieder da reinpflanzen, denn es gibt keine Alternativstruktur. Die Frage, wer versorgt eigentlich Bürgerinnen und Bürger ambulant, stellt sich offenbar inzwischen auch für die Medien. In einer großen Tageszeitung war jetzt zu lesen, dass die Zahlen aufgegriffen wurden und der Journalist beeindruckt, aber auch anerkennend zur Kenntnis nahm, dass in einem Quartal über 60 Millionen Menschen versorgt wurden. Und wenn man sich diese Zahlen vor Augen hält und vergleicht, zum Beispiel mit stationären Zahlen, dann wird klar, wer soll denn 60 Millionen Menschen versorgen in wenigen Wochen außer dem ambulanten System. Diese Menschen waren alle beim Arzt oder einer Ärztin oder beim Psychotherapeuten oder Psychotherapeutin. Und es gibt keinen Plan B, es gibt keine Ersatzstruktur, die das auffangen könnte. Und dieses System an die Wand zu fahren, wäre grob fahrlässig und eine massive Verschlechterung der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Und die dritte Aufgabe, die wirkt eher nach innen. Es muss uns gelingen, vor allem zum Beispiel über die Weiterbildung im ambulanten System, die medizinisch zwingend notwendig ist, weil viele Krankheiten, viele diagnostische Wege und therapeutische Pfade gar nicht mehr stationär vorhanden sind. Das ist der medizinische Grund. Der inhaltliche Grund ist, dass das Kennenlernen des ambulanten Systems und die Versorgung, die ambulante Versorgung dadurch an die jüngeren Kolleginnen und Kollegen herangetragen wird. Und wir müssen deutlich machen, was für ein schöner Beruf es ist, was für ein selbstbestimmter Beruf es ist, freiberuflich und selbstständig zu arbeiten. Insbesondere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die dort besonders hoch ist, allemal höher als im Drei-Schicht-Betrieb eines Krankenhauses oder als Angestellter mit einem festen Arbeitsvertrag. Und das sind Dinge, die wir im nächsten Jahr ganz stark nach vorne bringen müssen. Wir müssen werben für unseren Beruf. Die Bürgerinnen und Bürger sind zu über 90 Prozent hochzufrieden. Das gibt es in keinem anderen Berufszweig, in keiner anderen Branche. Und die befragten Kolleginnen und Kollegen eben auch fast alle und fast alle sagen, wir würden noch mal diesen Beruf ergreifen. Und das ist ein bisschen untergegangen in den letzten Jahren. Das wird also auch 2023 eine Aufgabe sein, zu werben, positive Botschaften zu senden. Und in diesen drei Blöcken sehe ich die Hauptaufgaben für 2023.“

Welche Veränderungen erwarten Sie durch die VV-Wahlen in KVen und KBV?

„Wir haben die KV-Wahlen beobachtet, die ja im wesentlichen alle vollzogen sind und haben ruhige Wahlkämpfe erlebt, haben sehr sachliche Diskussionen erlebt, haben ja auch in der KBV in den letzten sechs Jahren erleben dürfen, dass sehr sachlich und auf sehr hohem Niveau diskutiert werden kann. Wir erwarten eine Verjüngung, wie sie es hoffentlich immer gibt bei Wahlen, vielleicht auch eine Zunahme der weiblichen Führungskräfte. Und wir gehen davon aus, dass wir weiter auf hohem Niveau sachlich arbeiten werden können mit den KVen. Und wir werden diesen engen Schulterschluss weiterhin suchen. Und die KBV wird in Abstimmung mit den KVen den Weg der letzten sechs Jahre konsequent und kontinuierlich weitergehen.“

Was möchten Sie für die Vertragsärztinnen und -ärzte im nächsten Jahr erreichen?

„Ja, in 2023 wäre uns ganz wichtig, dass wir das Thema ärztliche Weiterbildung für alle Bereiche, also auch im fachärztlichen, im psychotherapeutischen Bereich vorangebracht haben, den Gesetzgeber bewegen können, dort etwas zu machen. Die Notfallversorgung sollte stabil neu aufgestellt sein, möglichst in einem für uns lösbaren und in einer händelbaren Art. Außerdem wäre es ein großer Gewinn, wenn es gelänge, die Parlamentarier davon zu überzeugen, wie wertvoll das System der ambulanten Versorgung mit selbstständigen freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen ist.“

Was wünschen Sie sich für die gesundheitspolitische Arbeit in den kommenden Jahren?

„Dass uns zugehört wird, dass wir mitreden dürfen, mitgestalten dürfen. Denn wir sind keine Lobbyisten. Die KVen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung sind Körperschaften öffentlichen Rechts und der Gesetzgeber hat mit der Gründung der Bundesrepublik ganz bewusst den Auftrag der ambulanten medizinischen Versorgung per Gesetz und zwar dem dicksten Gesetz, das wir haben, und dem Gesetz mit den meisten Veränderungen jedes Jahr von allen Gesetzen uns übertragen. Und man hat sich damals etwas dabei gedacht, und das gilt auch heute noch. Und deswegen ist der einzige wichtige Wunsch, den ich habe: Hört uns zu. Wir sind bereit, Herausforderungen anzunehmen, wir entwickeln uns weiter. Die Kolleginnen und Kollegen da draußen arbeiten sehr hart, sehr engagiert, mit wirklich größtem Einsatz, wie man auch in Corona gesehen hat. Alle zusammen als Teams, die sind wandlungsfähig, die passen sich Herausforderungen an. Aber man muss uns schon zuhören, wie es am besten geht. Wir sind die Experten.“

Viele Baustellen der Gesundheitsversorgung gab es Anfang 2022, die mit Hilfe des neuen Bundesgesundheitsministers angegangen werden sollten. Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, blickt ernüchtert auf die vergangenen zwölf Monate. Ambulantisierung, Notfallversorgung, Digitalisierung - hier sind weiterhin viele Probleme ungelöst, die nun für 2023 auf der Agenda stehen. Dann müsse die ambulante Versorgung auch wieder stärker als erhaltenswertes Gut in den Köpfen der Politikerinnen und Politiker verankert werden, so Hofmeister.