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Notfallversorgung: Patienten besser steuern, im Zweifel auch mit einer Gebühr?

Warum ist eine Notfallreform so wichtig?

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV: „Also, es ist ja ein Thema der letzten Jahre immer wieder gewesen, dass wir erleben, dass insgesamt der Notdienst, ob es der ärztliche Bereitschaftsdienst ist oder die Notaufnahme in den Krankenhäusern nicht sachgerecht in Anspruch genommen werden. Das heißt, es gibt Klagen aus Krankenhäusern, vollgelaufene Notaufnahmen, Patienten, die sich beschweren, dass sie lange auf Notfallversorgung warten, und einer der Gründe ist sicherlich, dass ganz viele Menschen den ärztlichen Bereitschaftsdienst und die Notaufnahmen aufsuchen, eigentlich keine Notfälle im medizinischen Sinne sind. Und hier, glaube ich, muss eine bessere Steuerung her, da die Kapazitäten limitiert sind. Wir haben nicht unendlich Menschen, die diesen Dienst verrichten können. Das ist für die Vertragsärztinnen und -ärzte ja ein Dienst, den sie zusätzlich zu ihrer Praxistätigkeit verrichten, und insofern ist der leistbar für Menschen, die wirklich außerhalb der Sprechstundenzeit eine Behandlung brauchen, und natürlich für Unfälle, aber nicht für Befindlichkeitsstörungen oder für Dinge, die man am Tag einfach nicht erledigen konnte oder wollte.“

Wie können Patienten gesteuert werden?

„Also, wir wollen natürlich verhindern, dass Menschen, die ärztliche Hilfe brauchen, diese nicht bekommen, und auf der anderen Seite gibt es natürlich viele Bedarfe, die auch berechtigt sind, aber eben nicht im Notdienst abzufrühstücken sind, und von daher ist eine Patientensteuerung von Nöten, und das kann man zum Beispiel sehr gut mit einer standardisierten medizinischen Ersteinschätzung machen, die telefonisch oder über webbasierte Applikationen erfolgen. Gegebenenfalls können dann sogar Kolleginnen und Kollegen zugeschaltet werden, wenn die Probleme diffiziler werden, und damit klingt es sehr zuverlässig, besonders gravierende Krankheitsbilder oder gefährliche Krankheitsbilder rauszufiltern. Das wird in der Schweiz seit vielen Jahren praktiziert, und auch wir haben millionenfache Erfahrungen mit diesem SmED-System, und dann könnten die Patienten gemäß ihrer Ersteinschätzung die Empfehlung bekommen, beispielsweise in den nächsten Tagen ihre hausärztliche Praxis aufzusuchen, oder vielleicht sogar im anderen Extremfall, dass der Krankenwagen oder der Rettungswagen losgeschickt wird und sofortige medizinische Hilfe angefordert wird.“

Was haben Sie mit einer Notfallgebühr gemeint?

„Die Notfall-Gebühr löst ja reflexartige Reaktion auf, wie man immer wieder feststellen kann. Zum einen ging es natürlich gar nicht darum, jetzt Kassenpatienten da besonders zu beschweren, sondern es gilt für alle Menschen, die den Notdienst, sei es der ärztliche Bereitschaftsdienst oder die Krankenhaus-Ambulanz, ohne Notwendigkeit aufsuchen. Die Notwendigkeit würde durch die medizinische Ersteinschätzung dokumentiert, und alle, die sich sozusagen dieser Ersteinschätzung nicht widersetzen, aber sie ignorieren und trotzdem eben diesen Dienst in Anspruch nehmen, müssten eine Fehlinanspruchnahme-Gebühr entrichten. Die könnte auch völlig unbürokratisch im Rahmen der Abrechnung über die Krankenkassen abgerechnet werden, und die Krankenkassen könnten dann bei ihren Versicherten um die Einholung dieser Gebühr nachhalten. Das muss gar nicht von den Kolleginnen und Kollegen oder den entsprechenden notdienstleistenden Stellen geregelt werden.“

Sollen Menschen aus der Notfallversorgung ferngehalten werden?

„Also entscheidend ist natürlich, dass wir, dass es völlig unstrittig ist, dass die Menschen, die ärztliche Hilfe außerhalb der Sprechzeiten brauchen, für die gibt es den ärztlichen Bereitschaftsdienst und gibt es die Notaufnahmen. Aber die Kapazität ist halt endlich, und von daher müssen wir eine Situation schaffen, dass Bürger, die unsicher sind in medizinischen Fragestellungen eine Anlaufstelle bekommen, bei der sie entsprechende Informationen bekommen, und die Zuordnung in die richtige Versorgungsebene. Wenn das gewährleistet ist, dann, glaube ich, ist es auch zumutbar, dass Menschen, wenn sie dann sich dieser Empfehlung entziehen, mit einer Gebühr belastet werden. Es geht natürlich nicht darum, wirklich Kranke aus dem Notdienst fernzuhalten, denn für diese Menschen ist er ja etabliert worden, und jetzt wird man sicherlich in der Feinabstimmung schauen müssen, wo man hier entsprechende Tatbestände definiert. Sicherlich wird niemand Eltern, die mit ihren fiebernden Kindern unsicher sind, aus den ärztlichen Bereitschaftsdienst-Praxen fernhalten wollen. Aber ich denke, Rückenschmerzen, die seit drei Wochen bestehen, sind für jeden erkennbar kein Grund, abends ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.“

Was muss getan werden, um Patienten besser zu informieren?

„Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das ist keine originäre Aufgabe der Vertragsärzte. Da wird, glaube ich, auch der Sicherstellungsauftrag sehr weit interpretiert. Der ist in der Form, wie er mitunter politisch kommuniziert wird, nämlich, dass jeder alles zu jeder Zeit überall bekommen kann, schlicht nicht durchhaltbar. Und in dem Fall muss man einfach sagen, ist der Sicherstellungsauftrag nicht erfüllbar. Von daher muss er auf das normale Maß zurückgeführt werden. Der Paragraf 12 des SGB V sagt es relativ deutlich: wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig, und das ist eben weit davon entfernt Komfort-Behandlung 24/7 überall und für jeden, und das, glaube ich, ist zum einen mal eine wichtige Information, die auch politisch kommuniziert werden müsste, und dann muss natürlich eine solche Struktur vorgehalten werden. Die kostet Geld, die muss vorfinanziert werden, und die kann nicht von den Ärzten vorfinanziert werden, die ja schon mit dem Dienst beschwert sind. Dass die jetzt diesen Dienst noch selber finanzieren, ist ja zugegebenermaßen eine aberwitzige Konstruktion. Von daher ist das eine Daseinsfürsorge, die aus meiner Sicht durch Steuergelder finanziert werden müsste, wie man letztlich auch die Feuerwehr finanzieren muss, in der Hoffnung, dass sie nie rausfahren muss und das möglichst wenig brennt. Aber das ist eine Leistung, die muss einfach gestellt werden. Dann gibt es auch eine für alle verfügbare Informationsplattform, sei es über Telefon oder Web, und dann kann man den Menschen auch abverlangen, diese zu nutzen. Die Struktur muss natürlich vorher geschaffen werden.“

Welche Rolle spielt dabei die 116117?

„Die 116117 ist mittlerweile eine sehr bekannte Nummer, viel bekannter, als wir uns vor wenigen Jahren noch hätten träumen lassen. Da hat sicherlich die Corona-Pandemie einen positiven Effekt gab, weil sie von dem als Informationsnummer des Bundeskanzleramtes damals sogar genutzt wurde, und insofern kennen mittlerweile sehr viele Menschen die 116117, und das ist ja dann auch die richtige Nummer und die richtige Anlaufstelle für Beschwerden, die nicht den klassischen medizinischen Notfall mit Lebensgefahr oder schwerer körperlicher Versehrtheit definieren. Also, wir reden ja nicht von Unfällen, Schlaganfällen, Herzinfakten. Das sind klassische Dinge, wo auch mal der Krankenwagen raus muss oder der Notarzt. Aber viele der Punkte, die in den Notaufnahmen und in den ärztlichen Bereitschaftsdienst-Praxen aufschlagen, sind ja Bagatellerkrankungen oder eher medizinische Fragestellungen.“

Was muss aus KBV-Sicht jetzt unbedingt getan werden?

„Also, zunächst müsste es mal einen Konsens darüber geben, was ist denn wirklich notwendig in der Notfallversorgung, und gibt es die Überlastung. Ich bin mitunter erstaunt, dass es jetzt etliche Krankenhäuser gibt, na ja, das ist alles gar nicht so schlimm, und wir brauchen da gar nichts regeln, weil wir doch uns daran gewöhnt haben, dass wir praktisch jeden Monat aus den Krankenhäusern Wasserstandsmeldungen haben, wie fürchterlich die Notaufnahmen überlaufen sind, was sich offen gestanden in dem Patientenzahlen nicht wirklich abbilden lässt. Denn wir wissen, dass sicherlich in Großstadtzentren Notaufnahmen stark frequentiert werden. Über die Republik gezogen ist die durchschnittliche Frequenz aber bei zwischen 0,5 und einem Patienten pro Stunde. Es wäre halt jetzt erst mal zu klären, ist es ein Problem für die Krankenhäuser oder nicht? Sollte es tatsächlich gar kein Problem sein, dann gibt es natürlich keinen Handlungsbedarf. Dann könnten die Krankenhäuser ja ohne weitere Probleme diesen Notdienst auch leisten. Ist es ein Problem, und so habe ich es bisher verstanden, dann sollte man nach einer gemeinsamen Lösung suchen.“

Wie zuversichtlich sind Sie da?

„Na ja, ich glaube, dass es einfach eine normative Kraft des Faktischen gibt. Also, wenn es ein Problem gibt, dann wird man das lösen müssen, weil es sonst perspektivisch halt Versorgungslücken gibt und eine Situation, wie wir sie in Berlin im letzten Jahr hatten, das an mehreren Tagen tatsächlich die Feuerwehr melden musste, wir haben aktuell keine Fahrzeuge zur Verfügung. Das heißt übersetzt: Ein schwerer Autounfall und die Feuerwehr ist nicht in der Lage, da Krankenwagen hin zu senden, ist in meinen Augen eine dramatische Entwicklung, die auch nicht akzeptabel ist. Und von daher finde ich es auch leichtfertig, so zu tun, als gäbe es gar kein Problem, denn die Menschen, die wirklich den ärztlichen Notdienst brauchen, sind letztlich die, die leidtragend sind, wenn dieser Notdienst durch Bagatellerkrankungen blockiert ist.“

Die Notfallversorgung muss reformiert werden. Ein Kernelement: eine bessere Patientensteuerung. KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen hatte dazu sogar eine Notfall-Gebühr vorgeschlagen. Was er damit konkret meint und was die nächsten Schritte hin zu einer dauerhaft funktionierenden Notfallversorgung sein müssen, erläutert er im Video.