Post-COVID in den Praxen
Wie häufig ist Post-COVID?
Dr. Stephan Hofmeister, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV: Ja, die Diagnosen, die sich hinter Post- oder Long-Covid verbergen, sind ja ein großes Konglomerat an Symptomen. Und wir hatten im Januar bis September 2021 in den abgerechneten Quartalen etwa 300.000 solcher Fälle bei deutlich über 4 Millionen gesicherten COVID-Infektionen, wissend, dass die Zahl der COVID-Infizierten mindestens doppelt so hoch war.
Kann die Diagnose aus den Abrechnungsdaten klar ermittelt werden?
Ja, es gibt ICD-Ziffern dafür, sodass all das, was sich darunter subsummiert und das ist ja ein ganz bunter Strauß, zumindest in den Diagnosen, in den Abrechnungsdaten klar auftaucht.
Mit welchen Beschwerden wenden sich Betroffene an die Praxen?
Ja, die Beschwerden gehen von den klassischen Fatigue-Beschwerden nach viralen Infekten, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Konzentrationsmängel, körperliche Schwäche bis hin zu in ganz seltenen Fällen schwereren symptomen, wo dann häufig eigentlich Post-Beatmung, Post-Intensivstation der eigentliche Auslöser ist, also vergleichbare Symptome, wie sie auch andere Patienten haben, die aus der Langzeit-Beatmung kommen. Das ist so die ganze Bandbreite.
Wie langwierig ist die Behandlung?
Also von den Patientinnen und Patienten, die mit Post- oder Long-COVID diagnostiziert sind, sind die ganz große Mehrheit, deutlich über 60 %, nur ein Quartal in Behandlung. Unter 20 %, etwa 19 %, sind in diesen drei Quartalen jeweils insgesamt in Behandlung gewesen und Rehabilitation ist im einstelligen Prozentbereich von den mit Post- oder Long-COVID identifizierten.
Besteht besonderer Behandlungsbedarf?
Wir sehen nicht, dass Post-COVID die neue Volkskrankheit ist oder gar so bedrohlich, wie sie manchmal jetzt an die Wand gemalt wird, also ein Szenario, das wirklich uns alle vor furchtbare Probleme stellt. Aber erstens ist die Diagnose ausgesprochen arbeitsintensiv in den Praxen, vor allem natürlich auch in den hausärztlichen Praxen, aber auch bei Fachärzten, Pulmologen. Es gibt ja auch Veränderungen, zum Teil im Gewebe, Lungengewebe, also in den Gefäßen. Gleichzeitig ist die Symptomatik so diffus, dass es die Therapie oder eine Therapie nicht gibt. Das ist eine der größten Herausforderungen. Noch mal: Es geht vom Chronic Fatigue, vom Syndrom der chronischen Müdigkeit in seinen auch wiederum sehr bunten Auswirkungen und Symptomen bis hin zu schweren Post-Beatmungssyndrom mit organischen Veränderungen an Lunge, an Gehirn, an anderen Organen. Das ist die Bandbreite und deswegen gibt es nicht eine Therapie, sondern tatsächlich ist es vor allem sehr, sehr zeitaufwendig und sehr viel sicher auch aus dem Bereich der psychosomatischen oder psychotherapeutischen Betreuung, wenn es zur chronischen Müdigkeit, zu Leistungsabgeschlagenheit, Konzentrationsmängeln kommt oder depressiven Verstimmungen zum Beispiel.
Benötigen die Praxen Unterstützung bei der Behandlung von Long-COVID-Patienten?
Es gibt zunehmend jetzt Netzwerke. Viele KVen haben auch solche Netzwerke gegründet, in denen ausgetauscht wird Informationen zu Long- und Post-COVID, in denen sortiert wird: Was haben wir eigentlich an Erkenntnissen? Welche Krankheitskomplexe ähneln einander, welche Therapiekonzepte können sinnvoll sein? Psychotherapeuten sprechen häufig auch von einer Überlagerung, also ein Long-Lockdown-Syndrom. Wir haben mit Sicherheit großen Einfluss auch durch die zwei Jahre extremen Ausnahmezustand. Der macht ja auch was mit den Menschen. Auch der macht sicher chronisch müde, abgeschlagen. Das heißt, wir haben ein auch hier ganz großes Portfolio an Möglichkeiten. Und jetzt ist die Devise forschen zum einen, ganz wichtig. Post-virale Erkrankungen sind nicht gut erforscht, die gibt es auch mit anderen Viren. Und zweitens Netzwerke bilden, um Erfahrungen auszutauschen, an Leitlinien zu arbeiten. Das wird gemacht auf breiter Front und im ambulanten System ganz vorneweg.
Welche Auswirkungen hat Post-COVID auf die behandelnden Praxen?
In den Praxen ist vor allem der Ansturm mit Fragen, mit Unsicherheit sehr groß. Und wenn eine Krankheit, so wie jetzt medial auch sehr in den Vordergrund gespielt wird, dann überlagert sich das auch ein bisschen. Und die Patientinnen und Patienten können sehr beunruhigt sein, können sehr in sich hineinhören. Und das führt in den Praxen zu einem enormen Beratungsaufwand. Beruhigungsaufwand. Identifikationsaufwand. Ist das wirklich im Zusammenhang mit COVID? Ist da eine Überlagerung? Wir haben durch das ZI auch nachgewiesen bekommen, dass sehr, sehr viele Menschen, die auch vor COVID bereits Anpassungsstörungen hatten, psychosomatische Störungen und Krankheiten aus dem psychosomatischen Formenkreis hatten, jetzt wieder auch mit einer COVID-Infektion in den Praxen auftauchen, sodass sehr schwer zu sagen ist, ist das jetzt mit COVID sozusagen als Auslöser zu sehen oder ist das nicht ein vorher schon bestehendes Krankheitsbild. Das heißt, es ist für die Praxen enorm viel Arbeit und die Verunsicherung der Patientinnen und Patienten muss aufgefangen werden. Das braucht Zeit, das ist die Arbeit der Praxen, das können die auch. Aber es ist eine enorme Belastung.
Die akuten Corona-Infektionszahlen fallen. Zeit, einen Blick auf die Langzeitwirkung des Virus zu werfen: Post- und Long-COVID. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) hat dafür Abrechnungsdaten des vergangnen Jahres ausgewertet. Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, stellt dar, was die Ergebnisse für die Praxen bedeuten.