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Reden

Bericht von Dr. Thomas Kriedel an die Vertreterversammlung

Rede des KBV-Vorstandsmitglieds am 11. September 2020

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Damen und Herren,

keine Frage: Hinter uns liegen entscheidende Wochen und Monate – wie meine beiden Vorstandskollegen schon dargelegt haben. Nicht nur im Hinblick auf die Corona-Pandemie. Auch im Hinblick auf die Digitalisierung. Das Wort an sich drückt ja schon aus, dass es sich um einen Prozess handelt: Dinge, Abläufe, Informationswege werden digitalisiert.

Aus dem gelben Schein wird die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (e-AU), aus dem gelben Büchlein der e-Impfpass. Es geht also darum, die digitale Version von Vorhandenem zu gestalten, viele mögliche Wege abzuwägen, mit all den Vor- und Nachteilen. 

Deshalb haben wir uns sehr früh dazu entschlossen, die Digitalisierung des Gesundheitswesens aktiv mitzugestalten, gegebenenfalls auch neu zu denken – im Sinne der Praxen.

Dennoch: In den Praxen herrscht großer Frust. Über die schiere Masse an Vorgaben, die auf sie einprasselt. Auch über das Fehlen der erforderlichen Technik, angesichts drohender Sanktionen. Und über die Kosten, die trotz Finanzierungszusagen in Teilen bei den Praxen hängen bleiben. 

Leider haben viele vergessen, dass Digitalisierung nicht auf der grünen Wiese stattfindet. Sie greift in schon bestehende Infrastrukturen ein, die selbst schon einen hohen Grad an Komplexität aufweisen. Wer die Digitalisierung in den Praxen ernsthaft und nachhaltig voranbringen möchte, der muss diese Komplexität berücksichtigen – und die Praxen mit ihren Belangen ernst nehmen.

Von Anfang an haben wir daher mit Ihrem Input aus den Praxen und aus den KVen jedes einzelne Vorhaben rundherum genau analysiert – um die konkreten Auswirkungen nach Möglichkeit frühzeitig absehen zu können. Und: um gegenzusteuern, wenn die Nachteile für Praxen überwiegen.

Gegensteuern ist Teil unseres Arbeitsalltags: auf politischer Ebene, auf Verbandsebene, in Gremien. Wir stehen – wie man so flapsig sagt – ständig auf der Matte bei Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), GKV-Spitzenverband (GKV-SV) oder gematik. Wir telefonieren, verhandeln persönlich und nehmen schriftlich Stellung.

Manches davon öffentlich; meist aber – das zeigt die Erfahrung – müssen wir die vielen kleinen Verhandlungsschritte aus taktischen Gründen vertraulich halten. In der Konsequenz heißt das mitunter, dass wir in Richtung Praxen erst kommunizieren können, wenn das Verhandlungsergebnis vorliegt. Fällt dann das Ergebnis nicht in unserem Sinne aus, fällt das auch auf uns zurück.

Da spielen unsere Stellungnahmen, Argumente und Positionen keine Rolle mehr. Auch das ist unser Job. Und in diesem Ringen um Durchsetzung der Interessen landen wir – um bei dem Bild des Ringens zu bleiben – auch mal auf der Matte.

So zum Beispiel, als es nach der großen TI-Störung in der gematik-Gesellschafterversammlung um die Frage der Kostenerstattung ging. Natürlich haben wir im Hinblick auf Höhe und Frist ein Veto eingelegt, haben unsere Gegenargumente vorgetragen. Wir haben alles getan, das in unserer Macht stand.

Aber: Wir wurden überstimmt. Ich erinnere daran: Wir sind Minderheitsgesellschafter in der gematik. Das BMG hat sich nicht ohne Grund 51 Prozent einverleibt. Und dann sitzen da ja auch noch andere Gesellschafter am Tisch. Könnten wir alleine entscheiden, sähen viele Dinge anders aus. 

  • Die e-AU würde erst dann eingeführt, wenn der gesamte Prozess digitalisiert wäre, ohne Nebeneinander von Papier und Digital. 
  • Die Komfortsignatur wäre von Anfang an möglich.
  • Die Praxen würden die kompletten Kosten erstattet bekommen – und zwar auch die Folgekosten im Dauerbetrieb. Jeden einzelnen Euro. 
  • Die Krankenkassen würden ihre Verwaltungsaufgaben selbst übernehmen, wie das Versichertenstammdaten-Management. 
  • Und es gäbe keine Sanktionen, sondern Anreize für Praxen, wie echte Arbeitserleichterungen von Anfang an.
  • Wenn wir allein entscheiden könnten:
  • Würden Praxen nicht für Verzögerungen bestraft, die andere verursachen. 
  • Müssten wir uns bei Angebot und Preis nicht allein auf die Regulierungskräfte des Marktes verlassen. Wenn man überhaupt von einem Markt sprechen kann. Bei den Lesegeräten beispielsweise gibt es gerade einmal einen Anbieter.
  • Und vor allem: Bei Störfällen in der Telematikinfrastruktur (TI) würden die Praxen umgehend informiert: transparent, ehrlich und fortlaufend.

Ja, wenn wir alleine entscheiden könnten.

Doch, wie man so schön sagt: Das Leben – und die Digitalisierung – sind kein Wunschkonzert.
Aber zum Glück ist es auch nicht wie beim Fußball, wo Otto Rehhagel festgestellt hat: Mal verliert man, mal gewinnen die anderen. Wir verzeichnen Siege! Indem wir jeden Kanal, jede noch so kleine Einflussmöglichkeit nutzen. Manchmal sind es Etappensiege; manchmal gewinnen wir das gesamte Match. 

Wie bei der Heilmittel-Richtlinie. Jahrelang haben wir auf die Erleichterungen für die Praxen hingearbeitet und das mit Erfolg: Die Systematik wird deutlich einfacher. Der Heilmittelkatalog überschaubarer. Und vor allem: Es gibt nur noch ein Formular für alle Heilmittel und nicht mehr drei verschiedene. Ein Dank an dieser Stelle an die Formularwerkstatt der KV Westfalen-Lippe für die gute Zusammenarbeit. 

Leider zeigt sich jetzt auf der Zielgeraden, dass nicht alle Softwarehäuser in der Lage sind, bis zum geplanten Stichtag, dem 1. Oktober, ihre Praxisverwaltungssysteme (PVS) auf die neue Heilmittel-Richtlinie umzustellen. Deshalb haben wir binnen kürzester Zeit im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einen Antrag auf Fristverschiebung für die Praxen gestellt; diese ist in der vergangenen Woche beschlossen worden. Das BMG hat ebenfalls Zustimmung signalisiert. Insofern hat sich der Kraftakt gelohnt. 

Allerdings: Rund ein Drittel der Hersteller hat die Software schon fertig. An sie mussten wir einen Brandbrief versenden, damit sie ihre Kunden noch nicht auf das neue System umstellen. Diese PVS-Hersteller haben pünktlich geliefert und hängen jetzt in der Warteschleife, bis ihre Mitbewerber nachziehen. 

Ein weiteres Beispiel, das zeigt, dass wir auf dem Platz nur ein Player von vielen sind. 
Umso wichtiger ist, dass wir die Regeln bereits im Vorfeld mitgestalten. Denn – Stephan Hofmeister hat es bereits deutlich angesprochen: Es kann nicht sein, dass jedes Foul und jeder Leistungsabfall der anderen Player zulasten der Praxen gehen. 

Das ist inakzeptabel! 
Da spielen wir nicht mit!

Ein weiteres Beispiel dafür: die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Sie wird zum 1. Januar zur Pflicht. Nun zeigt sich aber: Nicht alle Praxen werden rechtzeitig über alle erforderlichen TI-Komponenten verfügen können, vor allem nicht über das erforderliche Konnektor-Upgrade. Nicht, weil die Praxen nicht wollen, sondern weil sie die Technik gar nicht bekommen können.

Deshalb haben wir beim BMG die Zustimmung erwirkt zu einer Übergangsregelung: Bis Ende des dritten Quartals müssen nur jene Praxen die e-AU ausstellen und versenden, die auch technisch dazu in der Lage sind beziehungsweise sein können. Ein Etappensieg. Allerdings: Nun müssen noch die Krankenkassen zustimmen. Sie stellen sich aber quer; wollen die Übergangszeit verkürzen auf Ende des zweiten Quartals.

Dies haben wir in einem Schreiben an den Vorstand des GKV-SV sehr deutlich abgelehnt. Hier steht das Ergebnis noch aus. Auch, weil die Krankenkassen auf das Bundesarbeitsministerium Rücksicht nehmen müssen, wegen verpflichtender Testläufe zum 1. Juli.

Wir fordern ausdrücklich umfängliche Praxistests. Das sieht im Übrigen die Industrie genauso. Und zwar: mit grundlegenden Prozessänderungen und Nachbesserungen, wenn sich herausstellt, dass die vorgesehene Konfiguration nicht praktikabel ist. Denn auch die Industrie wird oftmals durch zu enge zeitliche Vorgaben überfordert.

Wir meinen Praxistest im wörtlichen Sinne: Tests in Praxen, und zwar breit ausgerollt und mit genauso viel Zeit, wie sie den Arbeitgebern eingeräumt wird. Und: bevor alle Praxen die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen müssen. Diese Forderung erweitern wir auf alle digitalen Anwendungen, die da kommen mögen. Verbunden mit der Bedingung: Praxen müssen von Fristen befreit werden, wenn sie die technischen Voraussetzungen gar nicht erfüllen können, weil es die Geräte noch nicht gibt. Die Zeiten von Bananen-Software und Hardware, in denen die Ware erst beim Kunden reift, müssen endlich vorbei sein!

Eine Frist, die wir – gewissermaßen in Ihrem Auftrag – nicht einhalten, betrifft die IT-Sicherheitsrichtlinie. Seit der letzten VV hatten wir, wie von Ihnen beschlossen, nicht mehr an dem offiziellen Entwurf weitergearbeitet. Wir sind dennoch nicht untätig geblieben. Wir haben eine Arbeitsgemeinschaft mit KV-Beteiligung eingerichtet. Wir haben regelmäßig sondiert: beim BSI, bei den Kassen; ohne Erfolg.

Und beim BMG. Und dort zeigt sich: Unsere Hauptforderung – eine umfassende gesetzliche Finanzierungsgarantie – wird es nicht geben. Und deshalb können wir Ihnen heute keinen Entwurf für eine Sicherheitsrichtlinie zur Abstimmung vorlegen.

Ich kann da Andreas Gassen nur beipflichten: Wie sollen wir den Praxen vermitteln, dass sie selbst – und wir sprechen hier mehrheitlich von Einzel- und Kleinunternehmern – die Kosten für die Digitalisierung der ambulanten Versorgung schultern sollen? Während der Bund den Krankenhäusern und den Ländern ein Milliardenpaket auf dem Silbertablett serviert! Auch den Bundesländern, die jahrelang ihre gesetzliche Finanzierungspflicht und Verantwortung absichtlich oder unabsichtlich verschlafen haben! 

Die Interessen der Praxen vertreten wir ebenso deutlich und klar bei der elektronischen Patientenakte (ePA). Diese Klarheit fordern wir gleichfalls von der Politik ein, sowie von der gematik und von der Industrie. Die Praxisverwaltungssysteme sind noch nicht soweit.

Die Einwände des Bundesdatenschutzbeauftragten haben bei den Krankenkassen zu Unsicherheit darüber geführt, wie sie ihre ePAs gestalten können und müssen. So oder so: Wir brauchen ausreichend Vorlauf und zuverlässige Technik für die Praxen – und auch hier eine klare und vor allem verlässliche Kommunikation; vor allem von der gematik.

Diese ist eigentlich grundsätzlich für die Technik zuständig. Da gibt es eine klare Aufteilung. Es zeigt sich aber zunehmend, dass die gematik über die Technik auch viel an Inhalten steuert; auch beim eRezept. 
Zeitgleich beobachten wir eine weitere ungute Entwicklung:

Die gematik hat gemeinsam mit Verbänden der IT-Wirtschaft ein Konzept beim BMG vorgelegt:  für eine Kommission zu Fragen der Interoperabilität. Sie soll das BMG bei der E-Health-Strategie der Bundesregierung unterstützen. Beim ersten kursorischen Lesen sieht es so aus, als ob keiner der gematik-Gesellschafter im Entscheidungsgremium vorgesehen ist, also auch kein Verband des Gesundheitswesens!

In dem Konzept ist interessanterweise die Rede von einer „marktgerechten Geschwindigkeit“. Aus dem Kontext müssen wir das so auslegen: Es soll künftig schneller gehen mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Das fordert die Industrie. Jene Industrie, die bereits jetzt überfordert ist; zumindest etliche der Hersteller.
Insgesamt stellt sich also die Frage: Ist die gematik eigentlich noch eine Gesellschaft der Gesellschafter? Oder ist sie inzwischen eine nachgeordnete Behörde des BMG? Die Antwort auf diese Frage überlasse ich hier gerne Ihnen.

Und das allein ist noch nicht alles! Bis diese Kommission voll arbeitsfähig wäre, würden nach Planung der Autoren drei bis vier Jahre ins Land ziehen. So sieht Beschleunigung bei gematik und Industrie aus!
All das beobachten wir mit Sorge. Wir werden hier weiterhin sehr wachsam sein und dagegenhalten.
Das ist auch wichtig bei den Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs), den Apps auf Rezept. Hier kommt ein komplett neuer Versorgungsbereich auf uns zu. Hier sind wir gefordert.

Doch leider ist nicht der G-BA für zuständig erklärt worden, also die gemeinsame Selbstverwaltung. Sondern: das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArm), eine Behörde. Der Gesetzgeber hat also eingespielte Prozesse verlassen. Das allein verursacht Zusatzaufwand und Zeitverlust. So müssen wir sozusagen vom Spielfeldrand aus versuchen, den Spielverlauf im Sinne der Praxen zu beeinflussen. Beispielsweise haben wir dem BfArm eine Liste übergeben, mit geforderten Informationen für die Praxen. Informationen zu jeder einzelnen App, die als verschreibungsfähig zugelassen wird. 

Wir brauchen Klarheit: Wie weit reicht der ärztliche Ermessensspielraum? Muss der Arzt eine App verschreiben, wenn der Patient dies wünscht? Gilt das Prinzip von WANZ, also von wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig? Zu viele Fragen sind noch unbeantwortet. Dabei soll es noch in diesem Jahr die ersten Apps auf Rezept geben. Bei der Kommunikation und Information hat der Gesetzgeber schlichtweg versagt. 

Zeitgleich liefern wir gefühlt schon wie am Fließband: Bei den uns aufgetragenen MIOs hat die KBV die gesetzlichen Bestellungen pünktlich und gut geliefert: die Medizinischen Informationsobjekte (MIO) e-Impfpass und Zahn-Bonusheft liegen vor, Mutterpass und U-Untersuchungsheft werden wir bis zum Jahresende vorlegen.
Was wir ebenfalls in Kürze vorlegen werden: unseren KIM-Dienst kv.dox, exklusiv für Vertragsärzte, Vertragspsychotherapeuten und Kassenärztliche Vereinigungen. Und ja: Es ist im Zuge der Zulassung zu Verzögerungen gekommen. Deshalb haben wir die gematik in einem Schreiben aufgefordert, das Verfahren zu beschleunigen. 

Mit kv.dox können Praxen dann mit allen anderen in der Telematikinfrastruktur sicher und zuverlässig kommunizieren – egal, welches Praxisverwaltungssystem oder welcher Konnektor; unbegrenzt viele Nachrichten, Arztbriefe oder e-AUs. Zu festen, refinanzierten Preisen und monatlich kündbar. All diese Eigenschaften waren uns wichtig, weil sie für die Praxen wichtig sind.

Genau darum geht es: Wer die Digitalisierung in den Praxen ernsthaft und nachhaltig voranbringen möchte, der muss die Praxen und ihre Belange ernst nehmen. Wir tun das. Wir sind damit jedoch darauf angewiesen, dass es die entscheidenden Player ebenso tun: das BMG, die gematik, die Industrie, die Krankenkassen.

Alles andere als hilfreich für die Akzeptanz ist es, wenn die Industrie höhere Kosten für den Konnektor in Rechnung stellt, als die bisherige Finanzierungsvereinbarung abdeckt. Und dass die Kassen nicht bereit sind, die Finanzierungsvereinbarung anzupassen. Das ist unzumutbar für die Praxen. Deshalb haben wir das Schiedsamt angerufen. Das Schiedsverfahren läuft.

Genau deshalb hat sich in den Praxen so großer Ärger aufgestaut. Dieser Ärger ist berechtigt. Und deshalb sind auch unsere Forderungen berechtigt! Wir fordern im Wesentlichen drei Dinge:

  • ausreichend Zeit,
  • ausreichende Testphasen vor dem Scharfschalten,
  • und eine auskömmliche Finanzierung.

Trotz aller Kritik: Die Praxen stehen einer sinnvollen Digitalisierung offen gegenüber. Das hat das PraxisBarometer Digitalisierung mehrfach gezeigt. Im November präsentieren wir die Ergebnisse der diesjährigen Befragung. Interessant wird es sein zu sehen, inwieweit sich auch die Coronakrise aus Sicht der Praxen auf die Digitalisierung ausgewirkt hat.

Noch ist nicht zu erwarten, dass sie sie in der Befragung rundweg als selbstverständlich und positiv einstufen. Aber so war es zunächst auch mit dem Qualitätsmanagement (QM). Als QM zur Pflicht wurde, gab es Widerstände. QM galt als lästige Zusatzbelastung. Inzwischen schätzen viele Praxen das Werkzeug des Qualitätsmanagements als Vereinfachung.

Der Bericht der 10. Stichprobenerhebung an den G-BA bestätigt erneut: Die Praxen leben QM. Der Stand der Umsetzung ist hervorragend, unabhängig von Zulassungsdauer, Einrichtungsart oder Einrichtungsgröße.
Das ist auch bei der Digitalisierung unser Ziel. Aber nochmal: Dann darf die Digitalisierung den Praxen keine zusätzlichen Kosten, unnötigen Pflichten oder überbordende Bürokratie aufzwingen.

Die vergangenen Monate wurden auch in dieser Hinsicht als belastende Ausnahmesituation wahrgenommen – durch komplexe, schwer nachvollziehbare Vorgaben und oftmals unklare Zuständigkeiten. Trotzdem haben die Praxen den Großteil der Versorgung getragen.

Um das noch einmal deutlich zu unterstreichen: Sechs von sieben Patientinnen und Patienten wurden ambulant behandelt. Hinzu kamen die Tests und die Regelversorgung. Wer also den Praxen mangelnde Bereitschaft und Engagement vorwirft, könnte nicht mehr danebenliegen.

Nun gilt es gerade auch im Lichte der Bürokratielast die Erkenntnisse aus dieser Ausnahmezeit sinnvoll in den Praxisalltag zu übertragen: beispielsweise bei der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung (sQS). Deren Grundidee war und ist nachvollziehbar: nämlich bei der Qualitätssicherung auch die Versorgungsverläufe zu berücksichtigen.

Die Anforderungen gehen allerdings mittlerweile viel zu weit und rauben den Ärztinnen und Ärzten Zeit. Die fehlt in der Versorgung und wird bekanntlich ohnehin immer knapper. Deshalb sollten aus unserer Sicht die zu liefernden Daten für die sQS reduziert und die Zeitabstände vergrößert werden. Also:

  • beispielsweise fünf Qualitätsindikatoren anstatt 19, wie bei der „Perkutanen Koronar-Intervention und Koronar-Angiographie“
  • und Stichproben-Erhebungen anstatt Voll-Erhebungen.

Dies sind nur zwei von vielen Vereinfachungen, die wir fordern und aktiv vorantreiben. 

Um das nochmals zu sagen: Uns geht es um das Wie und um das Wieviel. Qualitätsförderung und Qualitätssicherung an sich sind sinnvoll und dienen der Patientensicherheit. Genau deshalb müssen sie die Ärzte bei ihrer Arbeit unterstützen und nicht behindern.

So beweisen ja auch die KVen seit nunmehr bald fünf Jahren ihr Engagement als verlässliche Datenannahmestellen für die sQS. Und nun noch mehr: mit der Bereitschaft, auch die Aufgabe der Datenvalidierung zu übernehmen – an Stelle von möglichen MDK-Besuchen in den Praxen. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen der VV,
in den zurückliegenden Wochen und Monaten hat sich gezeigt: Die Hoffnungen, die der Gesetzgeber in die Telematik-Infrastruktur setzt, sind in der Praxis – derzeit – nicht erfüllbar. Die Praxen wollen den Fortschritt, der mit der Digitalisierung versprochen wird. Aber nicht zu diesen Bedingungen!

Wie Stephan Hofmeister vorhin sagte: Das Coronavirus ist gekommen, um zu bleiben. Auch die Digitalisierung ist gekommen, um zu bleiben. Und während dem Virus ausschließlich Negatives anhaftet: Die Digitalisierung birgt zumindest das Potenzial, viel Positives zu bewirken.

Den Ärger löst eben nicht die Digitalisierung per se aus. Sondern die Art und Weise, wie sie vorangetrieben wird. Und ich will das noch einmal sagen: Wer die Digitalisierung in den Praxen ernsthaft und nachhaltig voranbringen möchte, der muss die Praxen und ihre Belange ernst nehmen!

Und so liegen nicht nur wichtige Wochen und Monate hinter uns. Es stehen ebenso entscheidende Wochen und Monate an. Und wir werden uns weiter aktiv und vehement im Sinne der Praxen dafür einsetzen, dass in diesen Wochen und Monaten die richtigen Entscheidungen getroffen werden.

Vielen Dank.
 

Es gilt das gesprochene Wort.