KZBV und KBV: Pandemie-Bewältigung und Handlungsbedarfe in der ambulanten vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung
Gemeinsames Positionspapier von KZBV und KBV
Deutschland hat die Corona-Pandemie bislang vergleichsweise gut bewältigt. Dennoch liegen kräftezehrende Wochen und Monate hinter unserem Gesundheitswesen und dem ambulanten Versorgungssektor, in denen die niedergelassene Zahn-/Ärzteschaft und ihre Praxisteams vor enormen Herausforderungen standen und auch nach wie vor stehen. Dabei ist es den Praxen und ihren Selbstverwaltungen, den Kassenärztlichen bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigungen unterstützt von ihren Bundesorganisationen, von Beginn der Pandemie an gelungen, schnell und flexibel auf die Herausforderungen zu reagieren und in extrem kurzer Zeit neben der Regelversorgung einen zweiten „Strang“ für die ambulante zahn-/medizinische Versorgung von mit dem SARS CoV 2 Virus Infizierten oder in Quarantäne befindlichen Patientinnen und Patienten aufzubauen.
Der ambulante Bereich konnte aufgrund vielfältiger Maßnahmen auf Bundes‐ und regionaler Ebene seine Qualitäten unter Beweis stellen und zeigen, warum er eine verlässliche, robuste und leistungsfähige Säule unseres Gesundheitssystems ist. Gleichzeitig hat die Pandemie wichtige Erfahrungen und neue Erkenntnisse für die Gesundheitsversorgung in Krisenzeiten zu Tage gefördert. Angesichts des Fortdauerns und Wiedererstarkens der Corona-Pandemie mit erneut steigenden Infektionszahlen und einer besorgniserregenden Dynamik sowie möglichen weiteren, auch regionalen Hotspots, aber auch, um für den Fall zukünftiger Pandemien und nationaler Katastrophensituationen vorbereitet zu sein, gilt es, dieses Wissen zu nutzen und die Krisenreaktionsfähigkeit des ambulanten Versorgungssektors in seiner Gesamtheit weiterzuentwickeln.
Hierzu gehören aus Sicht von KBV und KZBV folgende zentrale Punkte:
1. Verzerrungsfreie Fortschreibung der Gesamtvergütungen
Pandemien und nationale Katastrophensituationen sind atypische singuläre Entwicklungen und in keiner Weise repräsentativ. Gerade auch im Hinblick auf die Niederlassung von jungen Zahn- /Ärztinnen und Zahn-/Ärzten, ist es wichtig, dass krisenbedingte Verwerfungen, wie sie durch die aktuelle Corona-Pandemie ausgelöst wurden, nicht zum Anknüpfungspunkt für die Fortschreibung der Gesamtvergütungen im vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Bereich gemacht werden.
Insbesondere darf eine krisenbedingte Abnahme von Leistungsinanspruchnahmen, wie sie z.B. infolge der aktuellen Corona-Pandemie zu beobachten ist, nicht zur Grundlage für die prognostizierte Leistungsmenge des Folgejahres gemacht werden. Daher müssen die hierfür vorgegebenen Kriterien für den ärztlichen (§ 87a Abs. 3 und 4 SGB V) und den zahnärztlichen Bereich (§ 85 Abs. 3 SGB V) in Teilen unberücksichtigt bleiben bzw. auf andere Bezugszeiträume angewendet werden. Dies sollte gesetzlich klargestellt werden. Verwerfungen in Krisenjahren müssen bei der Festlegung der Gesamtvergütung im Folgejahr außen vor bleiben.
2. Verlässlicher Schutzmechanismus für die ärztliche und zahnärztliche Versorgung
Die Erfahrungen haben gezeigt, wie durch die mit einem Lockdown verbundenen Einschränkungen die Leistungsanforderung der Versicherten und damit verbunden die Leistungsmenge in den Praxen abrupt einbrechen kann, mit der Folge, dass Arzt- und Zahnarztpraxen in ihrer betriebswirtschaftlichen Situation hart getroffen werden können. Daher muss die Politik dafür Sorge tragen, die Infrastruktur der ambulanten Versorgung – und damit letztendlich die Versorgung der Patientinnen und Patienten – in solchen Zeiten zu sichern, um zu gewährleisten, dass die ambulante Versorgung trotz eines zwischenzeitlichen Rückgangs des Patientenstroms ungeschmälert und ununterbrochen zur Verfügung steht.
Ein Ende der Corona-Pandemie ist bislang nicht in Sicht. Angesichts des Fortdauerns und Wiedererstarkens der Corona-Pandemie mit erneut steigenden Infektionszahlen und möglichen weiteren, auch regionalen, Hotspots, aber auch für den Fall zukünftiger Pandemien und nationaler Katastrophensituationen muss sowohl für die ärztliche als auch für die zahnärztliche Versorgung ein verlässlicher, dauerhafter Mechanismus im SGB V etabliert werden, um unter angemessener Mitwirkung der Krankenkassen eine nachhaltige Aufrechterhaltung der Infrastruktur der vertragsärztlichen und der vertragszahnärztlichen Versorgungsstrukturen in Krisenzeiten und darüber hinaus zu gewährleisten. Dieser Ansatz muss der erkennbaren Weiterentwicklung der Corona-Strategie mit einer Konzentration auf regionales Infektionsgeschehen in der Gestalt z.B. von Hotspots und vergleichbaren Ereignissen Rechnung tragen.
KBV und KZBV fordern, dass der in der Corona-Pandemie eingeführte Schutzschirm für die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte mit finanziellen Ausgleichszahlungen durch die Krankenkassen zu einem regel- und dauerhaften Instrument für den ambulanten Versorgungssektor weiterentwickelt und damit auch für den zahnärztlichen Versorgungsbereich vorgesehen wird.
3. Beschaffung und Bevorratung von Schutzausrüstung sicherstellen
Das Fehlen von Schutzausrüstung war zu Beginn der Pandemie die Achillesferse des deutschen Gesundheitssystems. Die Praxen sind für eine über den „Alltagsbedarf“ hinausgehende Beschaffung nicht zuständig. Dies gilt auch für ihre Selbstverwaltung in Form der Kassenärztlichen bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigungen. Für die Zukunft muss daher sichergestellt sein, dass eine ausreichende Menge an persönlicher Schutzausrüstung für niedergelassene Zahn-/Ärztinnen und Zahn-/Ärzte für den Pandemiefall vorgehalten wird und deren Finanzierung gesichert ist.
4. Finanzielle Entlastungen bei der Digitalisierung auch für den ambulanten Sektor
Bei der Bewältigung von Pandemien und nationalen Katastrophensituationen ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens ein wichtiger Baustein. Zugleich ist die Digitalisierung auch mit erheblichen zeitlichen, finanziellen und strukturellen Ressourcen verbunden. Es ist daher dem Grunde nach zu begrüßen, dass die Bundesregierung nun den Krankenhäusern mit Milliardenmitteln für Investitionen in Digitalisierung und IT-Sicherheit unter die Arme greift. Allerdings darf der ambulante Sektor dabei nicht vergessen werden.
Um die Zahn-/Arztpraxen bei der fortschreitenden Digitalisierung einschließlich der IT Sicherheit und den damit verbundenen erheblichen Investitionskosten und laufenden Kosten zu entlasten, braucht auch der ambulante Versorgungssektor adäquate finanzielle Ausgleichsmechanismen. Dies kann z.B. analog der für den Krankenhausbereich vorgesehenen Mechanismen als fondsbasierte Lösung oder durch eine gesetzliche Beauftragung der Bundesmantelvertragspartner für eine Finanzierungsvereinbarung erfolgen.
5. Unterstützung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Praxen
Die Medizinischen Fachangestellten und Zahnmedizinischen Fachangestellten sind bei ihrer Arbeit einem besonderen Infektionsrisiko ausgesetzt. Gleichwohl haben sie sich den Herausforderungen der Corona-Pandemie bislang hochprofessionell und verantwortungsbewusst gestellt.
KBV und KZBV unterstützen das Anliegen des Verbandes medizinischer Fachberufe e.V., dass auch die besonderen Leistungen von Mitarbeitenden in Arzt- und Zahnarztpraxen während der Corona-Pandemie mit einem angemessenen finanziellen Bonus wertgeschätzt werden sollten. Darüber hinaus sollte den Mitarbeitenden in Arzt- und Zahnarztpraxen über die Aufnahme in die Nationale Teststrategie die Möglichkeit regelmäßiger kostenfreier Corona Tests eingeräumt werden.
6. Stärkung der Selbstverwaltung
Die Selbstverwaltung hat in der Pandemiebewältigung ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt und gezeigt, dass sie das zentrale Fundament unseres Gesundheitswesens ist. So haben die Bundesmantelvertragspartner und die Gesamtvertragspartner mit ihren Entscheidungen unbürokratische Ausnahmen von Vorgaben gemacht und damit einen wesentlichen Beitrag zur Krisenbewältigung geleistet. Dies gilt auch für die vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassenen zeitlich befristeten Sonderregelungen.
Um im weiteren Verlauf der Pandemie sowie auf künftige nationale Katastrophensituationen noch schneller und zielgerichteter reagieren zu können, sollte eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden, die es der Selbstverwaltung ermöglicht, gesetzliche Regularien entsprechend den jeweiligen Erfordernissen zumindest befristet modifizieren oder aussetzen zu können.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Selbstverwaltung für die Krisenbewältigung ein unerlässlicher Partner ist. Daher fordern wir die politischen Entscheidungsträger auf, die Handlungs- und Gestaltungsspielräume der Selbstverwaltung zu stärken und Eingriffen in die Gestaltungskompetenz der Selbstverwaltung entgegenzuwirken. In einer Pandemie beziehungsweise nationalen Katastrophensituation müssen die Zuständigkeiten und die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren auf Bundes-, Landes- und regionaler Ebene zweifelsfrei geklärt sein.