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Proteste von Ärztinnen und Ärzten sind legitimes Mittel

Bei Ärzteprotesten verweisen Politik und Kassen immer wieder auf die ethische Pflicht der Ärzteschaft. Was halten Sie davon?

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV: „Naja, diese Äußerungen sind bestenfalls Unwissen, zum Teil aber auch fast unverschämt, muss man sagen, denn das kann man eigentlich auch umkehren. Wenn diesen Damen und Herren so viel an Ethik gelegen wäre, dann würden sie dafür sorgen, dass es eine auskömmliche Finanzierung für die Leistungen gibt, die für die Menschen in diesem Land erbracht werden sollen. Das ist bislang offenkundig in weiten Teilen nicht der Fall. Insofern ist es zwar wohlfeil, immer auf die Verpflichtung der Ärztinnen und Ärzte abzustellen, ihre Patienten zu versorgen. Aber das ist eigentlich ein unzulässiges Argument. Das Problem ist ja, muss man fast sagen, dass die Kolleginnen und Kollegen, eben weil sie sich ihren Patienten so verpflichtet fühlen, schon seit vielen Jahren eigentlich Leistungen erbringen, die sie nicht bedient bekommen. Und das ist der eigentliche Skandal. Jetzt immer wohlfeil zu sagen, das dürfen die gar nicht und das wäre völlig unethisch, mag vielleicht in einer Talkshow oder in einer Schlagzeile der Boulevardpresse greifen, geht aber völlig am Thema vorbei. Es ist vielmehr so, dass wir seit vielen Jahren eine Unterfinanzierung im ambulanten Bereich haben. Das versuchen die Kolleginnen und Kollegen zum Teil wider besseres Wissen zu kompensieren in den Praxen, indem sie trotzdem noch Menschen versorgen, obwohl sie gar kein Geld mehr dafür bekommen. Und das ist der eigentliche, zu kritisierende Punkt. Und da hilft die Ethikdiskussion an der Stelle nun wirklich nicht.“

Warum ist der Protestwille in der Ärzteschaft überhaupt so groß?

„Es ist ja häufig der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das eigentliche Thema, der eigentliche Anlass, die Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Entrüstung über die Abwertung, geringe Abwertung einer kleineren Operation ist natürlich nicht die Ursache für diese insgesamt hohe Unzufriedenheit, sondern das ist das letzte Mosaiksteinchen. Und irgendwann reicht es dann, könnte man sagen. Grundsätzlich ist es so, dass wir im Rahmen der EBM-Reformen, die ja leider seit zehn Jahren geht und für die vor zehn Jahren eine Punktsummen- und Ausgaben- Neutralität vereinbart worden ist, diese Regelungen haben abarbeiten müssen. Das hat sich durch Corona noch viel länger hingezogen. Das ist aber für niemand eine Erklärung, die befriedigt. Von daher ist völlig klar, dass man, insbesondere wenn das Thema Ambulantisierung ansteht, und da sind wir international ja ganz weit hinten, dass man nicht nachvollziehen kann, dass hier Operationen überhaupt abgewertet werden und nicht auf breiter Front besser vergütet werden. Vor allem, wenn man sieht, um wie viel mehr Vergütung es sich im Krankenhaus handelt, bei gleichen Eingriffen, wo wir zum Teil absurde Differenzen haben, wo das zehnfache Geld im Krankenhaus gezahlt wird, mit dem Argument es wird im Krankenhaus erbracht. Völlig am Thema vorbei zielend, da dieser Eingriff eigentlich nirgendwo auf der Welt sonst noch im Krankenhaus erbracht wird. Das heißt, folgerichtig wäre es, eine einheitliche Vergütung für die Leistung zu definieren. Wo sie dann erbracht wird, ist am Ende des Tages egal. Realität ist aber, dass die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen die allermeisten Leistungen in diesem Land erbringen. Deutlich über 95 % des Leistungsgeschehens findet ambulant statt. Wenn man sich aber die Honorarunwuchten anschaut, das überhaupt keine Abbildung in der Vergütung findet und das ist das, was die Kollegen irgendwann dann wirklich erbost. Und insofern entzündet sich daran auch so ein Protest, den ich gut nachvollziehen kann. Und die Kassen wären gut beraten, jetzt hier im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung nicht einfach pauschal das abzutun, sondern eher mit uns konstruktiven Weg zu suchen, wie man hier diese Schieflage beseitigen kann. Weil die Krankenkassen müssten als Allererste ein Interesse daran haben, dass diese extreme Geldverschwendung, die ja das Erbringen ambulanter Leistungen im stationären Setting hat, dass das beendet wird.“

Richten sich die Proteste der Ärzte denn gegen die Patienten?

„Also, ich glaube, im Grundsatz ist es so, dass sich die Proteste von Ärzten niemals gegen die Patienten richten, sondern im Sinne der Patienten sind. Und die Patienten sollten das auch so interpretieren. So habe ich es über viele Jahre wahrgenommen, dass eigentlich alles getan wird, um die Patientenversorgung optimal zu gestalten, was eigentlich bei den Rahmenbedingungen schon kaum denkbar ist und ehrlicherweise auch nicht der Vorgabe des SGB V entspricht. Denn da steht nur was von wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig. Das ist weit von optimal entfernt. Trotzdem haben das die Kolleginnen und Kollegen immer wieder versucht und das zeigt sich auch in den hohen Zustimmungs- und Vertrauenswerten der Patienten gegenüber den niedergelassenen Ärzten. Und insofern ist es eher ein Hilferuf. Und perspektivisch müssten Patienten das allervitalste Interesse daran haben. Denn wenn die Struktur der niedergelassenen Praxen wegbricht, weil sie schlicht und ergreifend wirtschaftlich nicht mehr durchhaltbar ist, dann geht die Versorgung verloren, wie wir sie kennen.“

Mit welchen Mitteln können Vertragsärzte gegen bestimmte Maßnahmen protestieren?

„Also, zum einen können und sollten sie sich auch laut und vernehmlich äußern. Natürlich versuchen wir den Schulterschluss und die Abstimmung mit den Berufsverbänden. Ich denke, man muss auch mal an anderen Stellen Dinge geraderücken. Erst mal gibt es ja natürlich keine Verpflichtung für jeden Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Operationen durchzuführen. Das hat es noch nicht gegeben. Und das richtet sich natürlich nach dem Spektrum der Praxis und auch der Expertise der Kolleginnen und Kollegen. Wäre völlig aberwitzig, wenn alle das Gleiche machen sollten. Und ich glaube, man muss einfach die Realität anerkennen. Es wird auf Dauer nicht durchhaltbar sein, Leistungen zu erbringen, die chronisch unterfinanziert sind. Diese Leistungen werden dann verschwinden, schlicht weil sie niemand erbringen kann. Und das hat dann auch gar nichts mit Vorenthalten von Leistungen von Patienten zu tun. Es ist einfach eine Nichterbringbarkeit dieser Leistung. Und das, glaube ich, ist ist die Botschaft, die man aus diesen Protesten ziehen sollte. Und von daher ist es jetzt Aufgabe der gemeinsamen Selbstverwaltung, hier nachzulegen. Und es macht an der Stelle keinen Sinn, dann die Moralkeule zu zücken. Das wirkt an der Stelle fast ein bisschen peinlich.“

Wünschen Sie sich Unterstützung von der Politik?

„Also, zunächst gibt es die gemeinsame Selbstverwaltung, da sollten wir das an erster Stelle adressieren. Da sehe ich erste zaghafte Signale der Krankenkassen, das auch zu tun. Aber natürlich brauchen sowohl die Krankenkassen als auch wir politische Rahmensetzung. Eine ganz wichtige wird in der anstehenden Gesetzgebung sein. Wie geht man mit der Ambulantisierung um? Nutzt man diese notwendige politische Initiative jetzt dazu, dass man wirklich sagt: Ja, wir wollen uns international adäquat aufstellen und die ambulanten Strukturen stärken, die den weitaus größten Teil der Versorgung stellen, gleichzeitig natürlich auch dafür sorgen, dass die Krankenhäuser, die wir brauchen und das sind ja doch eine ganze Reihe, nicht alle, die wir haben, aber viele, insbesondere die Maximalversorger vernünftig mit Geld ausstatten, damit die auch anständige Personalschlüssel haben, sodass wir eine starke ambulante Schiene haben und eine starke stationäre. Was nicht funktionieren wird, ist, dass man einfach sagt, wir nennen das Ganze jetzt Ambulantisierung und es geht im Krankenhaus munter weiter wie bisher und man baut noch so ein Jägerzäunchen drum und vergütet weiter Leistungen um ein vielfaches höher als in der ambulanten Versorgung und nennt das dann Ambulantisierung. Das wird nicht funktionieren und das wird sich in wenigen Jahren, wahrscheinlich sogar schneller als in wenigen Jahren rächen. Und wir müssen einfach schauen, wenn man jetzt hier die Weichen falsch stellt, ist das perspektivisch ein ganz fatales Signal für die Niederlassung. Wir werden dann kaum noch junge Kolleginnen und Kollegen finden, die unter diesen Rahmensetzungen ihre berufliche Lebensentscheidung in der Niederlassung sehen. Und ich glaube, das kann sich niemand in Deutschland wünschen.“

Zuletzt haben verschiedene Berufsverbände zu Protesten aufgerufen - und ernteten Kritik. Gerade Ärztinnen und Ärzte dürften aus ethischen Gründen nicht protestieren. Der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, bezeichnet solche Äußerungen als "wohlfeil" und hält die Proteste der Niedergelassenen für durchaus berechtigt.