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Stand 04.12.2020

Reden

Bericht von Dr. Thomas Kriedel an die Vertreterversammlung

Online-Treffen der Mitglieder der KBV-Vertreterversammlung am 4. Dezember 2020

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Damen und Herren,
auch von mir ein herzliches Willkommen. 

Die Video-Kommunikation ist nicht das einzige Indiz dafür, dass auch wir – Vertreterversammlung und Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) – die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen. Wenn sie nützlich sind. So könnten Sie Änderungen auf den Weg bringen, die Ihnen in diesen Pandemiezeiten künftig ermöglichen, schnell gemeinsam auch digital Beschlüsse zu fassen. Möglicherweise ein Fortschritt. Wir werden sehen.

Von Fortschritten ist dieser Tage viel die Rede: in der Entwicklung von Impfstoffen etwa. Und natürlich: in der Digitalisierung. Auch ich möchte Ihnen heute über Fortschritte berichten. Ein ganz wesentlicher: in Sachen IT-Sicherheitsrichtlinie. Dazu gleich mehr. Ich werde aber auch Rückschritte ansprechen müssen. 

Zunächst aber will ich mit Ihnen auf die erfreulichen Neuigkeiten schauen. So freue ich mich, Ihnen eine echte Neuheit präsentieren zu können: den MIO Viewer. Er macht es möglich, sich die von uns definierten Medizinischen Informationsobjekte (MIOs) anzusehen, also zum Beispiel: den Impfpass und das Zahn-Bonusheft. Und zwar online sowie mobil.

Und: Die Software-Hersteller von ePAs, Praxisverwaltungssystemen oder auch Krankenhaus-Informationssystemen können diesen Viewer per frei verfügbarem Code integrieren. Schlagwort: Open Source. Denn: Integrieren ist sicherlich immer der beste Weg für alle Beteiligten.

Erfreulich ist auch, dass wir kürzlich die offizielle Ausgründung der mio42 GmbH feiern konnten. Wie all unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in KBV, Zi, DSSG, kv.digital und mio42 danke ich für Ihre tolle und unermüdliche Leistung in diesem ungewöhnlichen Jahr ausdrücklich – auch eben jenen, die an den MIOs gearbeitet haben und es weiter tun! 

Auch der Mutterpass und das U-Untersuchungsheft sind quasi fertig. Und da kommen etliche weitere Aufgaben auf uns zu. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sieht sich in der Entscheidung bestätigt, uns diese Herausforderung übertragen zu haben. Das hat der Digitalisierungschef im BMG, Dr. Gottfried Ludewig, jüngst in einem gemeinsamen Termin bekräftigt:

Die MIOs seien sehr, sehr gut umgesetzt und wir alle damit einen großen Schritt vorangekommen. Er bezeichnete die MIOs als den Turbolader für die elektronische Patientenakte, weil sie es seien, die den Mehrwert der ePA bringen werden.

Die elektronische Patientenakte (ePA). Sie sollte zum Jahreswechsel starten. Davon sind die Konnektoren-Hersteller aber noch weit entfernt. Das schiebt die Praxen gefährlich nah an das Sanktionsdatum. Aber wie sollen sie die Applikation anwenden, wenn dafür die Technik noch nicht da ist?!

Sie können die Anträge stellen und bestellen, aber ob und wann die Industrie liefert, können sie – wieder einmal – nicht beeinflussen. 

Wir sprechen hier von möglicherweise mehr als einem Drittel, vielleicht sogar der Hälfte der Praxen! Sie können sich nicht rechtzeitig ausstatten. Weil durch die enge Taktung viele der industriellen Akteure nicht die Chance erhalten, ordentlich zu programmieren und zu produzieren. Das wird dann euphemistisch als „erweiterter Feldtest“ deklariert.

Kleine, aber nicht weniger wichtige Fortschritte – oder Zwischenschritte – konnten wir zumindest erzielen im Hinblick auf Einführungsfristen und Übergangsfristen:

Etwa für die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Sie ist rein technisch nicht – wie vom Gesetzgeber vorgesehen – zum Jahresbeginn umsetzbar. Auch nicht bei den Krankenkassen. Deshalb haben wir beim BMG erfolgreich interveniert und konnten mit dem GKV-Spitzenverband ein späteres Start-Datum vereinbaren: zum vierten Quartal kommenden Jahres. Außerdem konnten wir erwirken, dass spätestens zum 1. Juli alle Konnektoren die Komfort-Signatur ermöglichen müssen; als Erleichterung im Praxisalltag. 

Ein weiterer Punkt: die Kopplung des elektronischen Heilberufsausweises (eHBA) an den Praxisausweis, die SMC-B. Nach unserer Intervention reicht es nun aus, wenn ein Arzt oder Psychotherapeut seiner Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gegenüber bestätigt, dass er einen eHBA beantragt hat. 

Über beides haben wir bereits umfassend informiert. Und werden in den kommenden Wochen unseren Service für KVen, Praxen und Öffentlichkeit fortsetzen: Damit alle rechtzeitig wissen, wann was zu tun ist und wann womit tatsächlich zu rechnen ist.

Auf die aktuellen Gesetzespläne gehe ich heute nicht umfassend ein. Ein paar wichtige Details möchte ich aber nicht unerwähnt lassen. Das Digitale Versorgung- und Pflege-Modernisierungsgesetz, auch drittes Digitalisierungsgesetz genannt, geht einen richtigen Schritt in Richtung Betriebssicherheit der Telematikinfrastruktur (TI). Es sieht vor, dass die gematik die Betriebsverantwortung übernimmt.

Unser Einwurf hierzu: Es darf nicht passieren, dass die gematik die Verantwortung auf einen Dienstleister abschieben kann. Jede Praxis braucht einen direkten und verantwortlichen Ansprechpartner. Sonst bleibt alles wieder beim Arzt oder Psychotherapeuten hängen.

Das Gesetz sieht auch vor, die sichere Übermittlung von Dateien, Ton und Bild et cetera weiterzuentwickeln. Ab September 2023! Solche nützlichen Messaging-Anwendungen brauchen wir viel schneller! Erst recht angesichts der ePA-Einführung anderthalb Jahre früher. Genau das ist der Punkt, den wir immer wieder vortragen: Auch in den Praxen muss der Nutzen früh spürbar sein.

Erfreulich im Gesetzentwurf: Er befreit die Praxen von der Datenschutz-Folge-Abschätzung, die ihnen eigentlich die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) für die TI aufbürdet. Das wäre bürokratischer Irrsinn, da für jede einzelne Praxis gleich. Davon konnten wir das BMG überzeugen. Das ist gut. Allerdings: Es kommt der Software-Konnektor. Aus unserer Sicht nicht schnell genug. Und: Das Schutzniveau muss für die Praxen gleich hoch bleiben.

Einen anderen Gesetzentwurf kann ich auch nicht völlig unerwähnt lassen: den für ein Gesundheits-Versorgungs-Weiterentwicklungs-Gesetz (GVWG). Kritisch ist vor allem das Timing für stärkere Belastungen in der Qualitätssicherung. Und kritisch sind unter anderem auch zwei inhaltliche Punkte: 

  1. Qualitäts-Vergleiche sollen veröffentlicht werden und
  2. Praxen sollen verpflichtet werden, die QS-Daten zu 100 Prozent zu dokumentieren. 

Wir haben hierzu bereits sehr deutlich Stellung genommen und uns auch in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Spahn gewandt. Neben der Unzeit angesichts einer Pandemie kritisieren wir

  • den enormen, völlig unnötigen bürokratischen Aufwand angesichts methodischer und technischer Probleme; 
  • eklatante Ungerechtigkeiten im Vergleich zu Krankenhausärzten; 
  • sowie Datenschutzrisiken nicht nur für Vertragsärzte und Psychotherapeuten, sondern auch für ihre Patientinnen und Patienten.

Ein weiteres wichtiges Thema: die neue Heilmittel-Richtlinie. Die stellt an sich einen Fortschritt dar, ist aber nach wie vor nicht flächendeckend umsetzbar. Weil – auch hier – Teile der Industrie noch immer nicht liefern können. Nicht einmal der Aufschub-Termin 1. Januar ist zu halten. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) und BMG verlieren zunehmend die Bereitschaft, weiter zu verschieben. Und der Ärger bleibt wieder an den Praxen hängen.

Und auch bei unserem eigenen KIM-Dienst kv.dox erleben wir die regulatorischen Hürden. Wir mussten deshalb mehrfach unseren Zeitplan ändern. Trotzdem hoffen wir, noch in diesem Jahr an den Start gehen zu können. Dann sollen alle Vertragsärzte und Psychotherapeuten kv.dox online bestellen können: zu einem Preis, der – so unsere Erwartung – auch die Mitbewerber zu angemessenen und fairen Preisen drängt. Insgesamt ein Fortschritt, wenn auch zeitweise von außen gebremst.

Ein Vorteil: Die Praxis kann dann auswählen. Denn bisher gab es ja nur einen zugelassenen KIM-Dienst. Allerdings hat sich dort wohl nachträglich herausgestellt, dass er nicht interoperabel ist und überarbeitet werden musste.

In diesem Zusammenhang noch ein paar Worte zur Finanzierungsvereinbarung bezüglich ePA, eRezept und stationärem Kartenterminal. Vor einer Woche hat das Schiedsamt entschieden. Über die Details werden wir Sie informieren, sobald der Schiedsspruch schriftlich vorliegt.

Wir hatten uns nicht zu einem Kompromiss zwingen lassen. Damit hoffen wir, Kostendeckung erreicht zu haben. Allerdings hat auch das Schiedsamt keinen Einfluss darauf, welche Preise die Industrie letztlich aufruft. Und das ist die ewige Krux im Konstrukt der TI-Finanzierung:

Die Praxen bleiben zurück mit dem unguten Gefühl, dass die Hersteller ihnen für jede Komponente mehr in Rechnung stellen, als durch die mühsam errungenen Finanzierungsvereinbarungen abgedeckt wird. 

Mühsam errungen ist auch der Vorschlag für eine IT-Sicherheitsrichtlinie, zu der uns der Gesetzgeber aufgefordert hat. Sie hatten uns als Vorstand in der letzten Vertreterversammlung im September damit beauftragt auszuloten, wie wir die kritischen Punkte ausräumen können.

Dabei ging es zum einen ganz wesentlich darum, praktikable und realistische Vorgaben für Praxen zu erhalten – nicht zuletzt und gerade auch für kleine Praxen. Zum anderen ging es um längere Fristen für die zeitliche Umsetzung. Und schließlich ging es Ihnen um die Finanzierung des Mehraufwands.

Wir sind Ihrem Auftrag nachgekommen und haben einen großen Fortschritt erzielen können: mit Vermittlung durch das BMG. Und so bin ich zufrieden, dass wir Ihnen heute zwei Richtlinien in Form eines Antrags zur Abstimmung vorlegen können: ein mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) konsentierter Vorschlag für die IT-Sicherheitsrichtlinie sowie ein Vorschlag für die Zertifizierungsrichtlinie. Letztere umfasst die Zertifizierung der Dienstleister vor Ort durch die KBV. Auch dieser Antrag wird heute postalisch auf den Weg gebracht.

Aus unserer Sicht ist hier ein Kompromiss gefunden worden, der noch im September höchst unwahrscheinlich schien. Ein Kompromiss, der jetzt für die Praxen gut umsetzbar scheint. Und der ihnen die erhoffte Rechtssicherheit und Klarheit gibt. Sollten Sie dem zustimmen, dann wird die KBV weiterführende Informationsmaterialien zur Verfügung stellen, beispielsweise eine Online-Schulung zur IT-Sicherheit sowie Hinweise und Checklisten, um den Praxen die Umsetzung zu erleichtern.

Ich bin davon überzeugt, dass dieser Richtlinien-Entwurf ein echter Fortschritt ist. Er konkretisiert die DS-GVO, die längst gilt und auch weiterhin gelten wird. Er macht sie praxistauglich. Und gibt den Praxen Rechtssicherheit.
All diese Herausforderungen, die die Digitalisierung auftürmt – technisch, regulatorisch sowie finanziell –, lassen sich mit einem Zitat aus Österreich ganz gut zusammenfassen:

„Das größte Problem mit dem Fortschritt ist: Auch die Nachteile entwickeln sich weiter.“ Zwar sehen die Praxen die potenziellen Vorteile der Digitalisierung. Sie sind aber unzufrieden mit dem bisherigen Ausbaustand. Der Nutzen ist noch nicht in Sichtweite. Die Umstände dafür umso präsenter. Die meisten Praxen sehen sie als Belastung an. 

Das Tempo überfordert sie. Erst recht in der Pandemie. Sie sollen demnächst auch Teil der Impfstrategie der Bundesregierung werden. Da passt es schlecht, wenn jetzt noch Geräte oder Prozeduren kommen, die nicht ausgereift sind. Da muss die Frage an den Gesetzgeber erlaubt sein: Wie kann es dazu kommen? Ist das agiles und iteratives Vorantreiben der Digitalisierung? 

Wir erwarten durchdachte und ausgereifte Lösungen: gesetzlich, organisatorisch und technisch! Und zwar Lösungen, die die Bedürfnisse der Praxen ernst nehmen. Und nicht nur zu Erfüllungsgehilfen deklassieren. Wir fordern daher: Tempo rausnehmen! Wir erwarten eine realistischere Zeitplanung und Produkte, die ausreichend getestet sind.

Das bedeutet auch: Erkenntnisse aus den Feldtests müssen ernst genommen werden; entdeckte Fehler müssen ausgemerzt werden. Das Tempo rauszunehmen heißt nicht: Alles auf Stopp. Sondern bedeutet: mit Hochdruck weiterentwickeln und testen. Und lediglich die jeweiligen Einführungsfristen verschieben.

Die Priorität muss noch immer auf der Möglichkeit liegen, die Patientinnen und Patienten weiter angemessen zu versorgen. Wir fordern aber auch in aller Deutlichkeit: eine angemessene und umfassende Finanzierung des Digitalisierungsaufwands. 

Denn auch wenn ich in meinem Bericht auf viele Tippelschritte oder sogar Rückschritte eingehen musste: Ich glaube an einen sinnvoll gepushten Fortschritt. Da bin ich durchaus Optimist. Halte mich aber auch an den Leitspruch: Ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen besinnliche und trotz aller Umstände schöne Festtage in diesem außergewöhnlich ausklingenden Jahr – und Zuversicht für das Neue!

Vielen Dank.
 

(Es gilt das gesprochene Wort.)