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Stand 26.05.2025

Reden

Bericht von Dr. Stephan Hofmeister an die Vertreterversammlung

Rede des stellvertretenden KBV-Vorstandsvorsitzenden am 26. Mai 2025

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

Ich möchte meine heutige Rede mit einer Klarstellung beginnen. Denn sowohl im Hinblick auf die Einführung eines Primärarztsystems – dazu komme ich gleich noch – als auch im Hinblick auf die Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung werden wir als KBV mit dem Vorwurf konfrontiert, wir hätten an beidem kein Interesse und würden beides torpedieren. Diese Darstellung ist falsch und wird durch beharrliche Wiederholung nicht wahrer! Dazu beispielhaft nur ein Zitat: „Die Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung muss kommen – je eher, umso besser.“

Das war die Überschrift einer Pressemitteilung der KBV im Dezember 2024 anlässlich eines entsprechenden Antrags der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag. Auch in den drei Jahren davor haben wir die Umsetzung dieses Vorhabens, das bereits im Koalitionsvertrag von 2021 formuliert war, immer und immer wieder deutlich eingefordert. Das lässt sich vielfach belegen.

Wir haben allerdings im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens auch auf praktische Umsetzungsschwierigkeiten hingewiesen, die sich aus der Gesetzesformulierung ergeben. Das ist jedoch etwas völlig anderes, als das Vorhaben als solches abzulehnen, denn das haben wir zu keinem Zeitpunkt getan!

Im Gegenteil, ich habe stets betont, dass die hausärztliche Entbudgetierung richtig und überfällig ist. Ich halte es dennoch für geboten, auf Fallstricke hinzuweisen, wenn wir diese erkennen. Genau das ist nämlich die Aufgabe der KBV und aller für die Versorgung Verantwortlicher: sicherzustellen, dass die propagierten Intentionen von Gesundheitsminister und Gesetzgeber auch den öffentlich versprochenen Effekt haben, beziehungsweise als Mindestanforderung keinen Schaden anrichten. Hier gilt es dann, auch beziehungsweise besonders auf das Kleingedruckte zu achten. Das galt in der vorherigen Legislatur sogar mehr denn je, denn bei so manchem Gesetz konnten sich Fachkundige nur die Haare raufen über die handwerklichen Mängel.

Die jüngst öffentlich getätigte Aussage, man bräuchte jetzt nur Mut und „einen klaren versorgungspolitischen Kompass“ ist wohlfeil. Seien Sie versichert, uns fehlt es weder an Mut noch an versorgungspolitischer Orientierung! Und genau deshalb haben wir vor den Kollateralschäden eines schlecht gemachten Gesetzes gewarnt und tun dies nach wie vor.

Wir haben unsere Bedenken in vielen Arbeitskontakten, sei es mit dem Ministerium, mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), in unseren Gremien und auch mit dem Hausärztinnen- und Hausärzteverband immer wieder diskutiert. Es bestand grundsätzlich Einigkeit, dass es einer gesetzlichen Überarbeitung bedarf und es gab sogar eine Verständigung darüber, was wie geändert werden müsse. Jetzt im Nachgang zu behaupten, wir als KBV hätten die Entbudgetierung von Anfang an nicht gewollt, ist Geschichtsklitterung. Das Gegenteil ist der Fall! Wir haben versucht, das problematische Ansinnen des Gesetzgebers, die Entbudgtierung an bestimmte Bedingungen zu koppeln, abzuwenden und hier sozusagen die reine Lehre, sprich eine Entbudgetierung ohne Nebenabsprachen, zu verteidigen.

Schon Anfang 2024, als der damalige Bundesgesundheitsminister Lauterbach im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz unbedingt noch seine Gesundheitskioske durchbringen wollte und damit die Pläne zur hausärztlichen Entbudgetierung ausgebremst wurden, habe ich klar gesagt, dass es an dieser Stelle kein Junktim geben dürfe und dass es aus Sicht der KBV keinen Grund gebe, die Entbudgetierung als solche nicht endlich umzusetzen, notfalls auch als Omnibus, ohne eigenes Gesetz. Sie können das in allen meinen VV-Reden nachlesen.

Allerdings, und auch das ist aktenkundig, haben wir als KBV die Verknüpfung der Entbudgetierung mit der Idee der neuen hausärztlichen Pauschalen von Anfang an kritisch gesehen. Und zwar deshalb, weil diese Pauschalen kein neues Geld bringen, sondern dazu führen werden, dass innerhalb der Hausärzteschaft umverteilt werden muss – aufgrund der vom Gesetz vorgegebenen Ausgabenneutralität. Das aber konterkariert das eigentliche Ziel, die hausärztliche Versorgung in der Fläche zu stärken.

Schon vor über einem Jahr habe ich davor gewarnt, mit dem Pflug durch die Praxislandschaft zu gehen und einfach Geld umzuverteilen. Wenn schon Pauschalen, dann nur mit zusätzlichen Mitteln und ohne kleinteilige politische Vorgaben, das war die Forderung der KBV. Ich habe es oft gesagt, aber ich wiederhole es hier gerne noch einmal ganz deutlich: Aus meiner Sicht gibt es im hausärztlichen Honorar oder im hausärztlichen Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) keine Luft, keinen Spielraum für relevante Umverteilung. Immer wieder zitierte Kasuistiken sind keine belastbare Grundlage für Systemänderungen!

Es ist im Übrigen recht simple Mathematik. Wenn ich nur wenigen etwas wegnehme und es auf viele andere verteile, dann muss ich den wenigen sehr viel wegnehmen, um überhaupt ein spürbares Ergebnis bei den anderen erzeugen zu können. Die wenigen treffe ich dabei hart oder ruiniere sie sogar. Nehme ich den wenigen aber nur wenig weg, kommt so gut wie nichts mehr an, aber alle ärgern sich, weil alles mit großem bürokratischen Aufwand neu geregelt wird. Genau das ist aber hier der gesetzliche Rahmen. Ganz nebenbei kommen durch die Hintertür zahlreiche neue Pflichten, die hier plötzlich in das bestehende Honorar eingepreist werden, ergo mehr Leistungsanforderungen für dasselbe Geld.

Das Gesetz ist jetzt so, wie es ist und wir müssen damit arbeiten. Der inzwischen vorgelegte erste Entwurf des GKV-Spitzenverbandes hierzu bestätigt auf erschreckende Weise, wovor wir gewarnt haben. Unser Ziel bei den Verhandlungen im Bewertungsausschuss zu den neuen Pauschalen – die, und das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich betonen, nicht von der KBV gefordert wurden, weil sie unter der Maßgabe der Kostenneutralität nur neue, schärfere Regeln bei gleichem Geld schaffen – unser Ziel muss nun sein, dafür zu sorgen, dass durch die gesetzlich vorgegebene Umverteilung die hausärztliche Praxislandschaft nicht chaotisiert wird.

Nach dieser Vorgeschichte jetzt pauschale oder gar verunglimpfende öffentliche Kritik an der KBV zu äußern, insbesondere ohne eigene Handlungsverantwortung, ist weder berechtigt noch zielführend im Sinne der Praxen. Lassen Sie uns deshalb wieder in der Sache und zur Sache geeint mit der Politik um Verbesserungen der Rahmenbedingungen ringen. Das haben die Hausärztinnen und Hausärzte und natürlich auch die fachärztlichen und psychotherapeutischen Praxen verdient!

Wie ist nun der Stand der Dinge? Letzte Woche hat der Erweiterte Bewertungsausschuss einen Beschluss zur Umsetzung der hausärztlichen Entbudgetierung beschlossen. Somit werden die Leistungen des EBM-Kapitels 3 sowie Hausbesuche ab dem 1. Oktober 2025 ohne Budgetierung bezahlt. Hierzu wird ein neuer Honorartopf gebildet, der alle aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) ausbudgetierten Leistungen enthält – das ist dann die neue sogenannte Hausarzt-MGV. Reichen deren Mittel nicht aus, müssen die Krankenkassen nachzahlen. Unterschreitungen aus Vorquartalen sind zu verrechnen.

Unklar bleibt, wie die KVen künftig den gesetzlich vorgeschriebenen Strukturfonds für Fördermaßnahmen zur Sicherstellung finanzieren sollen, für den bislang Geld aus der MGV entnommen wurde. Hierzu fehlt eine eindeutige gesetzliche Regelung, weshalb der GKV-Spitzenverband verlangt hat, dass die Hausärzte die Sicherstellungsmaßnahmen künftig über einen Honorarabzug finanzieren sollen. Alle Beteiligten einschließlich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) sehen hier eine gesetzliche Regelungslücke. Bislang war man aber nicht gewillt, diese zu beseitigen. Wir fordern hier weiterhin dringend eine gesetzliche Klarstellung!

Keine Einigung konnten wir mit dem GKV-Spitzenverband hinsichtlich der Ausgestaltung der neuen Vorhaltepauschalen für hausärztliche Praxen erreichen – aus Gründen, die ich eingangs bereits dargestellt habe. Das von den Krankenkassen vorgeschlagene – und zum Teil mit Annahmen „schöngerechnete“ – Modell birgt nach unseren Berechnungen ein so hohes Umverteilungspotenzial zugunsten sehr weniger und zulasten vieler Praxen, dass wir dem nicht zustimmen konnten. Immerhin konnten wir uns auf Eckpunkte verständigen, auf deren Basis nun weiterverhandelt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Andreas Gassen hat die finanziellen Herausforderungen der neuen Regierungslegislatur bereits angesprochen, aber auch die Rolle des Gesundheitswesens als Standortfaktor. Ich warne die Politik davor, das Gesundheitswesen nur als Kostenfaktor zu betrachten. Vielmehr ist es eine Investition – eine Investition in die Gesundheit der Menschen, in soziale Sicherheit, in sichere Arbeitsplätze und damit letztendlich in die Resilienz unserer Gesellschaft und unseres Landes. Deshalb wäre eine Finanzierung ausschließlich nach Kassenlage der falsche Weg.

Die Frage ist, ob angesichts der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts überhaupt langfristig im strengen Sinne des Wortes „gespart“ werden kann. Aber es ist eine politisch-gesellschaftliche Entscheidung, was künftig finanziert werden soll. Dass ein Rundum-Leistungsversprechen nicht funktioniert, erst recht nicht ohne entsprechende Ressourcen, hat Politik mittlerweile verstanden. Deshalb will man die Versorgung jetzt mehr steuern und damit ein lang gehegtes politisches Tabu brechen. Hierbei werden den Patientinnen und Patienten allerdings „noch schnellere“ Termine, also noch mehr Leistung versprochen. Es wird mit der Politik zu besprechen sein, was Steuerung kann und was angesichts der Zahlen und Fakten in der Versorgung und der demografischen Entwicklung wirklich dringend erforderlich ist.

Damit komme ich zum nächsten Thema und ich sage gleich, dass ich sehr dafür plädiere, bei diesem Thema die Emotionalität hintanzustellen und eine sachliche und differenzierte Diskussion zu führen, statt einer überwiegend ideologisch überlagerten Debatte. Politik – oder zumindest die Regierungsparteien – will mehr Steuerung und hat dafür das Instrument des Primärarztsystems auserkoren. Immerhin ist es noch der Primärarzt oder die Primärärztin. In anderen politischen Konstellationen wäre diese Präzisierung möglicherweise schon obsolet. Unter Karl Lauterbach lautete der Terminus Primärversorgung und auch heute spricht manch einer, zuletzt beim Frühjahrsempfang des Verbands der Ersatzkassen (vdek), offen hiervon.

Was muss nun das Ziel sein? Goldstandard ist und bleibt, dass ein Patient eine feste Praxis als Ansprechpartnerin hat. Und zwar in der Regel eine hausärztliche oder bei Kindern und Jugendlichen auch eine kinderärztliche Praxis. Für bestimmte Fachgruppen braucht es weiterhin einen Direktzugang. Für die Fächer Gynäkologie und Augenheilkunde ist das wohl unumstritten. Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern, etwa dauerhaft behandlungsbedürftige Chroniker, tun gut daran, auch einen Hausarzt zu haben, aber nicht, damit dieser ihnen bloß jedes Quartal eine Überweisung zum betreuenden Spezialisten ausstellt. Insofern gibt es bestimmte einzelne Konstellationen, für die man sinnvolle Wege finden muss. Aus all diesen Überlegungen ergibt sich das Konzept, über das Andreas Gassen bereits gesprochen hat. Für Akutfälle, die keinen festen ärztlichen Ansprechpartner haben, kann die 116117 bei Bedarf und als Rückfalloption die Steuerungsfunktion übernehmen: Sie vermittelt zu den Sprechzeiten bei Bedarf wann immer möglich zurück in die ambulante Regelversorgung.

Grundsätzlich war und ist die Steuerung eines Patienten hausärztliche Kernaufgabe. Denn was bedeutet eine echte Steuerung? Sie bedeutet behandeln und vermitteln, beraten und übersetzen, nicht nur auf ein einzelnes Krankheitsbild bezogen, sondern umfassend. Sie bedeutet Therapiebegleitung und, ja, Lebensbegleitung.

Von all dem zu trennen ist die Frage, wie das Ganze versicherungstechnisch organisiert und administriert wird. Wer oder was gesteuert werden soll und wie in diesem System eine Verbindlichkeit für die Versicherten hergestellt wird, das sind zwei verschiedene Fragestellungen, die wir nicht vermischen sollten. Klar ist: Ein funktionierendes Primärarztsystem setzt die Bindung an eine Praxis voraus, das kann der Markt alleine nicht regeln. Praxisbindung für alle und Wunscharzt sind nicht in Deckung zu bringen, auch das ist einfache Mathematik. Auch die geplante Abkehr von der Quartalslogik hin zu Halbjahres- oder Jahrespauschalen erfordert eine solche Verbindlichkeit umso mehr, sonst wird das mit der Steuerung nicht funktionieren.

Ob das Ganze dann unter dem Label der Hausarztzentrierten Versorgung im Selektivvertrag oder im Kollektivvertrag stattfindet, ist nicht der entscheidende Punkt. Beides geht, da es sich um dieselben Ärztinnen und Ärzte und dieselben Praxen handeln würde. Entscheidend ist: Beides muss sich im selben Umfang an der Finanzierung der gesetzlichen Pflichtaufgaben aus dem SGB V beteiligen, wie zum Beispiel Notdienst, Förderung der Weiterbildung et cetera. Das muss im Übrigen ohnehin und generell für alle Leistungen, die im Rahmen der ambulanten Versorgung im SGB V erbracht werden, gelten. Hier muss gesetzlich nachgebessert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Schluss noch auf einen anderen Schlüsselbegriff des Koalitionsvertrags von Union und SPD eingehen, nämlich den der Resilienz. Er wird dort insbesondere im Kontext wirtschaftlicher Sicherheit, kritischer Infrastruktur und gesellschaftlicher Stabilität erwähnt. Es sind bei Weitem nicht nur die geopolitischen Veränderungen, die eine Befassung mit diesem Thema erforderlich machen. Der landesweite Blackout Ende April in Spanien und Portugal hat gezeigt, wie fragil unser ganzes Alltagsleben bei solchen unvorhergesehenen Störungen ist.

Auch die ambulante ärztliche Versorgung hierzulande wäre in einem solchen Fall von jetzt auf gleich außer Gefecht gesetzt. Die Ursache, ob Unfall oder Sabotage, wäre dabei zunächst einmal nachrangig, entscheidend ist: Wir haben keinen Plan B. Erst seit dem Angriff Putins auf die Ukraine hat man begonnen, sich verstärkt über solche Fragen Gedanken zu machen. Wie Sie wissen, ist die Bundeswehr gerade dabei, alle Akteure der Gesundheitsversorgung, darunter die KVen, an einen Tisch zu bringen, um die Vernetzung zwischen zivilen und militärischen Strukturen voranzutreiben.

Politisch werden entsprechende Debatten längst geführt, unter Gesundheitsminister Karl Lauterbach jedoch vornehmlich in seinen üblichen sogenannten Expertenrunden als closed shop. Es ist jedoch absehbar, dass auch wir als KV-System früher oder später mit solchen Fragestellungen konfrontiert und gewisse Erwartungen an uns herangetragen werden. Im SGB V ist bislang nichts dazu geregelt, aber heißt das, das wir uns zurücklehnen und andere entscheiden lassen sollten? Ich meine nicht. Ich finde, dass wir uns an einer solchen Diskussion beteiligen und eigene Ideen einbringen müssen – übrigens auch aus einer gewissen moralischen Verpflichtung. Ich möchte hier anknüpfen an das Leitbild der KBV: „Als KBV und KVen richten wir unser Handeln am gesellschaftlichen Gemeinwohl aus. Mit dem Sicherstellungsauftrag und unseren damit verbundenen Aufgaben leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Daseinsvorsorge.“ Vor diesem Hintergrund sollten wir die Augen vor eventuellen Notlagen nicht verschließen und unserer gesellschaftlichen Rolle auch hier gerecht werden. Und sei es, indem wir rechtzeitig deutlich machen, was wir leisten können und was eben nicht.

Noch eine letzte Bemerkung dazu: Auch vor diesem Hintergrund der veränderten gesamtgesellschaftlichen und politischen Lage, die uns mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert, als es die letzten Jahrzehnte der Fall war, sollten wir uns vor innerärztlicher Entsolidarisierung hüten und vor einem Rückfall in längst überwundene Grabenkämpfe. Gemeinsam können wir unsere Stärke am besten entfalten und diese Stärke für die Gesellschaft wirksam werden lassen. Wir werden zur Versorgung der Bevölkerung, aber auch als Stabilitätsanker für die Gesellschaft gebraucht.

Vielen Dank!

(Es gilt das gesprochene Wort)