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Reden

Bericht von Dr. Stephan Hofmeister an die Vertreterversammlung

Sitzung am 23. Mai 2022

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

auch von mir ein herzliches Willkommen zu dieser Vertreterversammlung – ich freue mich wirklich sehr, Sie endlich alle wieder persönlich begrüßen zu dürfen! Leider gibt es nicht nur Grund zum Freuen.

Erlauben Sie mir deshalb ein paar ganz persönliche Anmerkungen, ausdrücklich nicht als Position der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die mich derzeit Tag und Nacht bewegen. 

Nach wie vor herrscht Krieg in der Ukraine, dessen Auswirkungen auch hierzulande spürbar sind. Natürlich ist unser Leben nicht annähernd so entsetzlich beeinträchtigt und gefährdet wie das der Menschen in der Ukraine, die um ihr Leben kämpfen und Schreckliches ertragen müssen.

Corona hat zwei Jahre medial und politisch alles beherrscht, und es wurden teilweise Angst und Schrecken verbreitet. Was den Krieg in der Ukraine betrifft, hat man hingegen fast den Eindruck, als würden manche das Thema am liebsten auf einen regionalen Konflikt reduzieren.

Ich finde, man kann es nicht deutlich genug sagen: Es herrscht ein territorialer Angriffskrieg in Europa. Das ist die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. 

Wir sind zwar derzeit nicht in akuter Lebensgefahr, anders als die Ukrainerinnen und Ukrainer, aber das Mindeste was man von uns, von Deutschland erwarten kann, ist, dass wir aus unserer Komfortzone kommen und mit allem, was uns irgendwie menschenmöglich ist, auch unter großem Verzicht, unseren Beitrag leisten, dieser Aggression deutlich und unmissverständlich zu begegnen.

Unser Wohlstand ist nicht höher zu bewerten als das Leben anderer Menschen. Freiheit muss verteidigt werden, wenn sie angegriffen wird!

Wegen Corona haben wir Milliarden ausgegeben, Gesetze geändert und Grundrechte eingeschränkt. Das betraf uns alle in Deutschland natürlich auch unmittelbar, insofern war der Handlungsdruck für die Politik hier groß.

Ich möchte deutlich sagen, auch der Krieg in der Ukraine betrifft uns unmittelbar und es wäre ein entsetzlicher Fehlschluss zu glauben, dass man ihn aus der Ferne aussitzen kann.

Nun stehe ich hier aber als Arzt und als KBV-Vorstand. Auch uns als KV-System betrifft dieser Krieg unmittelbar. Für die Praxen ist dies nach der Pandemie schon die zweite außergewöhnliche Herausforderung in kurzer Zeit – und auch diese meistern sie geräuschlos, ungeheuer engagiert und mit Bravour.

Während es der Politik noch immer schwerfällt, bundesweit einheitliche, unbürokratische und einfache Regularien für die medizinische Versorgung der Geflüchteten zu etablieren und diese zum Beispiel zentral zu registrieren, machen die Vertragsärztinnen und -ärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten mit ihrem Praxispersonal einfach ihre Arbeit so gut es geht – und teilweise noch weit mehr als das.

Ich weiß von Kolleginnen und Kollegen, die selbst initiativ geworden sind und beispielsweise aus eigener Tasche Dolmetscher für Sondersprechstunden bezahlen oder die Gehälter für die Überstunden des Praxispersonals einfach als persönliche Spende für die in Not Geratenen begreifen. 

Anders als während der Flüchtlingskrise 2015 sind dieses Mal besonders viele Kinder dabei, so dass vor allem auch kinderärztliche Kolleginnen und Kollegen gefragt sind und natürlich Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten für die vielen traumatisierten Menschen.

Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, den Medizinischen Fachangestellten und allen anderen Helfenden, die einfach anpacken und ihr Bestes geben, oft mit Unterstützung der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Es rührt mich, wie hilfsbereit, pragmatisch und kreativ Sie sind – das war schon bei den Geflüchteten aus Syrien so und ist es jetzt wieder.

Einmal mehr zeigt das ambulante Gesundheitssystem in Deutschland, wie flexibel und belastbar es ist und zur Not auch fähig zur Improvisation, wenn zentrale Vorgaben fehlen. Dann finden die Praxen eben eigene Wege. Ich danke allen, die dabei sind und helfen, wo und wie sie gerade gebraucht werden.

Deshalb sollte sich der Staat auch nur um die Dinge kümmern, die wirklich erforderlich sind, wie den sozialversicherungsrechtlichen Status der Menschen aus der Ukraine und eine unbürokratische Möglichkeit, Medikamente und Therapien zu verordnen.

Pläne wie die, die Corona-Impfzentren auch für andere Schutzimpfungen wie gegen Masern, Mumps und Keuchhusten bei Geflüchteten vorzuhalten, sind hingegen überflüssig. Ärztinnen und Ärzte stehen mit einem flächendeckenden Netz an Praxen bereit, Schutzimpfungen, die sie jedes Jahr millionenfach durchführen, auch den Vertriebenen aus der Ukraine anzubieten. Wir können das, und wir tun das.

Das bringt mich zum nächsten Thema, Andreas Gassen erwähnte es bereits. Bundesgesundheitsminister Lauterbach warnt schon jetzt vor einer Rückkehr gefährlicher Varianten von SARS-CoV-2 im Herbst. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt ein Blick in die Glaskugel.

Ich habe es schon mehrfach gesagt und ich sage es hier wieder: Dauerhaft Angst und Schrecken zu verbreiten, ist für Ärztinnen und Ärzte in der Kommunikation ein absolutes Tabu. So erreicht man erstens keine Compliance und zweitens macht man Menschen damit krank.

Natürlich kann immer irgendwann irgendetwas Schreckliches passieren, mit dem man dann umgehen muss. Das ist kein pandemiespezifisches Phänomen.

Was wissen wir also wirklich? Wir wissen, dass eine komplette Impfserie bei Erwachsenen und Risikopatienten ausgezeichnet vor schweren Krankheitsverläufen schützt.

Wir haben eine sehr hohe Impfquote bei genau diesem Klientel und zusätzlich deutlich mehr als 50 Millionen durchgemachte Infektionen bei geimpften und ungeimpften Menschen mit entsprechendem Schutz.

Im Herbst müssen gegebenenfalls Impfungen aufgefrischt werden, wozu es eines geeigneten angepassten Impfstoffes bedarf. Wenn dieser da ist, muss klar kommuniziert werden, wer, in welcher Reihenfolge von einer weiteren Impfung profitiert.

Diese Menschen können dann problemlos in den vertragsärztlichen Praxen geimpft werden, wenn der Impfstoff ausreichend vorhanden und den Praxen gemäß ihren Bestellungen zur Verfügung gestellt wird.

Es gibt derzeit hingegen keinen seriösen wissenschaftlichen Hinweis, dass eine vierte Impfung für die Gesamtbevölkerung mit den vorhandenen Impfstoffen gegen die bekannten Varianten sinnvoll oder gar notwendig wäre. 

Auch die Impfung gegen die saisonale Influenza dürfte im kommenden Winter von mehr Menschen nachgefragt werden. Unsere Arztpraxen stehen für eine Impfkampagne im Herbst zum Schutz gegen Grippe und Covid-19 inklusive notwendiger Auffrischungsimpfungen zur Verfügung.

Anstatt Angst und Schrecken zu erzeugen und düstere Szenarien zu entwerfen, ist es also dringend erforderlich, jetzt die Rahmenbedingungen zu schaffen für eine erfolgreiche Impfkampagne im Herbst. Dazu gehören: 

  • Verfügbarkeit von ausreichenden Mengen der auf die aktuellen Virusvarianten angepassten Impfstoffe,
  • Sicherstellung einer adäquaten, auf die Impfkapazitäten der Arztpraxen ausgerichteten Versorgung mit Impfstoffen, einschließlich flexibler Bestellmöglichkeiten, das heißt mindestens im wöchentlichen Bestellrhythmus,
  • Reduktion des mit der Impfung verbundenen bürokratischen Aufwands,
  • angepasste Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO), insbesondere Vorgaben zur Priorisierung und zu Impfabständen für Auffrischungsimpfungen,
  • eine eindeutige wissenschaftliche Datenlage zum Nutzen einer vierten Impfung und gegebenenfalls Priorisierung von bestimmten Bevölkerungs- und Risikogruppen. 

Die erforderliche Verlängerung der Coronavirus-Impfverordnung bis zum 31. März 2023 hat Andreas Gassen bereits angesprochen.

Dieser längere Zeitraum ist auch notwendig, um die Übernahme der später möglicherweise saisonalen Covid-19-Impfung in die normale Schutzimpfungsrichtlinie, für die andere Regularien gelten, vorzubereiten.

Es macht keinen Sinn, bei diesem Thema im fliegenden Galopp die Pferde zu wechseln und mitten im Winter, wenn der Bedarf möglicherweise am höchsten ist, die Regeln zu ändern.

Das Impfen ist und bleibt verlässlichste und wirksamste Waffe gegen das Coronavirus. Was wir hingegen nicht mehr brauchen, sind anlasslose Schnelltestungen im großen Stil wie bei den sogenannten Bürgertests.

Wir müssen dringend zurück zu medizinischer Sinnhaftigkeit von Diagnostik und aufhören, hier dreistellige Millionenbeträge anlasslos zu verschwenden.

Stattdessen sollten PCR-Tests bei symptomatischen Patienten und nach ärztlicher Anordnung zum Einsatz kommen. Und last but not least müssen die Verfügbarkeit und der Nachschub an Schutzausrüstung sowie die Kostenübernahme für einen unter Umständen höheren Bedarf gesichert sein.

Wir haben diese Forderungen schon vor Wochen an die Politik und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) adressiert. Keiner kann hinterher sagen: „Hätten wir’s doch gewusst“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

ich bleibe noch beim Thema Impfen. Die Führung der ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) rührt ja schon länger kräftig die Werbetrommel für das Impfen in Apotheken und behauptet immer wieder, dies wäre der Schlüssel, um die Impfquoten in Deutschland – insbesondere bei der Grippeschutzimpfung – deutlich zu steigern.

Tatsächlich scheint diese PR-Masche jetzt verfangen zu haben. Der Bundestag hat vergangenen Donnerstag beschlossen, dass Apotheken künftig – das heißt ab diesem Herbst – grundsätzlich und bundesweit Grippeschutzimpfungen durchführen dürfen, sofern das Personal entsprechende Schulungen absolviert hat. Bislang war das nur im Rahmen von Modellprojekten erlaubt. 

Aber haben die Menschen wirklich darauf gewartet? Die Zahlen aus den bisherigen Modellregionen, in denen Apotheken Grippeschutzimpfungen anbieten, lassen doch arge Zweifel an der Euphorie aufkommen. Dem Vernehmen nach haben sich in der Grippesaison 2020/21 in allen vier Modellregionen gerade einmal 1.000 Menschen in Apotheken impfen lassen.

In Nordrhein waren es in beiden zurückliegenden Jahren zusammen gerade einmal 1.800 Menschen – ich wiederhole: in zwei Jahren. Demgegenüber erhielten allein im zweiten Halbjahr 2021 rund 1,4 Millionen Menschen eine Grippeimpfung in nordrheinischen Vertragsarztpraxen.

Die ABDA argumentiert, dass mit einem solchen „niedrigschwelligen Angebot“ vor allem die Menschen erreicht würden, die keinen Hausarzt haben oder keine Zeit hätten, in eine Praxis zu kommen.

Zur Erinnerung: Die Ständige Impfkommission gibt eine klare Empfehlung, wer eine Influenza-Impfung erhalten sollte. Dies sind in erster Linie Personen ab 60 Jahren, Schwangere und Personen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens.

Gerade diese Menschen sind doch aber ohnehin in ärztlicher Behandlung und gerade für diese bedarf es einer Indikationsstellung durch einen Arzt. Eine Impfung ist kein Freibier!

Ich weiß nicht, ob den Apothekerinnen und Apothekern klar ist, welches Ei ihnen hier ins Nest gelegt wurde – mit dem Versprechen, es sei ein goldenes, auf das die Menschheit gewartet hat.

Viele kleinere Apotheken profitieren von diesem Vorstoß ohnehin nicht, weil sie von ihrer Infrastruktur her gar nicht in der Lage sind, ein Impfangebot zu machen – und es im Übrigen auch gar nicht wollen, wie im persönlichen Gespräch immer wieder versichert wird. 

Letztendlich ist es auch aus der berufspolitischen Sicht der Apotheken mehr als fragwürdig, offensiv Aufgaben einer befreundeten Profession zu übernehmen.

Als freie und überwiegend selbstständige Heilberufler müssten Apothekerinnen und Apotheker eigentlich unsere natürlichen Verbündeten sein – bisher schienen das die meisten von ihnen auch genauso zu sehen.

Bei der Logik, die dem Impfen in Apotheken zugrunde liegt, könnten im Übrigen auch Groß- oder Versandapotheken durchaus saisonal Impfstationen einrichten – hier böten sich die Eissalons mit saisonalem Sommergeschäft als Standorte an –, womit den echten Vor-Ort Apotheken auch nicht geholfen wäre.

Wir fragen uns, ob die ABDA-Führung ihre strategische Position wirklich zu Ende gedacht hat und plädieren dringend dafür, wieder den Schulterschluss zwischen den selbstständigen Arztpraxen und Apotheken zu suchen.
Das Impfen in Apotheken bringt keine versorgungsrelevanten Verbesserungen.

Anders verhält es sich mit einem Arzneimittel-Dispensierrecht im ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienst. Jeder, der schon einmal nachts zu einem kranken Patienten gerufen wurde oder der selbst ein akutes gesundheitliches Problem am Wochenende hatte, weiß, wie frustrierend es ist, wenn der Arzt dann sagt:

Ich würde Ihnen ja gerne ein Schmerzmittel oder Antibiotikum geben, kann aber leider nur ein Rezept ausstellen. Und dann muss der kranke Mensch, ein Angehöriger oder Nachbar erst einmal die notdiensthabende Apotheke suchen, um das Medikament dort zu holen – was vor allem auf dem Land schon mal das Überwinden größerer Entfernungen bedeuten kann.

Insofern würde durch das Dispensierrecht für Ärzte – wohl gemerkt nur für bestimmte Fertigarzneimittel zum sofortigen Verbrauch – eine tatsächliche Versorgungslücke geschlossen werden. Das wäre eine echte Verbesserung im Sinne der Patienten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Notfallversorgung ist ein weiteres Thema, zu dem aus dem BMG kaum etwas zu hören ist, obwohl noch unter der letzten Bundesregierung die Notwendigkeit einer Reform gesehen wurde und entsprechende Gesetzesentwürfe bereits auf dem Tisch lagen.

Die Pandemie hat dort auch dieses Thema verdrängt. Aber wir als KBV sind die ganze Zeit am Ball geblieben und haben viele Gespräche geführt, auch mit ärztlichen Kolleginnen und Kollegen aus der Klinik.

Wir sind uns grundsätzlich einig, dass wir das Rad nicht neu erfinden müssen. Es liegen bereits verschiedene Konzepte auf dem Tisch – unter anderem eines der Bertelsmann-Stiftung, das auch aus dem KV-System begleitet wurde und das einige gute Ansätze enthält. Es greift viele Aspekte auf, von denen wir überzeugt sind, dass sie leist- und machbar sind. 

Ziel ist nicht, alles anders zu machen als bisher, sondern die vorhandenen Strukturen weiterzuentwickeln und bedarfsgerecht einzusetzen, die Steuerung zu verbessern und dabei auch die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.

Der Schlüssel ist eine vernünftige, belastbare Versorgungssteuerung, wie wir sie mit der 116117 und der telefonischen Ersteinschätzung über SmED auf den Weg gebracht haben und weiter ausbauen werden. Die Erfahrung zeigt, dass etwa 20 Prozent der Anrufenden schon mit einer telefonischen Beratung geholfen werden kann. Dies entlastet auch die ärztlichen Ressourcen vor Ort.

Im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) wird das Thema ebenfalls mit Nachdruck beraten. Bis zum 1. Juli soll der G-BA eine Richtlinie zur standardisierten Ersteinschätzung in Klinikambulanzen und zur Weiterleitung von dort in die ambulante Versorgung erstellen.

Leider scheinen manche der Akteure im G-BA eher skurrile Vorstellungen zu haben. Zum Beispiel die, dass Praxen die ambulante Versorgung 24/7 sicherzustellen haben, damit möglichst gar keine Patientinnen und Patienten mit weniger dringendem Bedarf mehr in die Notaufnahmen kommen.

Das würde heißen, die Sicherstellung müsste drastisch ausgeweitet werden, wofür es weder die nötigen Ärztinnen und Ärzte gibt noch eine Idee, woher die hierdurch exorbitant steigenden Kosten gedeckt würden. Insofern braucht es eine pragmatische, arbeitsteilige Regelung der Organisation des Notdienstes durch die KVen und die Krankenhäuser – wie es ja an sehr vielen Stellen längst gelebte Praxis ist.

Wir werden uns dafür einsetzen, hier eine weiterentwicklungsfähige Grundlage zu schaffen und haben einen entsprechenden Entwurf eingebracht. Wichtig ist aus unserer Sicht ein flexibles, ein modulares System. Das Motto „one size fit‘s all“ funktioniert nicht.

Eines ist aber auch klar: Alles jederzeit an jedem Ort kann kein System der Welt leisten. Bei diesem Thema ist weiterhin unsere Aufmerksamkeit gefragt, noch hat es ein hohes Entgleisungspotenzial. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

leider muss ich Ihnen noch die Auswirkungen des Foulspiels unseres Partners in der gemeinsamen Selbstverwaltung, des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), berichten, das ich in der Vertreterversammlung (VV) im März bereits angesprochen hatte.

Ich meine dessen Aufkündigung der gemeinsam vereinbarten Rahmenvorgaben für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen.

Wie Ihnen bekannt ist, hat der GKV-Spitzenverband im Frühjahr 2021 die gemeinsam, lange und ausführlich verhandelten Rahmenvorgaben mit Wirkung zum 31. Oktober letzten Jahres gekündigt. 

Als Grund hierfür wurden Umsetzungsprobleme vorgeschoben, die letztendlich daraus bestanden, dass regionale Krankenkassen sich einfach geweigert haben, die Rahmenvorgaben umzusetzen. Nachdem die Neuverhandlungen Ende letzten Jahres gescheitert sind, fand am 10. Mai die mündliche Verhandlung vor dem Bundesschiedsamt statt.

Die schriftliche Fassung des Schiedsspruchs liegt noch nicht vor, weshalb ich hier noch nicht die Details berichten kann. Es zeichnet sich allerdings ab, dass eine undankbare Aufgabe auf Sie als KVen zukommt, indem die Auslegung zur Anwendung der Differenzschadensmethode bei Regressforderungen der Krankenkassen auf die regionale Verhandlungsebene verlagert wird.

Immerhin: Bezüglich der Einführung von Bagatellgrenzen bei Einzelfallprüfungen ist uns eine Verbesserung gegenüber der aktuellen Situation gelungen.

Die Vereinbarung einer solchen Bagatellgrenze ist für die regionalen Vertragspartner nun verpflichtend und sie muss in angemessener Höhe erfolgen. Außerdem konnten wir eine Verbesserung der Berücksichtigung von rabattierten Arzneimitteln bei regional vereinbarten Verordnungsquoten erreichen.

Wir müssen nun noch die weiteren schriftlichen Details abwarten. Der zuständige Fachbereich der KBV wird für die Fachleute in den KVen eine Informationsveranstaltung zu der Thematik anbieten. 

Unabhängig von der konkreten neuen Ausgestaltung der Rahmenvorgaben möchte ich eines an dieser Stelle noch einmal betonen: Das einseitige Aufkündigen eines seinerzeit gemeinsam erzielten Kompromisses durch den GKV-Spitzenverband ist nicht nur ärgerlich und ein Rückschritt in der Sache.

Es stellt auch die Zuverlässigkeit des Partners GKV in der gemeinsamen Selbstverwaltung in Frage. Ich würde mir wünschen, dass sich solche Dinge anders regeln lassen als durch den Gang vors Schiedsamt.

Der GKV-Spitzenverband hat damit erreicht, dass wir uns künftig auch bei anderen Verhandlungsthemen unweigerlich fragen werden, ob seine Zusagen wirklich verlässlich sind. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

Andreas Gassen hat bereits darüber gesprochen, dass das Milliarden-Defizit der GKV zu Maßnahmen seitens der Politik führen dürfte. Wie diese aussehen werden, ist noch unklar.

Relativ sicher scheint aber, dass es eine Kostendämpfungsdebatte geben wird – möglicherweise auch eine Priorisierungsdebatte, und sei es nur in Bezug auf die Vorhaben, die der Koalitionsvertrag adressiert. 

Die ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung macht derzeit rund 17 Prozent der GKV-Ausgaben aus. Das ist nicht der große Posten, an dem man herumschneiden kann.

Zumal Deutschland gerade in der Pandemie die Bedeutung des ambulanten Schutzwalls für das Gesundheitswesen erlebt hat.

Wenn Politik meint, den Bürgerinnen und Bürgern bestimmte Leistungen durch Ärztinnen und Ärzte vorenthalten und sie mit einem Surrogat abspeisen zu können, dann ist es das Mindeste, dass sie das den Versicherten klar kommuniziert.

Eine Substitution ärztlicher Leistungen nur um eines Spareffekts willen zeugt von wenig strategischer Weitsicht.

Es wäre außerdem eine Instrumentalisierung der Gesundheitsfachberufe als Mittel zum Zweck – was auch diesen eigentlich nicht recht sein kann, wo sie doch an einer Aufwertung ihrer Tätigkeit interessiert sind. Akademisierung und Spezialisierung sind mit Sicherheit sinnvolle Möglichkeiten, sollten von den Gesundheitsberufen berufspolitisch aber nicht überschätzt beziehungsweise in ihren Folgen für die breite Versorgung nicht unterschätzt werden. 

Ein Gesundheitswesen kann weder ausschließlich mit akademisierten Kräften noch mit Tausend Subspezialisten funktionieren. Um es platt zu sagen: Wenn Patienten und zu Pflegende nur noch „gemanagt“ werden, wer macht dann die Arbeit am Krankenbett?

Hinzu kommt: Bezogen auf die Personalsituation im Kontext des demografischen Wandels und steigenden Bedarfs sitzen alle Gesundheitsberufe im selben Boot. Es ist mit Sicherheit keine Lösung, den Mangel umzuverteilen, indem etwa ärztliche Aufgaben „en bloc“ auf andere übertragen werden.

Die Decke bleibt im Zweifelsfall zu kurz. Richtig ist hingegen, die Kräfte zu bündeln. Gerade die in Deutschland überfällige Ambulantisierung erfordert mehr Ressourcen in der Praxis. Hier bieten sich viele Chance für beide Seiten – von denen letzten Endes auch die Patienten profitieren können.

Das System der ambulanten Versorgung ist preiswert und hat sich insbesondere in der Krise als ungeheuer flexibel und leistungsfähig erweisen. Es ist unersetzlich; es kaputt zu sparen würde die Versorgung der Menschen in Deutschland verschlechtern und verteuern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich will zum Schluss Ihre Aufmerksamkeit gen Brüssel richten. Auch auf EU-Ebene ist man mittlerweile aus dem Coronamodus aufgetaucht, und es braut sich etwas zusammen, was uns beschäftigen muss und wird.

Die EU-Kommission hat am 3. Mai offiziell ihren bereits seit langem angekündigten Verordnungsvorschlag für einen Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) vorgelegt.

Ziel ist die Schaffung eines EU-weit einheitlichen Rahmens für die Nutzung von Gesundheitsdaten, wir haben bereits darüber berichtet.

Die Regelungen sind so umfassend und komplex, dass sie noch einer tiefergehenden Analyse – auch im Hause KBV – bedürfen. Eines zeichnet sich aber bereits ab:

Dieser Vorstoß stellt die gesamte Art und Weise, wie wir in Deutschland mit Patientendaten umgehen, in Frage. Damit will ich nicht sagen, dass es hierzulande keinen Verbesserungsbedarf gäbe, was beispielsweise die Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für wissenschaftliche Forschung angeht.

Aber wenn die EU-Kommission sich mit ihren Vorstellungen durchsetzen würde, wäre das ein Paradigmenwechsel, wie wir ihn uns bislang gar nicht vorstellen können. Ärzte und Psychotherapeuten werden in dem Entwurf nämlich nicht als Sachwalter vertraulicher Informationen ihrer Patientinnen Patienten angesehen, sondern als reine „Datenhalter“ und Datentransporteure.

Wir werden uns genau ansehen, welche Vorstellungen die Kommission hat, Ärztinnen und Ärzte zu verpflichten, vertrauliche Daten gegebenenfalls über Umwege Dritten zur Verfügung zu stellen, die am Behandlungsprozess gar nicht beteiligt sind.

Die EU-Kommission betrachtet das Ganze vornehmlich aus wirtschaftlicher Perspektive, nämlich der des Binnenmarktes. Als federführender Ausschuss im Europäischen Parlament wurde nicht der Gesundheitsausschuss ernannt, sondern der Ausschuss für Justiz und Inneres.

Wie gesagt, noch ist es zu früh, endgültige Schlüsse zu ziehen. Die Bundesregierung wird den Entwurf ebenfalls analysieren, auch andere EU-Mitgliedstaaten sind durchaus alarmiert.

Für den Moment kann ich Ihnen versichern, dass wir genau hinschauen werden, was da passiert. Wir als Vertragsärzte- und -psychotherapeutenschaft sollten jedenfalls eine klare Haltung entwickeln, die wir zu gegebener Zeit auch in Brüssel und anderswo vertreten werden. Wir werden sie dazu weiter auf dem Laufenden halten.

Sie sehen: Die erfreuliche Tatsache, dass Politik, sei es in Berlin oder Brüssel, sich endlich mal wieder mit anderen Themen als Corona beschäftigt, muss nicht immer etwas Gutes bedeuten.

Man kann das allerdings auch so deuten, dass wir ein Stück weit tatsächlich wieder im Alltagsgeschäft angekommen sind.

Lassen Sie uns das Beste daraus machen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

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