Logo-KBV

KBV Hauptnavigationen:

Sie befinden sich:

 

Veranstaltungen

Eröffnung der Wanderausstellung „Systemerkrankung. Arzt und Patient im Nationalsozialismus“

28. November 2024, 18:30 – 21:30 Uhr, für geladene Gäste in Berlin

Am 28. November 2024 präsentierte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gemeinsam mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) in Berlin erstmalig die Wanderausstellung „Systemerkrankung. Arzt und Patient im Nationalsozialismus“.

Sie bildet den Abschluss eines von der Vertreterversammlung der KBV initiierten Forschungsprojekts zur Geschichte ihrer Vorgängerorganisation, der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands (KVD). Die KVD war im Dritten Reich an der Entrechtung und Vertreibung jüdischer sowie oppositioneller Kassenärzte beteiligt.

An der feierlichen Eröffnung am 28. November nahmen unter anderem die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, der Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach, sowie die Vizepräsidentin der Knesset, Orit Farkasch-Hacohen, teil. Auch weitere Mitglieder des israelischen und deutschen Parlaments waren anwesend. Der Historiker und Kurator der Ausstellung, Dr. Ulrich Prehn, hat die Gäste in das Thema eingeführt und durch die Ausstellung begleitet.
 

Eröffnungsrede von Dr. Petra Reis-Berkowicz

Eröffnungsrede von Dr. Petra Reis-Berkowicz zur Wanderausstellung „Systemerkrankung. Arzt und Patient im
Nationalsozialismus“

Berlin, 28. November 2024

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Bundesminister für Gesundheit,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Vertreterversammlung der KBV, sehr geehrter Vorstand der KBV,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste!

Im Namen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der gesamten Deutschen Ärzte- und Psychotherapeutenschaft begrüße ich Sie zur Eröffnung der Ausstellung „Systemerkrankung. Arzt und Patient im Nationalsozialismus“. Ganz besonders möchte ich unsere Gäste aus Israel willkommen heißen, namentlich Frau Farkash-Hacohen, Vizepräsidentin der Knesset, und Frau Ben-Ari, Vorsitzende der Oppositionsfraktion Yesh Atid im israelischen Parlament.

Es ist uns eine Ehre, dass Sie angesichts der aktuellen Kriegssituation in Ihrem Land heute hier sind und umso mehr wissen wir dies zu schätzen.

Es ist ein wichtiges, ein deutliches, ein klares Zeichen, dass Sie alle heute gekommen sind, um die Ergebnisse des von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung beauftragten Forschungsprojekts zur Aufarbeitung der Geschichte ihrer Vorgängerorganisation, der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands, im Nationalsozialismus zu würdigen.

Die „Zeitzeugen“ in diesem Fall waren viele Meter Akten, die bis vor wenigen Jahren im historischen Archiv der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Köln lagerten und einige andere, die hier in Berlin eher zufällig gefunden wurden. Darüber werden wir sicher gleich von Herrn Dr. Ulrich Prehn, Historiker und Kurator der Ausstellung, noch mehr hören.

Zum 30. September 1938 hatte das Reichsinnenministerium bereits sämtlichen Ärzten mit jüdischen Wurzeln von einem Tag auf den anderen ihre Approbation entzogen. Sie wurden aus den ärztlichen Kollegiaten und berufsständischen Organisationen ausgeschlossen, ihre Verdienste wurden ihnen aberkannt. Als Menschen wurden sie schwerst gedemütigt, geängstigt, ihrer Würde beraubt und in unzähligen Fällen in den Vernichtungslagern des NS-Unrechtsstaates grausam ermordet.

Ich möchte einen Satz zitieren:

„Es kann nicht unser Ziel sein, die Wartezimmer der deutschen Ärzte mit Juden zu bevölkern.“

Dieser Satz stammt aus einem Rundschreiben des Reichsärzteführers Dr. Gerhard Wagner an die Ärztekammern vom 17. Oktober 1938.

Nach der gewaltsamen Dezimierung auf eine nichtjüdische Ärzteschaft kam es zwangsläufig zu Versorgungsengpässen für die Bevölkerung – allein in Berlin waren damals vermutlich zwei Drittel aller Kassenärzte jüdisch – daraufhin wurde einigen jüdischen Ärztinnen und Ärzten gestattet, zumindest jüdische Patienten weiterhin zu betreuen. Diese Ärztinnen und Ärzte durften sich jedoch nicht mehr so nennen, sondern wurden zu sogenannten „Krankenbehandlern“ degradiert.

Das eben erwähnte Schreiben, das diesen Prozess einleitete, fand sich in einem der Aktenordner aus dem Bestand der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands. Der Ordner enthält viele weitere Dokumente zur, wortwörtlich: „Ausschaltung der jüdischen Ärzte“. Der Ordner selbst trägt die schlichte, mit Tinte geschriebene Aufschrift „Juden“.

Es folgte die Reichspogromnacht vom 9. November 1938, an dem die Synagogen in Deutschland brannten und die jüdischen Mitbürger in entsetzlicher Weise verfolgt, misshandelt, verhaftet und aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wurden.

Was folgte, war ein Zivilisationsbruch, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit in unvorstellbarer Dimension: die Shoah.

Derlei schreckliche wie bürokratisch abstrakte Vorgänge werden in unserer Ausstellung mit Namen und Gesichtern verbunden und auf diese Weise persönlich erfahrbar.

Ich denke, es ist ein besonderes Verdienst der Ausstellungsmacher, dass sie den Weg gewählt haben, anhand von individuellen Schicksalen und Lebensgeschichten von Ärztinnen und Ärzten, von Funktionären, aber auch von Patientinnen und Patienten die mit deutscher Gründlichkeit administrierten Gräueltaten des NS-Regimes erfahrbar zu machen.

So begegnen wir etwa Dr. Alfons Stauder, dem Vorsitzenden der beiden größten Ärzteverbände der Weimarer Republik, der 1933 vor der Gleichschaltung der Nationalsozialisten kapituliert.

Wir begegnen einer Kinderärztin, die an der „Führerschule der deutschen Ärzteschaft“ Kolleginnen und Kollegen auf deren Aufgaben im Dienst der sogenannten Volksgesundheit einschwört.

Und wir begegnen Josef Fuhr, einem fünffachen Familienvater, der aufgrund einer ärztlichen Diagnose als „unwertes Leben“ ermordet wird.

Aber wir lernen auch Karl und Auguste Gehre kennen, die ihren jüdischen Hausarzt in der Vorratskammer ihrer Berliner Wohnung vor den Nationalsozialisten versteckten und später seiner Familie halfen, unterzutauchen.

Jüdische und politisch andersdenkende Ärztinnen und Ärzte waren Opfer, andere waren Täter. Sei es, indem sie sich auf Kosten ihrer entrechteten Kolleginnen und Kollegen bereicherten, indem sie als Lagerärzte arbeiteten oder die sogenannte Aktion T4, den Massenmord an kranken und behinderten Menschen, unterstützten und vollzogen.

Wie der Titel der Ausstellung – „Systemerkrankung“ – schon sagt: Hinter jedem dieser Lebenswege steckte System. Ein System, in dem es einer menschenverachtenden Ideologie, gepaart mit bürokratischer Gründlichkeit gelang, das ärztliche Ethos vom Helfen und Heilen auf grauenvolle Weise zu pervertieren, wenn es beispielsweise um die Einteilung in „wertes“ und „unwertes“ Leben ging – und die Hybris, darüber zu entscheiden.

Die Ärzteschaft hat durch nichts wieder gut zu machende Schuld auf sich geladen, indem sie zum wesentlichen Teil der nationalsozialistischen Mordmaschinerie wurde, die ohne ihre Unterstützung gar nicht in dieser Form hätte funktionieren können.

So schwer und nahezu unerträglich für uns heutige Betrachter dies alles sein mag, so wenig dürfen wir den Fehler machen, dies als abgeschlossenes Kapitel unserer Geschichte zu betrachten. Gerade die verfasste deutsche Ärzteschaft hat sich, wie viele andere Institutionen auch, lange – zu lange – schwer damit getan, Konsequenzen aus den Ereignissen zu ziehen oder sich überhaupt tiefer damit zu befassen. Auch das zeigt die Ausstellung.

Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung als Rechtsnachfolgerin der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands hat im Rahmen dieses Forschungsprojekts erstmals Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine systematische Sichtung und Auswertung des AltArchivs der KVD ermöglicht. Es ist mir aber auch wichtig zu sagen, dass die Vertreterversammlung als höchstes Gremium der KBV, vom ersten Beschluss zur Aufarbeitung im Jahr 2017 über mehrere Projektverlängerungen bis hin zur Finanzierung dieser Ausstellung und des Katalogs mit absoluter Geschlossenheit und Einstimmigkeit hinter diesem Vorhaben stand und steht. Dabei geht es uns nicht nur um die Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern auch um ein deutliches Zeichen für Gegenwart und Zukunft.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung übernimmt mit der Aufarbeitung ihre historische Verantwortung, die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Als Ärzte- und Psychotherapeutenschaft in der heutigen Zeit, als Nachfolgeorganisation der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands, aber auch schlichtweg als Menschen sind wir dies schuldig – sowohl den Opfern der Vergangenheit als auch unserer Verantwortung für die Zukunft.

Vielen Dank.

Begrüßung von Dr. Andreas Gassen

Begrüßung von Dr. Andreas Gassen zur Eröffnung der Wanderausstellung „Systemerkrankung. Arzt und Patient im Nationalsozialismus“

Berlin, 28. November 2024

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

verehrte Gäste,

ich möchte Sie im Namen des Vorstands im Haus der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hier in Berlin willkommen heißen. Mit großer Freude begrüße auch ich unsere Gäste aus Israel. Wir freuen uns sehr, dass Sie heute bei uns sind.

Für den Deutschen Bundestag begrüße ich dessen Vizepräsidentin, Frau Pau, sowie die Mitglieder des Bundestags.

Stellvertretend für die Bundesregierung begrüße ich den Bundesminister für Gesundheit, Herrn Prof. Dr. Lauterbach.

Sehr herzlich begrüße ich auch die Damen und Herren vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, die für die Umsetzung des Forschungsprojekts „Die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands im Nationalsozialismus“ und für die Ausstellung verantwortlich zeichnen. Dies sind Frau Prof. Dr. Schüler-Springorum, Direktorin des ZfA, sowie Herr Prof. Dr. Uffa Jensen, stellvertretender Direktor.

Weitere Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Forschung, die sich insbesondere mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und dem Antisemitismus beschäftigen, sind ebenfalls heute hier – auch Sie heiße ich willkommen. Ebenso wie die Repräsentantinnen und Repräsentanten der Präsidien und Vorstände der Bundesärztekammer, der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und weiterer Verbände. Ich grüße außerdem die Mitglieder der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und die Vorstände und Vorstandsmitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Meine Damen und Herren,

wie Sie wissen, befinden wir uns hier am Herbert-Lewin-Platz. Dr. Lewin war ein jüdischer ärztlicher Kollege, Verfolgter des NS-Regimes und späterer Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Als die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung im Jahr 2004 nach Berlin zogen, nahmen sie den Namen von ihrer alten Anschrift, der Herbert-Lewin-Straße in Köln, mit. Bis 1986 hatte diese Straße Haedenkamp-Straße geheißen – benannt nach Dr. Karl Haedenkamp, einem der höchsten ärztlichen Funktionäre der Nachkriegszeit.

Nach allem, was wir wissen, war er in den 1930er- Jahren mit zuständig für die Überwachung der damals sogenannten Ausschaltung jüdischer und sozialistischer Ärzte. Auch dies ist ein Beispiel für die „Systemerkrankung“, dafür, wie ärztliche Standesvertreter sich zu willfährigen Handlangern der NS-Ideologie machten. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands hat sich damals in vorauseilendem Gehorsam selbst dem Regime untergeordnet und wurde damit zur Erfüllungsgehilfin des NS-Regimes in der Umsetzung seiner rassistischen und faschistischen Ideologie. Dafür kann ich als Vorsitzender der Nachfolgeorganisation dieser KVD, der heutigen Kassenärztlichen Bundesvereinigung, nur um Verzeihung bitten.

Wir leben heute in der Verantwortung, dass in Deutschland niemals wieder extremistische und menschenverachtende Parteien und Organisationen an die Macht kommen dürfen!

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund und unserer gesellschaftlichen Verantwortung als Ärzte und Psychotherapeuten erachten wir eine starke und unabhängige Selbstverwaltung, wie sie – noch – ein Merkmal unseres heutigen Gesundheitssystems in Deutschland darstellt, als ein wesentliches Element einer gelebten und wehrhaften Demokratie. Es zeigt sich aber immer öfter, dass eine gelebte und wehrhafte Demokratie kein Selbstläufer ist.

Nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes war für die Ärzteschaft der schnelle Aufbau einer funktionierenden Standesorganisation das wichtigste Ziel. Die Aufarbeitung und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit stand, wie bei vielen Organisationen in der Bundesrepublik, weder im Vordergrund noch wurde die Auseinandersetzung über Jahrzehnte problematisiert, wie wir an dem eben erwähnten Beispiel der Benennung einer Straße sehen.

Deshalb ist es vielleicht spät, aber nie zu spät, sich mithilfe kritischer Forschung mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Seit 2006 vergeben wir als KBV gemeinsam mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Bundesärztekammer und dem Bundesministerium für Gesundheit einen Preis für wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit der Aufarbeitung der Geschichte der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen. Auch dieser Preis ist nach Herbert Lewin benannt.

2017 haben wir als KBV- und KV-System beschlossen, darüber hinaus selbst unsere eigene Rolle aufzuarbeiten. Nach einstimmigen Beschlüssen in mehreren Vertreterversammlungen haben wir die notwendigen Finanzmittel bereitgestellt und das Forschungsprojekt etabliert, dessen Ergebnisse wir nun in dieser Wanderausstellung abschließend der Öffentlichkeit präsentieren. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Dr. Ulrich Prehn und Herrn Sjoma Liederwald vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin danken. Ohne Sie wäre das ganze Forschungsprojekt und damit all das, was wir heute hier zeigen können, nicht möglich gewesen. Danke für Ihre akribische, oftmals sicher niederschmetternde Auseinandersetzung mit dem Erbe der KVD und die hervorragende Aufbereitung!

Wir hoffen natürlich, dass diese Ergebnisse von möglichst vielen Menschen wahrgenommen werden. Wir leben in Zeiten, in denen der Antisemitismus erneut seine hässliche Fratze zeigt. Nicht zuletzt nach dem grauenvollen Terroranschlag vom 7. Oktober 2023, der von rassistischem Pöbel hier in Berlin mit dem Verbrennen von Israelfahnen und dem Verteilen von Süßigkeiten gefeiert wurde, tritt Antisemitismus offen zutage.

In den vergangenen Jahren wurden zunehmend jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland Opfer von verbalen oder tätlichen Übergriffen. Mitunter kommt der Antisemitismus versteckter daher – unter dem Deckmantel der Kritik an der israelischen Regierung wird antisemitisch agitiert. Hier ist von uns allen Haltung, entschlossenes Handeln und eine unmissverständliche Positionierung gefordert.

„Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“, unter diesem Titel haben die Fraktionen von SPD, Grüne und FDP, damals noch gemeinsam in der Regierung, zusammen mit der CDU/CSU-Fraktion einen Antrag für ein entschlossenes Handeln gegen Antisemitismus in Deutschland vorgelegt. Der Antrag ist am 7. November 2024, einen Tag nach dem Bruch der Regierungskoalition, von einer breiten Mehrheit im Bundestag verabschiedet worden. Dieses Anliegen unterstützen wir als KVen-System uneingeschränkt!

Gleichwohl muss ich jedoch anmerken, dass mir die Rolle der Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD) rätselhaft bleibt. Als Mitglied der Partei, die als einzige 1934 gegen Hitlers Ermächtigungsgesetze stimmte, verbreitete sie antisemitische Posts auf Instagram. Sich dafür dann knapp zu entschuldigen und zu behaupten, man habe nur auf ziviles Leid auf allen Seiten aufmerksam machen wollen, zeigt entweder ein großes Maß an politischer Naivität und Dummheit oder ist einfach nur perfide.

Meine Damen und Herren,

Petra Reis-Berkowicz sprach eben von den Akten der KVD als „Zeitzeugen“. Die menschlichen Zeitzeugen, die noch Zeugnis ablegen können über die Gräuel, die sie erfahren mussten, werden immer weniger. Fast alle, die wir heute Abend hier sind, können aber Zweitzeugen sein. Und zwar indem wir bewusst und verantwortungsvoll umgehen mit dem Wissen um die Vergangenheit, indem wir nicht die Augen verschließen vor Antisemitismus, Hass und Hetze, die sich wieder in unserer Gesellschaft breit machen. Indem wir respektvoll, tolerant und aufmerksam gegenüber unseren Mitmenschen bleiben – aber nicht gegenüber denjenigen, die meinen, Dinge relativieren oder gar einen Schlussstrich ziehen zu müssen.

Zwar blicken wir mit unserer Ausstellung in die Vergangenheit Wir wollen mit ihr aber ein Zeichen für unsere Gegenwart und Zukunft setzen. Das tun wir im Wissen um die deutsche Vergangenheit im Dritten Reich. Die können wir nicht mehr ändern. Aber wir sind verantwortlich dafür, wie sich unsere Gesellschaft heute entwickelt. Wir sind verantwortlich dafür, was heute um uns herum geschieht. Und wenn unsere jüdischen Freundinnen und Freunde heute Deutschland aus Angst wieder verlassen, dann müssen bei uns allen die Alarmglocken läuten!

Ein kleines Zeichen, im wahrsten Sinne des Wortes, setzen wir als KBV mit unserer Beteiligung an der Initiative „Welcome Places“ der jüdischen Gemeinde zu Berlin. Vielleicht haben Sie das entsprechende Schild am Eingang gesehen. Damit signalisieren wir Menschen, die auf der Straße in eine akute Bedrohungssituation geraten, dass sie in unseren Gebäuden Schutz finden. Schlimm genug, dass so etwas heutzutage wieder nötig zu sein scheint, gerade hier in Deutschland.

Forschungsarbeit und Ausstellungen wie die unsere werfen auch nach vielen Jahren immer wieder neues Licht auf die Ereignisse von damals, die eben nicht einfach „geschehen“ sind, sondern immer menschengemacht waren. Dieses Licht lässt uns schrecklichste Dinge sehen – aber die Alternative, sie dem Dunkel und damit dem Vergessen zu überlassen, ist keine Option und darf nie eine sein.

„Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung.“ Diese Worte Richard von Weizsäckers mahnen uns bis heute, niemals zu vergessen, wovon wir befreit wurden: von einer Ideologie des Hasses, der Ausgrenzung und der Unmenschlichkeit. Sie erinnern uns daran, dass Freiheit, Demokratie und Menschenwürde nicht selbstverständlich sind, sondern jeden Tag aufs Neue verteidigt werden müssen. Lassen wir uns von diesen Worten leiten, um gemeinsam entschieden gegen Hass, Rassismus und Antisemitismus einzutreten – für eine Gesellschaft, die auf Respekt und Solidarität basiert.

Vielen Dank.