Bericht von Dr. Sibylle Steiner an die Vertreterversammlung
Rede des KBV-Vorstandsmitglieds am 26. Mai 2025
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
auch ich begrüße Sie herzlich zur heutigen Vertreterversammlung (VV) hier in Leipzig und im Livestream. Ich finde, es muss einmal gesagt werden: Erstmals wurde die 116117 explizit in einem Koalitionsvertrag erwähnt. Die Nummer soll eine digital gestützte Steuerung und Terminvermittlung unterstützen. Das ist nicht nur ein Erfolg, sondern auch eine Würdigung der Leistung des KV-Systems.
Die Frage, wie den Menschen hierzulande medizinische Hilfe zielgerichtet und passgenau zuteilwerden kann, soll nach dem Willen der neuen Regierung mit unserem Know-how und unserer Erfahrung umgesetzt werden. Neben Primärärztinnen und Primärärzten soll laut Koalitionsvertrag die 116117 dazu dienen, den medizinisch notwendigen Bedarf für einen Facharzttermin und den Zeitkorridor dafür festzustellen.
Und ja: Die 116117 können wir zu einer umfassenden Versorgungs-, Vermittlungs- und Serviceplattform ausbauen. Klar ist dabei aber auch: Wenn die Bundesregierung auf die 116117 setzt und des Weiteren – ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag – „die flächendeckende Möglichkeit einer strukturierten Ersteinschätzung über digitale Wege in Verbindung mit Telemedizin“ schaffen will, dann kann die Finanzierung dieser Strukturen nicht länger ausschließlich bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) liegen. Hier brauchen wir zusätzliche Investitionen der öffentlichen Hand, denn es handelt sich um nicht weniger als eine infrastrukturelle Maßnahme des Staates zur Daseinsvorsorge.
Natürlich ist es auch nicht unser Ziel, Terminvermittlung künftig nur noch über Online-Portale stattfinden zu lassen. Auch nicht allein über die 116117. Dieses Angebot soll sich im Rahmen der Regelversorgung in erster Linie an diejenigen richten, die keine Praxis als ersten Ansprechpartner haben. Es geht auch nicht darum, die Versorgung als solche komplett in den virtuellen Raum zu verlagern. Deshalb haben wir in der jüngsten Vereinbarung mit dem GKV-Spitzenverband zur Videosprechstunde sichergestellt, dass Patientinnen und Patienten – wenn erforderlich – eine Anschlussversorgung in einer Praxis bekommen.
Noch eine Bemerkung zur Steuerung der psychotherapeutischen Versorgung: Hier dient die 116117 ja bereits als Terminvermittlungsstelle, etwa für psychotherapeutische Sprechstunden oder Akutbehandlungen. Ein Primärarztsystem ist hier weder erforderlich noch sinnvoll, denn unter anderem mit der psychotherapeutischen Sprechstunde gibt es bereits ein funktionierendes Steuerungsinstrument.
Bleiben wir noch einen Moment bei der psychotherapeutischen Versorgung: Bundesgesundheitsministerin Nina Warken hat einen Bürokratieabbau in der ambulanten Versorgung angekündigt. Das begrüßen wir außerordentlich und wir haben dazu seit langem viele konkrete Vorschläge. So zum Beispiel, das Antrags- und Gutachterverfahren für Psychotherapien zu vereinfachen, zu modernisieren und vor allem zu digitalisieren. Wir wollen, dass die Digitalisierung hier einen entscheidenden Beitrag leistet, bürokratischen Aufwand in den Praxen zu verringern und Abläufe zu verbessern.
Genau dazu dient auch unsere Kooperation mit dem Formularlabor der KV Westfalen-Lippe unter dem Leitgedanken: erst entbürokratisieren, dann digitalisieren. Es geht uns darum, Bearbeitungszeiten im Sinne der Patienten zu verkürzen und für die psychotherapeutisch tätigen Kolleginnen und Kollegen ein Angebot in der Telematikinfrastruktur (TI) zu schaffen, das ihnen einen praktischen Nutzen bietet. In diesen Prozess wollen wir wichtige interne und externe „Stakeholder“ einbinden. Dabei wäre aber auch Rückenwind durch den Gesetzgeber sehr hilfreich. Denn nach wie vor fehlt uns als Selbstverwaltung die gesetzliche Grundlage für ein digitales Antrags- und Genehmigungsverfahren. Bereits vor über einem Jahr haben wir gemeinsam mit dem GKV-Spitzenverband, der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung und dem Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) darum gebeten. Ich appelliere deshalb an die neue Hausleitung des BMG, sich dieses Themas endlich anzunehmen – auch unter äußerst kritischer Betrachtung des neu geschaffenen Qualitätssicherungsverfahrens in der ambulanten Psychotherapie.
Der aktuelle Koalitionsvertrag verspricht auch, Dokumentationspflichten und Kontrollen deutlich zu verringern. Die von uns als KBV schon lange geforderte Bagatellgrenze von 300 Euro bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen soll damit endlich kommen.
Um die Bundesregierung bei ihrem Vorhaben zu unterstützen, haben wir noch weitere Vorschläge erarbeitet. Dazu gehört, den Grundsatz „Beratung vor Regress“ auch für Einzelfallprüfungen vorzusehen und die Differenzkostenmethode einzuführen, um beispielsweise Kinderärzte im Falle von Off-Label-Use-Verordnungen vor einem Regressrisiko zu schützen. Auch beim Impfen als der zentralen Präventionsmaßnahme darf das Erreichen der Impfziele nicht durch Regresse gegenüber den Praxen gefährdet werden. Wir werden mit unseren Vorschlägen in Kürze auf das BMG zugehen.
Und erst kürzlich aufgebaute, unsinnige Bürokratie, wenn nicht gar Mittelverschwendung, könnte zügig wieder abgeschafft werden. Sie alle erinnern sich nur zu gut: Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz wurden die KVen verpflichtet, ungeprüfte Abrechnungsdaten innerhalb von vier Wochen nach Quartalsende an die Krankenkassen zu übermitteln, damit diese die Daten an das Forschungsdatenzentrum (FDZ) weiterleiten können. Wir hatten schon im Gesetzgebungsverfahren kritisiert, dass Aufwand und Nutzen einer Vorabübermittlung von qualitativ und quantitativ unzureichenden Abrechnungsdaten in keinem Verhältnis stehen und dass diese nicht dazu beitragen, die Aufgabenwahrnehmung des FDZ zu verbessern. Denn Forschung auf Grundlage ungeprüfter Daten widerspricht der guten Praxis von Sekundärdatenanalysen. Mit erheblichem Aufwand haben die KVen nun die gesetzliche Verpflichtung umgesetzt.
Vor ein paar Tagen haben wir ganz beiläufig von einem IT-Dienstleister der Krankenkassen erfahren, dass die Krankenkassen die Daten noch gar nicht verarbeiten könnten und auch die Weiterverarbeitung im Sinne des Gesetzes erst Monate später erfolgen werde. Heißt im Klartext: Die KVen setzen die gesetzliche Vorgabe schnell und fristgerecht um. Die Krankenkassen können die Daten nicht annehmen und erst Monate später sollen sie ihrem eigentlichen Zweck, der Verwendung für Forschung zur Verfügung stehen, die später mit geprüften Daten nochmals wiederholt werden müsste. Wir appellieren daher dringend an das BMG: Streichen Sie diesen Paragrafen und setzen Sie auf valide Versorgungsforschung!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, von nicht weniger als einer „Zeitenwende“ sprach am 29. April der damals noch amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbach angesichts der bundesweiten Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA). Wir konnten erreichen, dass die Nutzung der ePA für die Praxen zunächst freiwillig ist. Das war auch dringend geboten angesichts des ruckeligen Starts in den Modellregionen und der fehlenden Möglichkeit, die ePA im Praxisalltag und im Netzwerk mit anderen Praxen zu testen. Schließlich geht es nicht nur um technische Funktionalitäten, sondern auch um das Handling im Arbeitsalltag.
Zumindest ist Ex-Minister Lauterbach auf den letzten Metern seiner Amtszeit den Vertragsärzten und -psychotherapeuten in Sachen ePA-Einführung entgegengekommen: Neben der zunächst freiwilligen Nutzung gehört dazu auch das Aussetzen des gesetzlich vorgesehenen Abrechnungsausschlusses als Sanktionierungsmaßnahme, wenn Praxen ohne eigenes Verschulden die Konformitätsbescheinigung für das ePA-Modul in ihrer Praxissoftware nicht vorweisen können. Dies gilt zumindest bis Ende des Jahres. Eine entsprechende KBV-Richtlinie konnten wir mit dem BMG abstimmen. Unabhängig davon ist jede Art von Sanktionen für Praxen im Zuge der Digitalisierung ein verfehltes Signal: Digitale Anwendungen müssen durch ihren Nutzen überzeugen und dürfen nicht mittels Strafmaßnahmen „durchgedrückt“ werden.
Allen Praxen in den Modellregionen der gematik in Hamburg und Franken sowie in der Testregion Nordrhein-Westfalen und natürlich den KVen danke ich herzlich, dass sie sich für die Erprobungsphase zur Verfügung gestellt haben. Sie haben mutig digitale Pionierarbeit geleistet und dazu beigetragen, dass viele Fehler gefunden und zum Nutzen aller Kolleginnen und Kollegen behoben werden konnten. Viele Praxen hätten gerne intensiver mit der ePA gearbeitet, aber unter anderem aufgrund der kleinen Zahl beteiligter Einrichtungen war dies nicht möglich. Jetzt besteht die Chance hierzu.
Ich kann nur an alle Praxen appellieren, diese Zeit der freiwilligen Hochlaufphase zu nutzen und vor allem auch Feedback an die Praxisverwaltungssystem-(PVS)-Hersteller und die gematik zu geben, damit jetzt zügig weitere Verbesserungen an Technik und Praxistauglichkeit der ePA erreicht werden können. Denn in der von der Politik beabsichtigten Versorgungssteuerung muss eine gut funktionierende ePA entscheidend zu einem verbesserten Informationsfluss zwischen den an der Behandlung Beteiligten beitragen.
Ein weiterer wichtiger Etappensieg im Zusammenhang mit der Einführung der ePA, den wir gemeinsam mit den hier vor allem betroffenen Berufsverbänden erzielen konnten, betrifft die Befüllungspflicht der ePA von Kindern und Jugendlichen. Nach langen Diskussionen hat das BMG eingesehen, dass die Daten von Kindern unter 15 Jahren einem besonderen Schutzbedürfnis unterliegen. Deshalb sind Ärzte und Psychotherapeuten jetzt nicht mehr verpflichtet, die ePA zu befüllen, sofern erhebliche therapeutische Gründe dagegensprechen oder wenn gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohles vorliegen. Auch hierzu konnten wir mit dem BMG eine Richtlinie der KBV abstimmen.
Hinter all diesen gefundenen Lösungen zum bundesweiten Roll-out der ePA steckte viel harte Arbeit und Teamwork in der KBV. Dafür möchte ich Herrn Dr. Weinrich und Herrn Dr. Stachwitz und ihren Teams ganz besonders danken.
Als Ärzte und Psychotherapeuten müssen wir uns auf den besonderen Schutz sensibler Daten verlassen und diesen auch gegenüber unseren Patienten gewährleisten können. Die Richtlinie zur Befüllungspflicht der ePA bei Kindern und Jugendlichen ist ein wichtiger Schritt. Und wenn Ärzte oder Psychotherapeuten sich aus den genannten Gründen gegen die Befüllung der ePA entscheiden, dann dürften die dazugehörigen Abrechnungs- und Diagnosedaten durch die Krankenkassen ebenfalls nicht eingestellt werden. Hier besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf. Die von uns geforderte Umstellung auf ein Opt-in-Modell der ePA bei Kindern und Jugendlichen wäre die verantwortungsbewusstere Lösung.
Auch die Tatsache, dass Abrechnungs- und Diagnosedaten der Krankenkassen unabhängig davon, ob der Versicherte von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht hat, weiterhin für alle Zugriffsberechtigten sichtbar sind, ist nicht nur ein logischer Bruch, sondern schützt Patientinnen und Patienten nicht ausreichend. Die Forderung der KBV-Vertreterversammlung vom Dezember vergangenen Jahres, wonach die Daten der Krankenkassen ausschließlich vom Versicherten selbst eingesehen werden sollten, hat das BMG jedoch bislang nicht erfüllt. Das ist nach wie vor ein Missstand!
Apropos Missstand: Beim Thema Umstellung sämtlicher TI-Komponenten und Anwendungen auf einen neuen Verschlüsselungsalgorithmus, technisch gesprochen ECC-Migration, hatten sicherlich einige von Ihnen eine Art von Déjà-vu-Erlebnis. Laut Vorgabe der Bundesnetzagentur und Empfehlung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) darf das aktuelle Verfahren nur noch bis Ende dieses Jahres verwendet werden. Konkret bedeutet das: 35.000 Konnektoren, die nur mit dem bisherigen RSA-Algorithmus konfiguriert sind, müssen ausgetauscht werden. Dazu kommen etwa 100.000 elektronische Heilsberufsausweise (eHBAs), 30.000 Praxisausweise (SMC-Bs) und circa 160.000 gerätespezifische Karten für eHealth-Kartenterminals (gSMC-KT). Betroffen sind hiervon in erster Linie Praxen, da sie von allen Leistungserbringern im Gesundheitswesen am weitestgehenden digitalisiert sind. Ohne den rechtzeitigen Austausch zum 31. Dezember 2025 könnten die Praxen nach jetzigem Stand die TI-Anwendungen nicht länger nutzen.
Wir haben die gematik bereits seit dem vergangenen Jahr und wiederholt auf den dringenden Handlungsbedarf hingewiesen. Sie will jedoch – bis auf wenige Ausnahmen – an dem Zeitplan festhalten, hat bislang aber weder alle notwendigen technischen Spezifikationen noch einen umfassenden Migrationsplan vorgelegt. Wir halten eine sichere und reibungsfreie Umsetzung der neuen Verschlüsselungsanforderungen in der Kürze der noch zur Verfügung stehenden Zeit für kaum realisierbar. Wir sprechen uns deshalb für eine sichere Verlängerung der Nutzungsdauer des bisherigen Verschlüsselungsalgorithmus über den 31. Dezember 2025 hinaus aus. Nur so kann eine geordnete Umstellung ermöglicht werden, ohne die Versorgung der Patienten zu gefährden.
Andere Länder haben bereits entschieden, in Frankreich etwa ist die Nutzung von RSA sogar noch bis Ende 2030 erlaubt. Sicherlich sind wir uns alle einig, dass ein Rückgriff auf papiergebundene Ersatzverfahren, etwa für das Ausstellen von Arzneimittelrezepten und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, in keinem Fall eintreten darf. Ein derartiger Fehler würde massiv die Akzeptanz der TI und ihrer Anwendungen gefährden und darüber hinaus zu einem erheblichen Imageschaden für die Digitalisierung in Deutschland führen. Und dies obendrein genau zu jenem Zeitpunkt, zu dem eigentlich die gerade begonnene bundesweite Einführung und breite Nutzung der ePA im Versorgungsalltag erfolgen soll.
Um es klar zu sagen: Die Praxen arbeiten jeden Tag mit den Instrumenten der TI. Wir würden uns sogar mehr Digitalisierung wünschen – dazu komme ich gleich. Grundvoraussetzung hierfür ist aber: Die Dinge müssen funktionieren, Unsicherheiten können wir uns nicht leisten. Die gematik hat die Verantwortung für die Betriebssicherheit der TI und wir erwarten, dass sie dieser Verantwortung gerecht wird. Gerne bieten wir unsere Unterstützung bei der Umsetzung an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Politik hat uns allen lange unterstellt, bei der Digitalisierung auf der Bremse zu stehen. Die ambulante Versorgung ist jedoch der mit Abstand am stärksten digitalisierte und digital vernetzte Bereich im deutschen Gesundheitswesen. Allein beispielsweise über 750 Millionen ausgestellte eRezepte seit Anfang des Jahres 2024 sprechen für sich. Und wir sind nicht Bremser, sondern Vorreiter, wenn es um eine sinnvolle und nutzenbringende Digitalisierung geht!
Daher haben wir uns auch in den beiden zurückliegenden Klausurtagungen der KBV-Vertreterversammlung intensiv mit den Zukunftsfragen der Digitalisierung beschäftigt und Positionen und Anforderungen an den weiteren Ausbau der Digitalisierung in der Versorgung formuliert. Ihnen allen danke ich sehr herzlich für Ihre Beiträge und Unterstützung bei der Erstellung des Papiers, das Ihnen heute zur Beschlussfassung vorliegt. Die Überschrift ist Programm: „Digital und nah“.
Für die vertragsärztliche und vertragspsychotherapeutische Versorgung haben wir klare Zielvorstellungen:
- Digitale Verordnungen müssen zukünftig alle Bereiche verordneter Leistungen umfassen.
- Eine funktionale ePA ermöglicht Ärzten und Psychotherapeuten den Zugriff auf medizinisch relevante Informationen aus allen Sektoren.
- Telemedizinische Angebote wie Videosprechstunden, Telekonsile und Telemonitoring werden als wertvolle Ergänzung der Behandlung in der Praxis ausgebaut.
- Digitale Patientensteuerung und sektorenübergreifende Vernetzung lenken Patienten in die richtige Versorgungsebene.
- KI-Tools unterstützen Praxen bei administrativen Prozessen und ebenso dabei, Patienten nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin zu versorgen.
Basierend auf unseren bisherigen Erfahrungen erheben wir fünf Kernforderungen an die Politik:
- Praxistaugliche digitale Lösungen lassen sich nicht ohne die Anwender, sprich ohne ärztliche und psychotherapeutische Expertise entwickeln. Unsere Expertise muss daher frühzeitig und konsequent miteinbezogen werden.
- Die TI muss stabil funktionieren und mit benutzerfreundlichen Anwendungen überzeugen.
- Wir brauchen ein Praxiszukunftsgesetz – analog zum Krankenhauszukunftsgesetz, damit Praxen in moderne Informationstechnologien investieren und zu einem innovativen Praxisverwaltungssystem wechseln können.
- Die Digitalisierung muss durch gezielte Anreize statt Sanktionen vorangetrieben werden.
- Damit sich die Praxen nicht nur untereinander digital austauschen und vernetzen können, muss die Digitalisierung in allen Bereichen der Gesundheit und Pflege zügig vorangetrieben werden. Hybride Lösungen sind halbe Lösungen, die aber oft doppelte Arbeit machen.
Abschließend möchte ich noch kurz auf das Thema Künstliche Intelligenz (KI) zu sprechen kommen, das wir in unserem Papier „Digital und nah“ ebenfalls aufgreifen. Die rasante Entwicklung von KI, auch in der Medizin, führt dazu, dass entsprechende Produkte mehr und mehr in Praxen zum Einsatz kommen. Auch der morgen beginnende Deutsche Ärztetag wird sich mit der Thematik ausführlich befassen.
Wir haben uns für den pragmatischen Weg entschieden und wollen den Praxen einen Leitfaden zum Umgang mit KI an die Hand geben, der heute ebenfalls zur Beschlussfassung vorgesehen ist. Der Leitfaden bietet einen kompakten Überblick, worauf Praxen beim Einsatz KI-basierter Lösungen achten sollten. Die Grundlage hierfür bildet die KI-Verordnung der Europäischen Union. Unsere Handreichung dient als Checkliste, an der sich die Praxen orientieren können, etwa wenn es um die Auswahl von KI-Lösungen geht oder um die notwendige Einwilligung der Patienten in die Nutzung eines solchen Systems. Hinzu kommen noch besondere Anforderungen an Cloud-Lösungen. Klar ist: KI fällt keine Entscheidungen und sie muss transparent sein. Die Verantwortung im Rahmen der Versorgung liegt weiterhin bei Ärzten und Psychotherapeuten.
Natürlich nutzen auch Krankenkassen KI und sie tun dies vermehrt. Ein möglicher Anwendungsfall ist der mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz eingeführte Paragraf 25b SGB V. Er ermöglicht den Kassen, ihnen vorliegende Daten auszuwerten, um ihre Versicherten auf bestimmte Risiken hinzuweisen, etwa Anhaltspunkte für bestimmte Erkrankungen oder bestehende Impflücken. Bislang nutzen Krankenkassen diese Möglichkeit tatsächlich vor allem dazu, ihre Versicherten an Termine für Schutzimpfungen zu erinnern. Dagegen ist nichts einzuwenden – wenn es darüber hinausgeht, allerdings schon.
Es gibt hier Unklarheiten, etwa welche Art von Algorithmen genutzt werden und auch, ob ein solches Vorgehen überhaupt die Versorgung verbessert. Diese kritischen Fragen müssen besonders dann erlaubt sein, wenn es um Hinweise auf möglicherweise schwere Erkrankungen geht. Dies kann zu großen Verunsicherungen bei den Patienten führen, und niemand möchte hiervon von seiner Krankenkasse per Brief oder am Telefon erfahren. Ein solches Gespräch gehört alleine in den geschützten Raum einer Arztpraxis und sonst nirgendwo hin! Deshalb ist es richtig, dass Krankenkassen keinen Zugriff auf Patientendaten in der ePA haben. Das muss auch so bleiben!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ziel einer zukunftsorientierten Versorgung besteht darin, dass unsere medizinischen und psychotherapeutischen Teams künftig noch mehr und noch besser digital und mittels KI unterstützt werden. Ich versichere Ihnen, dass ich persönlich und wir als KBV weiterhin alles dafür tun werden, Steine für die Praxen aus dem Weg zu räumen und das „positive Nutzenerlebnis“, wie es immer heißt, tatsächlich und mehr und mehr für alle erfahrbar zu machen.
Persönlich bin ich davon überzeugt, dass in der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung – und darum geht es im KV-System – der menschliche Faktor unverzichtbar bleibt: Gerne greifen wir auf digitale Technologien zurück. Aber Software und Technik ersetzen niemals die Nähe zum Menschen. Ärztliches beziehungsweise psychotherapeutisches Handeln, Ethik und Kontrolle sind daher unverzichtbar für eine erfolgreiche Gesundheitsversorgung von morgen.
Vielen Dank
(Es gilt das gesprochene Wort)