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Stand 06.12.2019

Reden

Bericht von Dr. Andreas Gassen an die Vertreterversammlung

Rede des KBV-Vorstandsvorsitzenden am 6. Dezember 2019

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

ich begrüße Sie im Namen des Vorstands zur letzten Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Jahr 2019. Ein Jahr, dass sich – wieder, muss man fast sagen – durch eine Art gesetzgeberische Hyperaktivität ausgezeichnet hat.

Zum Jahresende hat sich die Frequenz noch einmal erhöht und die Regierung eine Reihe weiterer Gesetze beschlossen. Dazu gehören das Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung, das Implantateregister-Gesetz, das MDK-Reformgesetz, das Masernschutzgesetz, das Hebammenreformgesetz, das Digitale-Versorgung-Gesetz und das Dritte Bürokratieentlastungsgesetz.

Alle diese für die ambulante Versorgung relevanten Gesetze hat der Bundestag allein im November verabschiedet. Am 18. Dezember findet noch die Anhörung zum Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz statt. Dieses Gesetz ist wie wohl kein anderes der Regel des verstorbenen SPD-Politikers Peter Struck gefolgt, die besagt: Was am Ende aus dem Bundestag herauskommt, hat mit dem, was hineinging, nicht mehr viel zu tun. Meines Erachtens werden nach dem ganzen Gezerre die Vertragsärzte diejenigen sein, die nichts bekommen werden.

Auch im neuen Jahr bleibt es spannend. Wir gehen davon aus, dass ein – dieses Mal mit der Leitung des Hauses abgestimmter – Referentenentwurf zur Notfallversorgung kommen wird. Ein Aspekt wird voraussichtlich die Einrichtung sogenannter Integrierter Notfallzentren sein. Wenn man die Namensgebung mal außer Acht lässt, so muss man allerdings konstatieren, dass der Gesetzgeber hier etwas regeln will, was in den Regionen oftmals längst praktiziert wird – nur unter anderem Namen.

Ob wir es nun Portalpraxis, gemeinsame Anlaufstelle oder gemeinsamer Tresen nennen – in den KV-Regionen arbeiten Krankenhäuser und Niedergelassene längst gut und gerne zusammen, wenn es um die Versorgung der Menschen außerhalb der Praxisöffnungszeiten geht. Welcher Name am Ende auf dem Ganzen steht, dafür lohnt es meiner Ansicht nach nicht, sich zu verkämpfen.

Wogegen wir uns aber mit Nachdruck wehren, ist, aus der Akut- und Notfallversorgung einen eigenständigen dritten Sektor zu machen. Dies ist für die Versorgung schlichtweg nicht notwendig. Und organisatorisch würde es alles nur verkomplizieren. Statt Schnittstellen und Sektorengrenzen abzubauen, würde man neue schaffen. Wir haben klare Vorstellungen, wie die Notfallversorgung kooperativ mit dafür geeigneten Krankenhäusern organisiert werden kann und sollte. Das bekommen wir auch ohne neue Institutionen hin. Immerhin hat mittlerweile auch der Minister gesagt, dass er vorhandene Strukturen nicht in Frage stellen wolle. Wir nehmen ihn beim Wort. Stephan Hofmeister wird hierzu noch einmal unsere Position erläutern.

Ebenfalls im neuen Jahr erwarten wir das Digitale-Versorgung-Gesetz II. Es soll vor allem Näheres zur elektronischen Patientenakte und zum Datenschutz regeln. Dabei geht es auch um die Frage, ob Praxen, die Videosprechstunden anbieten, künftig einen Datenschutzbeauftragten bestellen müssen. Mein Vorstandskollege Thomas Kriedel wird hierzu gleich näher ausführen.

Die aktuelle Gesundheitsgesetzgebung zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass sie teilweise den Charakter eines Fortsetzungsromans hat. Sondern auch dadurch, dass kaum ein Gesetz zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens dies in Gänze tut. Stattdessen treten manche Teile früher, einige später in Kraft, manchmal liegen Monate oder gar Jahre dazwischen. Auch Teile des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) treten erst Anfang kommenden Jahres in Kraft. Das macht das Ganze manchmal etwas unübersichtlich. Hinzu kommt, dass Folgeregelungen kommen, bevor das bisher Geregelte überhaupt Effekte zeigen kann. Ja, wir sehen eine Menge Punkte der Gesetzgebung kritisch. Aber: Immerhin passiert etwas. Man kann Minister Spahn dafür kritisieren, dass die Taktzahl zu hoch ist, dass manches nicht zu Ende gedacht ist oder dass manche Regelung nicht der Versorgung dient. Aber zumindest ist er jemand, der eine politische Idee hat, diese formuliert und dann Gesetzentwürfe erstellen lässt. Er entscheidet – nicht immer in unserem Sinn, aber er will etwas verändern. Das kennen wir sonst aus der Bundesregierung nicht. Da hat eigentlich niemand sonst mehr eine Idee, niemand entscheidet, die Hälfte der Minister kennt eh keiner mehr. Die Kanzlerin ist abgetaucht. Niemand führt oder diskutiert noch. Man hat den Eindruck, in der Bundesregierung trifft Not auf Elend und das einzige, was die GroKo noch zusammenhält ist die – aus meiner Sicht berechtigte – Furcht der Beteiligten, dass im Falle einer Neuwahl viele ihre gut dotierten Jobs und Privilegien verlören und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dann schlechte Karten hätten – denn wir suchen schließlich Fachkräfte.

Jens Spahn schert aus der Phalanx der Untätigen aus. Manchmal wäre es einem lieber, er würde es halten wie der Rest der Bundesregierung. Aber seine Dynamik scheint ungebrochen. Nicht immer liegt er unserer Einschätzung nach richtig. Es ist daher unsere Aufgabe, in den Diskurs zu treten und um sinnvolle Lösungen zu ringen. Das ist eine Herausforderung – für uns alle. Aber es ist die Mühe wert. Ich weiß, manch einer hat den Eindruck, die KBV würde nicht stark genug auf den Putz hauen, um es mal salopp zu formulieren. Aber derjenige, der am lautesten schreit, bekommt nicht zwangsläufig recht. Unsere Erfahrung ist, dass wir zurzeit mit beharrlich, aber sachlich vorgetragenen Positionen – sozusagen mit dem argumentativen Florett – mehr für die Vertragsärzte und -psychotherapeuten erreichen als mit Pauken und Kanonen. Das bestätigt sich ganz aktuell in Bezug auf die Umsetzung von Vergütungsanreizen aus dem TSVG. Das Ministerium hatte die hierzu erfolgten Beschlüsse des Bewertungsausschusses teilweise beanstandet und Nachbesserungen gefordert. Wir haben interveniert und waren schließlich erfolgreich: Das BMG hat seine Auflagen zurückgezogen – im Übrigen ein fast einmaliger Vorgang, der auch unserer Beharrlichkeit geschuldet ist. Das zeigt, dass der Minister sich Argumenten nicht verschließt. Auch das muss man Jens Spahn lassen: Er diskutiert hart, aber er lässt sich auch überzeugen. Das spricht für ihn und dafür, dass das Wort Debatte für ihn keine leere Hülse ist, sondern ernstgemeint. Unser Erfolg zeigt außerdem, dass die ärztliche Selbstverwaltung kein willfähriger Erfüllungsgehilfe ist, sondern – wieder – als ernstzunehmender Gesprächspartner angesehen wird und für ihre Positionen auch gerne streitet. Ich versichere Ihnen: Wir werden diese Aufgabe auch in Zukunft im Sinne der Vertragsärzte und -psychotherapeuten erfüllen. Dafür geben Sie uns auch die nötige Beinfreiheit – dafür meinen ausdrücklichen Dank. Dass wir als KBV gut und fundiert argumentieren können, ist nicht zuletzt in der herausragenden Arbeit unserer Mitarbeitenden begründet. Es war in diesem so anstrengenden Jahr essentiell, als Vorstand diese tolle Mannschaft hinter sich zu haben. Auch dafür den herzlichen Dank und die Anerkennung des ganzen Vorstandes.

Was bringt nun das neue Jahr?

Ab Januar wird unter der bisherigen Bereitschaftsdienstnummer Elf6 Elf7 ein umfassendes Serviceangebot für Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen. Wer akut ärztliche Hilfe sucht, erhält am Telefon zunächst eine medizinische Ersteinschätzung. Dazu arbeiten die Mitarbeitenden im Callcenter mit einem strukturierten Fragenkatalog, mit dessen Hilfe die aktuellen Beschwerden und eventuell weitere Informationen zum Gesundheitszustand des Patienten erhoben werden. Hierfür nutzen wir die Software SmED (Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland), basierend auf einem in der Schweiz erfolgreich angewendeten Verfahren, das für den deutschen Bedarf angepasst und weiterentwickelt wurde. Die Ersteinschätzung dauert wenige Minuten. Daraus ergibt sich eine Empfehlung, wann und in welcher Versorgungsebene die hilfesuchende Person behandelt werden sollte. Ergänzt wird dieses Angebot durch die Terminvermittlung über die Terminservicestellen (TSS), welche ab Januar ebenfalls unter der Nummer Elf6 Elf7 erreichbar sein werden.

Ich denke, dass die Rolle der TSS hierdurch aufgewertet und die Zahl der Vermittlungsfälle steigen wird. Die TSS waren bislang nicht gerade unser liebstes Kind. Wir haben ihre Notwendigkeit für die Versorgung als nicht so gravierend angesehen wie der Minister. Und bislang geben uns die Zahlen recht. Im Jahr 2018 wurden rund 222.000 Termine über die TSS vermittelt. Gemessen an der Zahl von einer Milliarde Arzt-Patienten-Kontakten jährlich ist das ein verschwindend geringer Anteil. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Praxen den TSS im Schnitt das Fünf- bis Sechsfache an Terminen zur Verfügung stellen und diese Kontingente dann nicht genutzt werden. Andererseits sind es 222.000 individuelle gelöste Probleme. Es zeigt aber, dass die politische Darstellung, wonach Millionen Versicherte in Deutschland verzweifelt versuchen, Termine zu bekommen, wohl doch nicht zutreffend war. Wenn wir nun die Erreichbarkeit vereinfachen, könnte dies die Nachfrage jedoch steigern und die TSS können die ihnen zugedachte Servicefunktion besser wahrnehmen. Unsere Auswertung für die ersten beiden Quartale des Jahres 2019 zeigt bereits, dass die Inanspruchnahme steigt.

Nicht geklärt ist damit allerdings die Frage, ob auch die richtigen Patienten – richtig im Sinne von tatsächlich medizinisch bedürftig – nun vermehrt Termine erhalten.

Ich hatte in den vergangenen Wochen bei verschiedenen Veranstaltungen Gelegenheit, über das TSVG und seine erwartete Wirkung zu diskutieren, und mein Fazit lautet: Wir sind mit unserer Skepsis nicht alleine. Seien es Vertreter aus der Wissenschaft oder von den Krankenkassen – viele teilen die Sorge, dass insbesondere ältere und chronisch Kranke das Nachsehen haben könnten. Sei es, weil sie vielleicht nicht so gut darin sind, die neuen Möglichkeiten für sich zu beanspruchen, sei es, weil ihnen mit Akutterminen nicht geholfen ist, oder weil es für ihre Behandlung keinen Neupatientenzuschlag gibt. Man muss kein Prophet sein um vorhersagen zu können, dass hier über kurz oder lang ein neues Versorgungsproblem droht. Klar ist: Mit den Maßnahmen im TSVG erhöht die Politik die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen, ohne zu hinterfragen, wer diese Leistungen in Anspruch nimmt oder nehmen sollte. Immerhin: Mit dem neuen Serviceangebot Elf6 Elf7 und der medizinischen Ersteinschätzung haben wir erstmalig die Chance, Patienten entsprechend ihres Bedarfs dorthin zu navigieren, wo sie am besten versorgt werden – und damit die Ressource Arzt bedarfsgerecht einzusetzen. Denn diese Aufgabe wird von der Politik nach wie vor nicht angegangen.

Wir sehen allerdings noch weitere Handlungsfelder. Dazu gehören:

der Ausbau ambulanter Strukturen und die Entwicklung intersektoraler Versorgung,
eine neue Definition von Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen,
der Ausbau digitaler Dienste, insbesondere auch zur Unterstützung der Ärztinnen und Ärzte
das KV-System als Treiber von Versorgungsforschung zu erhalten, 
telemedizinische Versorgung als Bestandteil des Sicherstellungsauftrags
sowie letzlich die Entwicklung einer angemessenen Vergütung und deshalb auch die Überprüfung der die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung bestimmenden Aspekte.
Hierzu sind wir bereits mit der KBV-Vertreterversammlung und den KVen in Beratungen und werden unsere Vorstellungen dann in einer Weiterentwicklung unseres Papiers „KBV 2020“ präzisieren.

Ein Dauerbrenner bleibt die Vergütung von Vertragsärzten und -psychotherapeuten. Eine mögliche Reform der Vergütungssysteme steht im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Das Bundesgesundheitsministerium hat dazu eine wissenschaftliche Kommission eingesetzt, die Ende dieses Jahres ihre Arbeitsergebnisse vorlegen soll. Dabei gibt es auch Spekulationen über eine einheitliche Gebührenordnung für die gesetzliche und die private Krankenversicherung. Ich persönlich glaube nicht, dass das das Ergebnis sein wird. Die beiden Systeme zu vereinheitlichen wäre ein gewaltiger Akt, weil sie auf völlig verschiedenen Grundprinzipien beruhen. In der GKV wird nur bezahlt, was nachweislich die Kriterien wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig erfüllt – Sie kennen das. In der privaten Krankenversicherung entfällt diese Prüfung, weshalb die Versicherten einen schnelleren Zugang etwa zu medizinischen Innovationen haben. Dafür ist die Fehleranfälligkeit höher. Dieser Spagat ist nicht auflösbar.

Wollte man die beiden Systeme zusammenführen, wären dafür drei Szenarien denkbar: Entweder es werden nur Therapien bezahlt, die nachweislich wirksam sind. Das würde den Innovationsmotor abwürgen. Die umgekehrte Variante wäre: Alle Leistungen werden bezahlt. Dann wäre die erforderliche Geldmenge nicht quantifizierbar, die Folge wäre unausweichlich eine noch stärkere Quotierung von Leistungen, als wir sie heute schon haben. Die dritte Variante würde ich als die englische Lösung bezeichnen, da sie im britischen National Health Service Anwendung findet – der hierzulande ja eher selten als Vorbild in Sachen Gesundheitsversorgung gesehen wird. Dort lautet die Devise: Alles wird bezahlt – aber nicht immer und nicht für jeden. Die 80-Jährige bekommt eben kein neues Hüftgelenk mehr. Einen Facharzt kriegen Sie dort überhaupt nur zu Gesicht, wenn der Ihnen zugewiesene Primär-Hausarzt dies als nötig erachtet. Wenn Sie in dem staatlichen System alle Leistungen bekommen wollen, müssen Sie sich diese privat dazukaufen – das gilt auch für die freie Arztwahl. Von den Wartezeiten will ich gar nicht erst reden. Das ist eine Zwei-Klassen-Medizin durch die Hintertür.

Übrigens: Ein kürzlich von der EU-Kommission vorgelegter Bericht zu den Gesundheitssystemen in der EU stellt für das deutsche Gesundheitssystem fest, ich zitiere: „Der Anteil der Menschen, die einen ungedeckten medizinischen Behandlungsbedarf aufgrund von Kosten, Entfernungen oder Wartezeiten berichteten, war 2017 nahezu null, wobei es fast keinen Unterschied zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Gruppen gab“.

Für mich lautet das Fazit deshalb: Unser duales System ist grundsätzlich in Ordnung. Die Ideologen, die stumpf etwas anderes behaupten und eine Bürgerversicherung fordern, sollten einfach mal still sein und die Fachleute agieren lassen. Allerdings sollten Hürden dazwischen abgebaut und das Beste aus zwei Welten zusammengeführt werden, um den Versicherten mehr Wahlmöglichkeiten zu bieten. Der GKV sollte ermöglicht werden, Zusatztarife anzubieten. Von mir aus etwa für Homöopathie – kann man kriegen, kostet den Einzelnen dann aber mehr und geht nicht zulasten der Solidargemeinschaft. Umgekehrt sollte die PKV eine Grundsicherung auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung anbieten – ohne Gesundheitsprüfung.

Sicher gäbe es noch weitere denkbare Modelle – alle wären für die Patienten besser als eine Bürgerversicherung. Ich finde, man sollte den Menschen mehr statt weniger Entscheidungsspielräume geben. Nur so lässt sich gewährleisten, dass alle ihren Bedürfnissen entsprechend versorgt werden. Auch wollen wir keine Einheitsgebührenordnung. Was allerdings nicht sein kann, ist, dass dieselben Leistungen in Kliniken und Praxen unterschiedlich bezahlt werden. Darum sollte die von der Politik eingesetzte Vergütungskommission sich kümmern.

Doch auch in Bezug auf den Einheitlichen Bewertungsmaßstab gibt es unverändert Nachbesserungsbedarf.

Auch wenn die EBM-Reform, die 2012 beschlossen wurde, und durch den Gesetzgeber bis 29. Februar 2020 gefordert wird, nun nach vielen Jahren kurz vor dem Abschluss steht, wird sie wohl außer dem Problem zu hoher Prüfzeiten keine Probleme lösen. Dafür aber hoffentlich auch wenigstens keine neuen produzieren. Der unsägliche Anspruch, eine Reform kostenneutral und damit durch Umverteilung zu bewerkstelligen, ist nicht sinnvoll zu erfüllen! Die grundsätzliche Verweigerung der GKV, zusätzliche Mittel für den kalkulatorischen Arztlohn bereitzustellen, mutet angesichts der offensichtlichen Notwendigkeit schon ideologisch an. So muss man die anstehende EBM-Reform mehr als Schadensbegrenzung begreifen. Da es kein zusätzliches Geld gibt, ging es im Wesentlichen darum, spürbare Umverteilungen zu verhindern, ein Chaos wie 2008 zu vermeiden und trotzdem die lange überfällige Besserstellung der sprechenden Medizin – besser wäre die patientennahe Medizin – zumindest ansatzweise besser abzubilden. Ohne frisches oder besser ausreichendes Geld eigentlich kaum leistbar. Und es hilft auch nicht wirklich, wenn Krankenkassen und Gesetzgeber die technischen Fächer als Dauersteinbruch für solche Reformen nehmen. Dazu sind diese Fachgruppen nicht zuletzt wegen der real existierenden Budgetierung ungeeignet.

Vorschläge seitens der Krankenkassen wie eine Fixkostendegression bei quotierten Leistungen wie MRT oder die kostenneutrale „homöopathische“ Besservergütung der Hausbesuche schlagen dem Fass den Boden aus und würden das Chaos komplett machen. Solche Vorschläge sind völlig unbrauchbar und versorgungsfeindlich!

Was wir brauchen, ist eine verlässliche unbudgetierte sowie angemessene ärztliche und psychotherapeutische Vergütung. Nur so werden wir in der Lage sein, die hochqualifizierte Versorgung unserer Bevölkerung mit niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten zukunftsfest zu machen.

Damit bin ich schon beim nächsten Problem.

In den regionalen Honorarverträgen werden besondere Leistungen von Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gefördert. In letzter Zeit hat das Bundesversicherungsamt (BVA) als Aufsicht der bundesweit tätigen Krankenkassen diese Förderungen beanstandet. Grund dafür war die skurrile Auslegung eines Beschlusses des Bewertungsausschusses aus dem Jahr 2012 seitens des BVA, in dem Kriterien für die Förderung von Untersuchungen und Behandlungen festgelegt sind. Nach zähen Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband ist es uns gelungen, im November einen neuen Beschluss zu fassen. Mit diesem werden die bisherigen Vorgaben deutlich gelockert. Die regionalen Gesamtvertragspartner erhalten dadurch wieder Spielräume für die Verhandlungen zur Förderung von Leistungen mittels Punktwertzuschlägen. Wir gehen davon aus, dass dies positive Effekte auf die Honorarverhandlungen der KVen in den Regionen haben wird. Wir glauben aber, dass das BMG dem BVA hier im Rahmen eines normenerläuternden Gespräches einmal die Grenzen der Rechtsaufsicht aufzeigen sollte, damit nicht alle im Sinne der Versorgung mit den Krankenkassen vor Ort geeinten Regelungen abgebügelt werden. Das BVA kann und darf keine allgemeine Versorgungsbehörde werden – diejenigen, die etwas von Versorgung verstehen, sitzen bei den regionalen Gesamtvertragspartnern und auf medizinischer Seite bei den Kassenärztlichen Vereinigungen.

Ein weiteres Thema, das in den vergangenen Wochen über die Fachpresse hinaus für Schlagzeilen gesorgt hat, sind die Kosten für Hygieneanforderungen in den Praxen. Mehrere Fachgruppen hatten angekündigt, einige Untersuchungen nicht mehr durchzuführen, weil die damit verbundenen Kosten zu hoch sind. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hat erhoben, dass die Praxen im vergangenen Jahr durchschnittlich 24.287 Euro für Hygienesachkosten aufwenden mussten. Dabei hängt die Höhe der Kosten stark vom Leistungsspektrum der jeweiligen Praxis ab. Die Spanne reicht von 8.140 Euro bei rein konservativ tätigen Praxen bis zu 116.823 Euro in Dialysepraxen. Praxen, in denen ambulant operiert wird, geben 53.281 Euro für Hygiene aus. Hinzu kommt der zeitliche Aufwand für die mit den Hygienemaßnahmen beschäftigten Mitarbeitenden. Der EBM wurde jedoch seit 2008 in puncto Hygienekosten nicht weiterentwickelt, obwohl ab 2012 mit neuen Landeshygieneverordnungen erhebliche Kosten und Zeitaufwände für die Vertragsärzte entstanden sind. Hinzu kommt, dass das jetzige Verfahren höchst ungerecht ist, weil die Fachgruppen sehr unterschiedlich stark von den Kosten betroffen sind, der im Orientierungswert eingepreiste Hygieneanteil aber für alle gleich ist. Sowohl das Zi als auch das Institut des Bewertungsausschusses sind zurzeit mit Auswertungen von Praxiserhebungen zu diesem Thema beschäftigt. Die Ergebnisse erwarten wir in Kürze. Wir werden uns vehement dafür einsetzen, dass die Krankenkassen die Mehrkosten erstatten. Für die Krankenhäuser soll es hierzu finanzielle Hilfen in mittlerer dreistelliger Höhe geben. Das ist sicher sinnvoll. Da aber der Löwenanteil der Versorgung ambulant stattfindet, muss auch hier der der Patientensicherheit dienende Aufwand finanziert werden.

In diesen Tagen ist die neue Erhebungsrunde 2019 des Zi-Praxis-Panels gestartet. Dabei werden wirtschaftliche Daten der Praxen aus den Jahren 2015 bis 2018 erhoben. Den Fragebogen erhalten die Ärzte und Psychotherapeuten erstmals elektronisch, was die Teilnahme erleichtern soll. Im kommenden Jahr können auch die bei der Befragung einzubeziehenden Steuerberater ihre Angaben elektronisch machen, dieses Jahr müssen sie noch mit Papier Vorlieb nehmen. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass das ZiPP eine wichtige Grundlage für die Vergütungsverhandlungen mit den Krankenkassen, auch auf regionaler Ebene, ist sowie für die Versorgungsforschung des Zi. Die Ergebnisse der Erhebungsrunde 2018, die das Zi in Kürze veröffentlichen wird, zeigen, dass die Überschüsse aus Praxistätigkeit erneut rückläufig sind. Sie sind zwischen 2014 und 2017 insgesamt niedriger ausgefallen als die Inflationsrate. Real also ein Minus. Wir brauchen diesen laufenden Realitätscheck für die Verhandlungen mit den Krankenkassen. Deshalb ist es wichtig, dass so viele Praxen wie möglich daran teilnehmen. Sie erhalten eine Aufwandspauschale und nach Auswertung der Daten einen individuellen Bericht zu ihrer Praxis. Das ZiPP trägt auch dazu bei, im Bewertungsausschuss noch ungelöste Probleme wie die Anpassung des kalkulatorischen Arztlohns, eventuelle Wirtschaftlichkeitsreserven und sinnvolle Abstaffelungsregelungen hoffentlich voranzubringen. Hier brauchen wir belastbare Zahlen, um die Blockade des GKV-Spitzenverbands zu durchbrechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich hatte es eingangs erwähnt: Das Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung ist beschlossene Sache. Die Stellungnahmen der KBV sowie weiterer Verbände zum ersten Gesetzentwurf wurden gehört, es gab daraufhin eine Reihe von Änderungen, insbesondere wurde die ungewollte Modellklausel zur Arzneimittelverordnung gestrichen. Dass Psychotherapeuten hingegen künftig Ergotherapie und häusliche psychiatrische Krankenpflege verordnen dürfen, ist nachvollziehbar und sachgerecht. Das Gesetz sieht auch eine enger koordinierte und berufsgruppenübergreifende psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung vor. Hierbei geht es auch um den Übergang von der ambulanten in die stationäre Versorgung. Besonders erfreulich ist, dass der Gesetzgeber dafür die Idee eines vom Innovationsfonds geförderten Projekts der KV Nordrhein aufgegriffen hat, nämlich das der „Neurologisch-psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung (NPPV)“.

Natürlich gibt es auch einige Punkte in dem Gesetz, die wir kritisch sehen. So wird etwa das Gutachterverfahren für Gruppentherapien mit Inkrafttreten des Gesetzes abgeschafft. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll das Verfahren bis zum 31. Dezember kommenden Jahres vereinfachen. Für das gesamte psychotherapeutische Versorgungsangebot soll das seit 1967 bestehende Antrags- und Gutachterverfahren wegfallen und durch ein neues Qualitätssicherungsverfahren ersetzt werden. Dieses muss der G-BA bis zum 31. Dezember 2022 beschließen. Problematisch ist, dass diese Fristen bereits laufende Verfahren im G-BA außer Acht lassen. Zudem stellt der Wegfall des Antrags- und Gutachterverfahrens die bisherige Mengen- und Qualitätssteuerung in der Psychotherapie in Frage. Es ist zu befürchten, dass die Krankenkassen damit nicht länger auf eine nachträgliche Wirtschaftlichkeitsprüfung verzichten werden. Hier werden wir in enger Abstimmung mit den Verbänden rechtzeitig und deutlich Position beziehen müssen. Insgesamt ist das Gesetz in seiner jetzigen Form ein Erfolg des gemeinsamen Vorgehens der Verbände. Die Psychotherapeutenausbildung selbst ist damit auf einen guten Weg gebracht worden.

An dieser Stelle noch ein Wort zur Weiterbildung: Das Grundprinzip der Finanzierung der Weiterbildung von Psychotherapeuten durch Leistungserbringung, wie bisher in der Ausbildung, muss erhalten und ausgebaut werden. Das gleiche Grundprinzip wäre auch für die ärztliche Weiterbildung ein sinnvoller Ansatz, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

bevor die Weihnachtsengel oder auch „geflügelten Jahresendfiguren“ das Zepter übernehmen, lassen Sie mich noch kurz etwas zu „unseren“ Flügelwesen, nämlich den Elfen aus der Elf6-Elf7-Kampagne sagen. Diese läuft nun im vierten Monat. Mit dem neuen Jahr starten wir auch in eine neue Phase der Kampagne, in der es darum gehen wird, die neuen Services hinter der Nummer bekannt zu machen. Herr Ihlau, Geschäftsführer bei der verantwortlichen Agentur Serviceplan, wird Ihnen gleich im Anschluss an den Bericht des Vorstands eine Zusammenfassung des bisher Erreichten und einen Ausblick auf das Geplante geben.

So viel kann ich schon einmal vorwegnehmen: Die Kampagne kommt sehr gut bei den Bürgerinnen und Bürgern an. Das erste Ziel, die Nummer Elf6 Elf7 bekannter zu machen, haben wir definitiv erreicht. In der ersten Phase gab es bereits über 370 Millionen Kontakte mit der Zielgruppe via TV, Online- und Anzeigenschaltungen sowie Plakate. Natürlich gibt es auch einzelne kritische Stimmen. Diese stören sich vor allem an der Aufmachung unserer Markenbotschafterinnen, der beiden Elfen. Natürlich lässt sich über Geschmack trefflich streiten und auch Ironie ist ein hoch subjektives Maß. Man darf auch nicht alles so ernst nehmen. Sehr ernst sollte man aber unser Anliegen mit der Elf6 Elf7 nehmen. Und eines zeigen die Reaktionen, egal welcher Art, ganz deutlich, nämlich, dass die Elfen für eine hohe Aufmerksamkeit sorgen. Und damit wäre der wichtigste Zweck des Ganzen bereits erfüllt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich wünsche Ihnen allen frohe Weihnachten und einen erholsamen Jahreswechsel. Kommen sie gut ins neue Jahr!

Vielen Dank

 

Es gilt das gesprochene Wort.