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Reden

Bericht von Dr. Andreas Gassen an die Vertreterversammlung

Rede des KBV-Vorstandsvorsitzenden am 11. September 2020

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Corona bestimmt nach wie vor die Nachrichtenlage, es beeinflusst unsere Arbeitsweise – wie Sie auch hier und heute wieder erleben können – und unseren Alltag. An die AHA-Regeln – Abstand, Hygiene, Alltagsmaske – haben wir uns mehr oder minder gewöhnt. Sie sind noch das kleinere Übel verglichen mit dem Lockdown, den niemand ein zweites Mal erleben will, darin sind sich wohl alle einig. 

Was mich jedoch befremdet, ist die Fixierung auf die Maskendiskussion. Wir glauben doch nicht allen Ernstes, dass nur alle eine Maske tragen müssen und dann wird alles gut. Steigen Sie doch einfach mal in Berlin in die S-Bahn und beobachten die Maskenträger. 

Ja, Aerosole kommen auch aus der unbedeckten Nase.
Ja, wenn man beim Telefonieren die Maske absetzt, ist der Effekt weg.
Ja, so eine Maske muss auch einmal ausgetauscht werden.

Daher steht für mich fest: Wir brauchen eine deutlich über die Maskenfrage hinausreichende Strategie für die Herbst- und Wintermonate, um einen erneuten flächendeckenden starken Anstieg von Infektionen zu vermeiden. Da erkenne ich noch keine klare politische Strategie.

Wir haben mittlerweile verschiedene Szenarien der Pandemie erlebt, sowohl die bundesweit flächendeckende Ausbreitung des Virus als auch regionale Ausbrüche in einzelnen Hotspots. Für beide Szenarien hat das KV-System Eckpunkte erarbeitet.

Niemand weiß, wie sich das Virus und das Infektionsgeschehen entwickeln werden. Auch wenn die Fallzahlen aktuell steigen, bin ich überzeugt: Es gibt Stand heute keinen Grund zur Panik. 

Wir haben viel weniger Fälle als im Frühjahr und, was noch wichtiger ist: Wir haben nur noch sehr wenige schwere Fälle. Ob das am gesunkenen Durchschnittsalter der Infizierten oder an einer Abschwächung des Virus liegt, wissen laut eigener Aussage nicht mal unsere renommiertesten Wissenschaftler sicher. Diese Lage ändert sich aber auch nicht von jetzt auf gleich, sofern man gewisse Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigt.

Mit dem vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) entwickelten Frühindikator verfügen wir über ein Instrument zur Vorwarnung. Es ermittelt anhand länderspezifischer Kennzahlen zur medizinischen Versorgung, wie stark die regionalen Kapazitäten bei steigenden Fallzahlen beansprucht werden.

Damit lässt sich berechnen, wie viel Zeit für politische Maßnahmen bleibt, bis die regionalen Belastungsgrenzen erreicht sind. Im Bundesdurchschnitt liegt die Vorwarnzeit, Stand gestern, bei 58 Tagen, also knapp zwei Monaten. Es besteht daher kein Grund für wilden Aktionismus; dennoch ist es wichtig, sich zu wappnen, nach dem Motto „be prepared“. 

Die KBV hat gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) eine Strategie entwickelt, basierend auf den Erfahrungen, die wir, die Sie bei der bisherigen erfolgreichen Eindämmung des Virus gemacht haben. Ich komme gleich auf dieses Konzept zurück.

Unsere Erfahrungen zeigen: Die Politik alleine kann es nicht richten. Selbst gute Absichten und ein fester Wille schützen nicht vor Pech und Pannen, siehe die Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) oder die immer noch nicht vernünftig koordinierte Testaktivität in Bayern. Planvolles Vorgehen ist besser als das Prinzip „viel hilft viel“. Zu einer Strategie gehört mehr, als möglichst vielen Menschen Wattestäbchen in die Nasen zu stecken.

Die verantwortlichen Politiker wären gut beraten, politische Entscheidungen nicht an einzelne Wissenschaftler zu delegieren oder, schlimmer, auf einzelne Bundestagsabgeordnete zu hören, die ihre aus dem Nichts erworbenen Kompetenzen zur Bekämpfung einer Viruspandemie bevorzugt in Talkshows zum Besten geben.

Verantwortungsvolle Politik sollte stattdessen in den Dialog mit denjenigen treten, die die Versorgung vor Ort erfolgreich organisiert und gewährleistet haben und das, bei entsprechenden Rahmenbedingungen, auch zukünftig erfolgreich tun können. 

Das Zi hat ganz aktuell gemeinsam mit der KV Berlin eine Online-Erhebung unter 78 Berliner Praxen zum dortigen Aufwand im Rahmen der Pandemiebekämpfung gemacht. Diese zeigt, dass die Ärzte im Mittel rund 25 Stunden pro Woche für pandemiebezogene Aufgaben verwendet haben – zusätzlich zur normalen Patientenversorgung.

Dabei entstand der weitaus größte Zeitaufwand durch das Testen und die Beratung der Bürgerinnen und Bürger. Knapp acht Stunden pro Woche verbrachten die Ärzte damit, am Telefon Fragen zu COVID-19 und zu Tests zu beantworten – sehr häufig auch von Anrufern, die anschließend nicht in der Praxis selbst getestet oder behandelt wurden.

Für die Testungen selbst und entsprechende Dateneingaben wurden im Mittel gut zehn Stunden pro Woche aufgewandt. Allein für bürokratische Aufgaben wie Dateneingabe, Kommunikation mit Gesundheitsämtern und Abrechnung entfielen zehn Stunden pro Woche.

Das unterstreicht, dass die Praxen einen wesentlichen Part bei der Eindämmung der Pandemie gespielt haben. Es zeigt aber auch, dass hier insbesondere die Entlastung der Praxen von Verwaltungsarbeiten dringend geboten ist, um Freiraum für die unmittelbare Patientenversorgung zu schaffen.

Liebe Kolleginnen, liege Kollegen,
sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin – die Erfolge Deutschlands in der Pandemie waren eben kein Erfolg des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) mit seinen rund 2.500 ärztlichen Kolleginnen und Kollegen. Das wäre für den ÖGD auch nicht zu leisten gewesen. Es waren vor allem wir: die 170.000 Vertragsärztinnen und -ärzte und die KVen. 

Ob die jetzt geplanten 5.000 neuen Stellen für den ÖGD wirklich eine Wende bringen, daran habe ich so meine Zweifel. Sicherlich einige von Ihnen hier im Raum auch. Wir erinnern uns:

  • 6 von 7 Patienten haben wir versorgt.
  • Die Schutzausrüstung haben wir verteilt.
  • Die Testzentren haben wir mit aus dem Boden gestampft.
  • Das Konzept zur Öffnung nach dem Lockdown kam von KVen und KBV.
  • Und aktuell erörtern wir mit dem BMG, wie ein Impfstoff am schnellsten die Bevölkerung erreicht. 

Unsere Ärzte leisten Enormes, das haben wir etwa bei der Beschaffung und Verteilung der persönlichen Schutzausrüstung bewiesen. Obgleich dies eigentlich nicht Aufgabe des KV-Systems ist, mussten wir hier aktiv werden und oft den Ausputzer für die eigentlich für die Pandemievorsorge zuständigen Länder spielen.

Anderenfalls hätten die Ärzte dem Virus noch länger im wahrsten Sinne des Wortes schutzlos gegenübergestanden. Nun, da sie diesen Job erfolgreich erledigt haben, müssen sich einzelne KVen jetzt noch vorhalten lassen, sie hätten zu viel Geld ausgegeben. Dass die Preise für Masken auf dem Weltmarkt binnen Tagen explodiert sind, weiß jeder.

Es ist immer das Gleiche – solange die Gefahr real erschien war man froh, dass die Vertragsärzte und -ärztinnen den Schutzwall gebildet haben und sechs von sieben Corona-Patienten ambulant behandelt haben, oft ohne angemessenen Schutz und zunächst auch ohne finanzielle Absicherung.

Viele Kollegen und ihre Angestellten haben sich infiziert, weil sie ihre Patienten versorgt haben, obwohl sie von der öffentlichen Hand allein gelassen oder wie in Bayern sogar kujoniert wurden. Das haben sie gemacht, weil sie ihren Beruf sehr ernst nehmen und Verständnis dafür hatten, dass niemand eine solche Pandemie „auf dem Schirm“ hatte.

Das ist eine großartige Leistung, auf die sie alle zu Recht stolz sein können!

Klar ist aber auch: Wenn die öffentliche Hand jetzt nicht vorsorgt, beispielsweise mit PSA, wird sie sich am Ende am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen müssen, denn dann werden sich viele Niedergelassene entnervt abwenden. Dann steht der ÖGD mal wirklich im Feuer und kann zeigen, wie souverän er die Pandemie handhabt. Dafür ist er nach wie vor nicht gerüstet. Das ist nicht als Vorwurf gemeint.

Zwar haben Bund und Länder zahlreiche Fördermaßnahmen beschlossen, aber es wird noch Jahre dauern, bis der ÖGD möglicherweise über die Ressourcen verfügt, die er in der aktuellen Situation bräuchte und vielleicht schon lange gebraucht hätte. Und wer weiß, ob die Erinnerung an die Pandemie dann noch so stark ist, dass die Fördermaßnahmen auf Dauer Bestand haben.

Apropos: Zu den Maßnahmen zur Stärkung des ÖGD gehören auch Investitionen in die digitale Infrastruktur. Das ist zweifelsohne dringend nötig und gerechtfertigt. Auch zugunsten der Krankenhäuser ist Geld offenkundig kein Thema für die Politik, die Kliniken erhalten im Rahmen eines sogenannten Zukunftsprogramms drei Milliarden Euro für Investitionen in Digitalisierung und IT-Sicherheit. Und die Praxen?

Sie sollen für die von ihnen per Gesetz abverlangten Maßnahmen sogar noch selbst zahlen! Da darf sich die Politik nicht wundern, wenn die Ärzte sagen: Das machen wir nicht länger mit.

Zurück zum weiteren Vorgehen in der Pandemie. Ich will unsere „Herbststrategie“, wie wir sie intern nennen, jetzt nicht im Einzelnen erörtern, Sie kennen sie bereits und haben sie im Vorfeld kommentiert und diskutiert. Unter dem Strich bestand wenig Dissens zu den vorgeschlagenen Maßnahmen. Weiterhin wichtig bleibt die Separierung von COVID-19-Verdachtsfällen.

Wir stehen gerade am Beginn der klassischen Erkältungssaison. In den Praxen werden sich ab jetzt Husten, Schnupfen, Heiserkeit, echte Grippe und COVID-Fälle akkumulieren. Je nach Aufkommen und räumlichen Gegebenheiten kann es sinnvoll sein, für entsprechende Patienten besondere Angebote wie Infektsprechstunden einzurichten, die sich auch währen der Hochphase der Pandemie im Frühjahr bereits bewährt haben. Eigenständige COVID-19-Einrichtungen können, in Abstimmung mit dem ÖGD, freiwillig auch durch Vertragsärzte oder KVen betrieben werden, wenn die Finanzierung und die Versorgung mit PSA klar geregelt sind.

Die Influenza-Impfung wird in diesem Herbst eine besondere Rolle spielen, auch dazu nehmen wir in unserem Papier ausführlich Stellung. 

Wichtig, gerade im Hinblick auf Clusterausbrüche, ist das Aufstellen regionaler Maßnahmenpläne. Um regionale Ausbrüche zu beherrschen, wird die Unterstützung durch niedergelassene Ärzte und durch die KVen unverzichtbar sein, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat.

Daher ist ein eng abgestimmtes Vorgehen zwischen dem ÖGD, den Ländern und den Kassenärztlichen Vereinigungen unerlässlich.

Hierfür haben wir als KBV gemeinsam mit den KVen regionalspezifische und maßgeschneiderte Lösungsansätze entwickelt. Dazu gehören:

  • die enge Zusammenarbeit der regionalen Krisenstäbe mit den Kassenärztlichen Vereinigungen,
  • das Planen und Abschätzen von Laborkapazitäten,
  • eine strukturierte Information der Bürgerinnen und Bürger,
  • das Schließen von Rahmenvereinbarungen bereits im Vorfeld eines möglichen Ausbruchs,
  • eine fortlaufende, enge Abstimmung zwischen dem Land oder Kreis und der KV während des Ausbruchsgeschehens.

Von Seiten der KBV bieten wir ebenfalls Unterstützung an. Dazu gehören:

  • Abstimmung und Kommunikation mit dem BMG im Sinne einer Schnittstellenfunktion,
  • Initiierung von zeitlich befristeten Sonderregelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, wie schon sehr erfolgreich während der ersten Phase geschehen,
  • das Management von möglichen Corona-Sonderregelungen mit Vertragspartnern auf Bundesebene sowie die Kommunikation mit weiteren Akteuren,
  • der Aufbau eines Netzwerkes für den Wissens- und Erfahrungstransfer im Sinne von Best-Practice-Modellen,
  • das Bereitstellen länderspezifischer Kennzahlen zur Steuerung des Pandemieverlaufs durch das Zi.

Heute enden die Sommerferien in Baden-Württemberg und damit dem letzten Bundesland. Wie stark Reiserückkehrer das Infektionsgeschehen hierzulande tatsächlich beeinflusst haben, wird sich erst Ende dieses Monats abschließend bewerten lassen.

Noch bis zum 30. September besteht eine Testpflicht für Personen, die aus einem vom Robert Koch-Institut (RKI) definierten Risikogebiet nach Deutschland einreisen. Diese Testungen fallen in den Zuständigkeitsbereich des ÖGD. Die KVen können diese Arbeit in den von ihnen betriebenen Testzentren unterstützen. Voraussetzung hierfür ist jetzt und in Zukunft, dass hierfür die Finanzierung sowie eine einheitlich unbürokratische Dokumentation und Abrechnung sichergestellt sind. 

Auch ohne Reiserückkehrer dürfte das wöchentliche Testaufkommen ab dem Herbst allein aufgrund saisonaler Effekte um mindestens 1.000 Tests je 100.000 Einwohner steigen – also um näherungsweise 800.000. Alleine dies dürfte auch zu einer erhöhten Zahl positiver Testergebnisse führen, ohne dass hieraus zwangsläufig eine steigende pandemische Aktivität abzuleiten wäre.

Es ist daher dringend geboten, dass die Politik die bisher definierte Grenze für das Ergreifen von Maßnahmen bei mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 flexibilisiert. Gern machen wir mit dem vom Zi entwickelten Frühwarnsystem den politisch Verantwortlichen ein Angebot, dass sie dabei unterstützt, die Lage vor Ort zu beurteilen und Maßnahmen besser zu planen. Wichtig ist, dass solche Maßnahmen nicht dazu führen dürfen, dass die Regelversorgung anderer akuter und chronischer Krankheiten zu kurz kommt. 

Unser Konzept beinhaltet noch eine Reihe weiterer Themen, etwa das Impfen. Dieses Thema ist von so übergeordneter Bedeutung, dass wir hierzu ein eigenes Konzept erarbeitet haben. Es beinhaltet sowohl Impfungen gegen COVID-19, sobald ein Impfstoff verfügbar ist, als auch die Impfung gegen Influenza, die in diesem Jahr mit Sicherheit an Beachtung gewinnen wird. 

Das Konzept der KBV und der KVen steht. Es ist ein Angebot an die Politik. „Take it or leave it“ – wir wollen hinterher nur kein Gejammer oder Schuldzuweisungen hören.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es mag sowohl in den Ländern als auch in den KVen unterschiedliche Herangehensweisen in Bezug auf einzelne Schritte zu Pandemiebekämpfung geben. Wichtig ist aber, dass wir ein gemeinsames Verständnis über die grundsätzliche Strategie haben. Deshalb sollte es auch einen bundesweiten Rahmen geben, trotz Föderalismus.

Es ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht schlüssig zu erklären, warum bestimmte Maßnahmen sich an der Landesgrenze auf einmal ändern, unabhängig vom tatsächlichen Infektionsgeschehen vor Ort. Zu diesem Konsens gehört auch eine bundesweite Teststrategie, und zwar nach primär medizinischen Kriterien, nicht nach politischen Opportunitäten. Die Testkapazitäten sind derzeit höher als in der Hochphase der Pandemie, trotzdem ist hier ein Konzept nötig.

Auch mit einer guten Ressourcenausstattung muss man sorgfältig umgehen, wir haben nichts zu verschwenden. Nach dem Ende der Sommerreisewelle sollte deshalb wieder anlassbezogen getestet werden und mit besonderer Berücksichtigung von Risikogruppen wie medizinischem Personal.

Das Gleiche gilt später für Impfungen. Wünschenswert bei den Testungen wäre auch der Abbau von Bürokratie beim Veranlassen und Abrechnen von Tests. Herr Spahn hat dies angekündigt, das können wir als KBV nur begrüßen. Und last but not least brauchen wir ein bundesweit einheitliches Vorgehen beim Thema Schutzausrüstung. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
am 30. September und 1. Oktober wird die Gesundheitsministerkonferenz tagen und über Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus der Pandemie beraten. Die hierfür von der sogenannten Amtschefkonferenz bereits erarbeitete Beschlussvorlage offenbart – so muss man es leider sagen – nicht nur einen erschreckenden Mangel an Unkenntnis des vertragsärztlichen Systems, sondern auch das Ansinnen einer eklatanten Einmischung in die Souveränität der Praxen und der Selbstverwaltung.

Immerhin wird eingangs des Beschlussvorlage noch festgestellt, dass der ambulante Sektor die erste Anlaufstelle bei der Pandemiebewältigung darstellt und damit eine wichtige lenkende Funktion habe. Die Schlussfolgerung, die man im Folgenden daraus zieht, besteht darin, die Praxen und Ärzte ihrerseits wesentlich stärker „lenken“ zu wollen. So beabsichtigen die Länder unter anderem, für COVID-Schwerpunktpraxen und solche, die als „infektiologische Zentren“ zertifiziert wurden, Kriterien hinsichtlich der Ausstattung und der Ausbildung des Personals zu erstellen.

Des Weiteren sollen Kriterien für verbindliche Verfahren zur Praxisorganisation entwickelt werden. Gemeint sind damit „klare Anweisungen wie im Falle einer epidemischen Lage durch Änderung der Organisation die Ansteckungsgefahr in einer Praxis reduziert werden kann“. Der Kenner reibt sich verwundert die Augen: Wollen hier tatsächlich Politiker Medizinern erklären, wie sie Infektionen verhindern? 

Wir brauchen niemanden, der sich – in der Regel unbeleckt vom klinischen Alltag – besserwisserisch in unsere eingespielten und bewährten Abläufe einmischt. Diese Art der „Expertise“ ist ausdrücklich nicht erwünscht. 
Lasst uns einfach unsere Arbeit machen!

Doch damit nicht genug: Weiter geht es mit der Forderung, neben der Telemedizin auch „aufsuchende Angebote“ auszubauen und zu fördern. Dazu gehört explizit die Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen. Darüber hinaus sehen die Länder die Notwendigkeit, ein verbindliches Meldesystem für Arztpraxen zu etablieren, welches Angaben zur Fachgruppe, zum Praxisstandort und zum Versorgungsumfang beinhaltet. Hierbei sollen im Übrigen auch die zahnärztlichen Kollegen einbezogen werden. Testzentren sollen zentral gesteuert werden, was immer das genau heißen mag. Da wundert es kaum noch, wenn eine weitere Idee darin besteht, Drohnen für Arzneimittellieferungen an chronisch Kranke einzusetzen.

Papier ist bekanntlich geduldig. 

Ich will nicht unterschlagen, dass die Beschlussvorlage auch ein paar sinnvolle Ansätze beinhaltet. Etwa die Notwendigkeit, den ÖGD zu reformieren oder bezüglich der rechtssicheren Bevorratung und Finanzierung von PSA. Dennoch frage ich mich bei der Lektüre des oben Genannten unweigerlich, in welchem Land die Damen und Herren Ministeriale eigentlich leben? Was hier propagiert wird, ist Staatsmedizin pur! 

Das haben wir eigentlich schon weit hinter uns gelassen.

Angehörigen eines freien Berufs vorschreiben zu wollen, wie sie ihre Arbeit und ihr Personal zu organisieren haben, ist an sich schon bemerkenswert. Dann auch noch eine Meldepflicht einführen zu wollen, damit der Staat sofort eingreifen kann, wenn aus seiner Sicht etwas nicht passt, erinnert an Methoden anderer politischer Systeme. Die Damen und Herren, die sich das ausgedacht haben, sollten sich mal daran erinnern, wie Länder mit staatlich organisierten Gesundheitssystemen bislang durch die Corona-Krise gekommen sind – man denke nur an Großbritannien. 

Wenn ich dann noch lese, dass die Auswirkungen von Praxisschließungen in Bezug auf die regionale Versorgungslage „auch visuell erfassbar dargestellt werden“ sollten, dann frage ich mich, ob den Autorinnen und Autoren überhaupt klar ist, was die Selbstverwaltung so macht? Statt Praxisschließungen auf einer Karte zu „visualisieren“ sollte die Politik sich vielleicht lieber mal der Frage widmen, wie sie verhindert werden können!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich komme abschließend zu einem anderen Thema und muss leider feststellen, dass der Sinn für Realität auch andernorts getrübt zu sein scheint oder deren Auslegung zumindest fragwürdig ist. Ich spreche von den diesjährigen Honorarverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband. Der erste Termin im August war beendet, kaum dass er begonnen hatte.

Der Grund lag darin, dass das Angebot der Kassen zur Anpassung des Orientierungswertes sage und schreibe Null betrug. Und ein solches „Nicht-Angebot“ taugt nicht einmal als Grundlage für Verhandlungen! Nun wird sich am 15. September der Erweiterte Bewertungsausschuss mit der Thematik befassen müssen. Vor dem Hintergrund nachgewiesener Kostensteigerungen in den Arztpraxen und insbesondere der Leistungen der Ärzteschaft in der Corona-Pandemie ist die Verweigerungshaltung der Kassen ein umso größerer Affront – abgesehen davon, dass man schon aus Gründen des Anstands so nicht mit seinem Vertragspartner umgeht.

Und selbst wenn man die guten Sitten vergisst, so reicht ein Blick auf die Zahlen. Die gesetzliche Krankenversicherung hat im ersten Halbjahr 2020 einen Einnahmeüberschuss von 1,3 Milliarden Euro verzeichnet. Die im Zuge der Corona-Krise erfolgten Sonderregelungen werden durch Bundeszuschüsse finanziert.

Die Kassen sind also alles andere als klamm. Vor kurzem hat Frau Pfeiffer noch das Miteinander von Ärzten, Kliniken, Krankenkassen und Politik in der Pandemie gelobt. Dieses Miteinander scheint aber nichts wert zu sein. Aus meiner Sicht wäre es angemessen, als GKV-Spitzenverband mal ein bisschen demütig das Haupt zu neigen, angesichts dessen, was wir geschafft haben, statt die Ärzte im wahrsten Sinne des Wortes mit Nichtachtung zu strafen.

Auch das mögliche Argument, die Ärzte hätten viel weniger Patienten in den Praxen zu betreuen gehabt, greift zu kurz. Eine aktuelle Erhebung des Zi kommt zu dem Zwischenergebnis, dass die Pandemie in den Praxen der Niedergelassenen im Durchschnitt zu Mehrkosten von 1.300 Euro allein für Schutzausrüstung und zu einer wöchentlichen Mehrarbeitszeit von zwei bis drei Stunden geführt hat, vor allem bedingt durch die verstärkte Nutzung von Videosprechstunden, ein geändertes Terminmanagement und aufwendigere Hygienemaßnahmen. Gleichzeitig ist der Honorarumsatz eingebrochen. Wie lange der Rettungsschirm das ausgleichen kann, wissen wir nicht. 

Die Krankenhäuser sind mittels Freihalteprämien vom Bund für Leerstand bezahlt worden. Zusätzlich sollen die Krankenkassen stationäre Mindereinnahmen der Kliniken, etwa durch abgesagte Operationen, ausgleichen. Das kann man in einer Krise, die man im Schweregrad nicht abschätzen kann, so machen.

Sich dafür im Gegenzug an den Vertragsärzten schadlos halten zu wollen, ist einfach nur dreist. Ein Verständnis von und für die Versorgung der Menschen vermag ich da beim besten Willen nicht zu erkennen. Da kann man sich nur mit Schaudern abwenden und hoffen, dass kein Kassenvertreter die nächste Pandemie managen muss. Ich zitiere an diesem Punkt gerne den Präsidenten des Robert Koch-Instituts, Prof. Wieler: „Die Krise ist eine Zeit für Profis.“

Vielen Dank
 

Es gilt das gesprochene Wort.