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Medizinische Versorgung von Kindern: Praxen und Kliniken unter Druck

Medien berichten von überfüllten Kinderarztpraxen und Kinderkliniken. Wie stellt sich für Sie die Situation dar?


Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorsitzender der KBV

„Also, aus den Praxen hören wir schon, dass die Arbeitslast erneut ungeheuer hoch ist, diesmal allerdings durch erkrankte Patienten, nicht durchs Impfen oder durch die vielen verunsicherten Menschen, die beraten werden wollen. Und die extrem hohen Infektraten bei Kindern, aber durchaus auch bei Erwachsenen, sind natürlich nicht zufällig da, sondern sind mit großer Sicherheit auch Folge der über zwei Jahre andauernden Isolierungs- und Maskenstrategie.“
Ist ein solches Ausmaß an Infektionen vollkommen neu?
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorsitzender der KBV
„Also, es gibt immer wieder Zyklen, in denen zum Beispiel die Influenza, also die Grippe, stark vorherrscht. Wir haben alle zehn, zwölf Jahre stärkere Zyklen und hohe Infektraten. Die jetzige ist aber doch höher als sonst und sicher außergewöhnlich. Und es ist noch nicht ganz klar, wo die sich einordnen wird im langjährigen Mittel. Sie ist aber im Augenblick deutlich höher als das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben.“


Welche Gründe gibt es für diese Situation?


Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorsitzender der KBV

„Natürlich gilt für Kliniken wie auch für die Praxen Personalmangel allenthalben. In den Kliniken ist es vor allem das nicht-ärztliche Personal, was fehlt, an dem gespart wurde. Das haben die DRGs gemacht, die Privatisierung der Kliniken, das ist die zwingende Folge und damit auch aus meiner Sicht ein Scheitern dieses Konzepts. Und in den ambulanten Praxen ist natürlich auch so, das Kinderärztinnen und Kinderärzte fehlen, das Personal fehlt, das Personal krank wird, das kommt noch dazu und wenn dann alle gleichzeitig krank werden, wird es irgendwann auch eng. Und genau das passiert jetzt im Augenblick. Wobei ich möchte nicht zu denen gehören, die jetzt apokalyptische Szenarien aufmachen. Wir sind ein hochleistungsfähiges Land und man kann Kinder verlegen. Das ist nicht schön, weder fürs Kind noch für die Eltern. Aber es ist immerhin möglich. Und wir haben sicher immer noch die Kapazität, zurecht zu kommen. Aber es wird höchste Zeit, dass wir unseren Alltag normalisieren.“


Was bedeutet diese Infektwelle für die Kinder?

Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorsitzender der KBV


„Ja, das heißt, dass selbst nach Covid wieder die Kinder betroffen sind, mehr als der Durchschnitt der Bevölkerung. Wieder versäumen sie die Schule. Sie werden zum Teil diesmal schwer krank, was bei Covid überhaupt nicht der Fall war. Mit RSV ist das durchaus der Fall. Wieder sind die Kinder die Leidtragenden. Wieder wird ventiliert, ob man sie aus der Schule nehmen muss, ob man sie isolieren sollte, ob man doch wieder Masken tragen soll. Also schon während Covid haben die Kinder am meisten gelitten und wir fangen jetzt erst an, die Langzeitschäden zu sehen, die wir da angerichtet haben. Und auch jetzt sind die Kinder wieder besonders stark betroffen. Das macht mich traurig, das auch frustrierend. Und es wird höchste Zeit, dass wir unser Augenmerk darauf richten, dass diejenigen, die für uns die Zukunft darstellen, bei uns wieder im Mittelpunkt der Bemühungen sind.“
Gesundheitspolitiker fordern längere Sprechzeiten der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte. Ist das die Lösung?
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorsitzender der KBV


„Ja, das wirkt fast ein bisschen zynisch, denn die Kolleginnen und Kollegen arbeiten am Limit. Und das haben sie während zweieinhalb Jahre Corona auch gemacht. Die Mitarbeitenden dort, die MFAs, die MTAs, die MTRAs, alle gehen am Stock, alle sind müde, alle sind kaputt. Die sind auch selber krank, die haben kranke Kinder. Sich dann hinzustellen und einfach zu sagen, die sollen mehr arbeiten und längere Sprechzeiten machen, ist, ich sage es noch mal, zynisch.“


An welchen Stellschrauben muss für die Zukunft gedreht werden?


Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorsitzender der KBV

„Ja, das eine ist die Ambulantisierung. Wir haben ja interessanterweise am europäischen Durchschnitt gemessen, überhaupt nicht zu wenig Pflegepersonal pro 100.000 Einwohner. Wir haben nach Finnland die zweitmeisten Pflegekräfte, also ist es eher eine Frage der Verteilung, so ähnlich wie im Notdienst auch. Es ist eine Frage, allozieren wir diese Ressourcen richtig oder haben wir falsche Inanspruchnahmen. Und da lässt sich am meisten Potenzial heben, denn Ärzte und Krankenschwestern kann keiner backen. Und trotz aller Programme, auch im Bereich der Pflegeberufe, sind ja nicht plötzlich Pflegende vom Himmel gefallen und an den Universitäten auch durch die Akademisierung nicht. Wir reden immer noch von einem Mangel an Menschen, die diese Berufe ergreifen können, die die Ausbildungsvoraussetzungen haben. Wenn man jetzt sieht, dass ganze Generationen in Corona auch noch bildungstechnisch hintendran hängen, dann ist die Frage, wer soll denn auch kapazitär überhaupt nachher zur Verfügung stehen. Das heißt, es ist unrealistisch zu hoffen, dass wir sehr viel mehr Menschen plötzlich von irgendwoher generieren. Wir müssen mit den vorhandenen Fachleuten durch optimale Arbeitsaufteilung eigentlich unser Gesundheitswesen stabilisieren. Und dazu gehört eine wichtige Sache. Das habe ich neulich mal von jemand anders gehört, nämlich der Sozialvertrag. Recht interessant, denn in der Diskussion kamen wir darauf, dass es den in Deutschland eigentlich gar nicht gibt, da der Krankenversicherte keinerlei Pflichten in diesem Sozialvertrag hat. Und der Sozialvertrag, der notwendig ist für diese Balance, würde ja bedeuten, dass auch der Inanspruchnehmer einer Leistung zumindest versteht, wie er das System möglichst schont. Das kann aber ein Patient gar nicht in diesem System und er wird nicht geleitet und gesteuert. Also verhält er sich so, wie er sich am bequemsten verhalten kann. Das ist nicht verwerflich, sondern völlig nachvollziehbar. Und genau da steckt aber der ungeheure Reibungsverlust in unserem System.“


Wie könnte ein solcher Sozialvertrag hier aussehen?

Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorsitzender der KBV


„Ja, zurzeit gilt ja im Grunde als gesetzlich Versicherter, dass man zumindest gefühlt den Anspruch hat, alles für alle jederzeit. Und das kann es natürlich nicht geben. Das weiß auch jeder, der drüber nachdenkt. Alles für alle jederzeit ist unbezahlbar und das vor allem auch mit den menschlichen Ressourcen überhaupt nicht lieferbar. Und deswegen spreche ich vom Sozialvertrag. Es muss klar sein, dass nur das Notwendige und so steht es auch im Gesetz zur richtigen Zeit von der richtigen Person, der richtigen Versorgungssebene zur Versorgung eines Patienten oder Versicherten geleistet werden kann und soll. Und da ist das größte Potenzial in unserem System. Da müssen wir nachsteuern, nachjustieren, müssen beide Seiten in die Pflicht nehmen.“

Gerade Kinder und Jugendliche sind derzeit stark von verschiedenen Atemwegsinfektionen betroffen. In den Kinderarztpraxen und -kliniken ist die Arbeitsauslastung deshalb sehr groß. Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV schildert die Situation in den Praxen und erläutert Möglichkeiten, wie das in Zukunft verhindert werden kann.