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Stand 12.06.2020

Reden

Bericht von Dr. Stephan Hofmeister an die Vertreterversammlung

Rede des stellvertretenden KBV-Vorstandsvorsitzenden am 12. Juni 2020

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin sehr froh, dass wir uns heute in dieser Form, wenn auch mit eingeschränktem Teilnehmerkreis und unter den gebotenen „Corona-Regeln“, wieder treffen können. Die letzte Sitzung der Vertreterversammlung liegt mehr als sechs Monate zurück! Zwar hat die Zusammenarbeit auch in der Zwischenzeit gut funktioniert, aber mir ist die persönliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht doch lieber.

Das KV-System hat in der Krise sowohl nach außen – wie von Andreas Gassen bereits ausgeführt – als auch nach innen gut funktioniert. Sogar mehr als das. Gerade in Krisenzeiten ist die Gefahr groß, dass Zentrifugalkräfte die Oberhand gewinnen.

Das gilt ganz besonders für ein föderales System. KVen und KBV haben sich auf das Wesentliche konzentriert und dabei – so jedenfalls haben wir es in Berlin wahrgenommen – tatsächlich immer am selben Strang gezogen. Wir haben in kurzer Zeit viel Neues erprobt und gelernt – vor allem in kommunikationstechnischer Hinsicht –, wir haben manches improvisiert, aber auch schnell adaptiert.

Manches war anstrengend und mühsam – Telefonkonferenzen mit 30 und mehr Teilnehmenden haben ihre Tücken –, aber alles in allem hat es hervorragend funktioniert. Ganz besonders wichtig war es uns als KBV, den Gesprächsfaden zu Ihnen nicht abreißen zu lassen. 

Sicher konnten wir dabei nicht immer allen Bedürfnissen gerecht werden, aber, und das ist aus meiner Sicht das Entscheidende: Das KV-System war während der gesamten Zeit handlungs- und sprachfähig. Dafür möchte ich Ihnen, auch im Namen von Andreas Gassen und Thomas Kriedel, herzlich danken!

Ganz klar geworden ist in den zurückliegenden Wochen: Gemeinsam können wir Krise!
Der Ausbruch des neuartigen Corona-Virus war in jeder Hinsicht eine Zäsur – für die Gesellschaft und die Politik, für das Gesundheitswesen und sicher auch für jeden Einzelnen. Es war ein Weckruf: Wir sind nicht unverwundbar.

Ob es richtig war eine gesamtstaatliche Vollbremsung hinzulegen, werden Historiker zu beurteilen haben. Sicher sinnvoll war es, zunächst einmal die Pausetaste zu drücken, um sich ein Bild der Lage zu verschaffen und sich zu sortieren. Das galt sowohl für die über 100.000 Praxen in Deutschland als auch für die Politik und die Bürgerinnen und Bürger. 

Aber: Zu keiner Zeit haben wir vergessen, dass über drei Millionen Patienten jeden Tag im Regelbetrieb zu versorgen sind. Diese Patienten waren die ganze Zeit da, sie sind nicht weg, nur, weil es jetzt eine „neue Krankheit“ gibt. Selbst in der Hochphase der Infektionen gab es „lediglich“ einige wenige Tausend COVID-19-Patienten in ganz Deutschland.

Dafür können wir dankbar sein. Aber wir haben auch viel dafür getan. Wir hatten Zeit, Strukturen so zu organisieren, dass Infizierte und Verdachtsfälle weiterhin in beziehungsweise neben dem Regelbetrieb in den Praxen versorgt werden können. Die Rückkehr zur Regelversorgung ist aber nun dringend und hochnotwendig. Denn wie Andreas Gassen schon sagte: Es wäre im wahrsten Sinne des Wortes fatal, wenn am Ende viel mehr Menschen durch das Aufschieben oder Aussetzen von Untersuchungen und Behandlungen zu Schaden kämen als durch COVID-19 selbst. 

Die Berichte und Zahlen aus einigen KVen, aber auch von Kollegen aus den Krankenhäusern geben hier begründeten Anlass zur Sorge. Im Übrigen, das sage ich immer wieder, ist der Umgang mit infektiösen Patienten ja nichts, was Ärzte erst seit Corona praktizieren – sie tun es in den Praxen jeden Tag. Viel gewonnen wäre, wenn auch bei den Bürgerinnen und Bürgern ein paar einfache Verhaltensregeln auf Dauer haften blieben, wie etwa die, bei einer möglicherweise ansteckenden Erkrankung beziehungsweise bei Infektzeichen vor dem Praxisbesuch dort anzurufen, damit entsprechende Vorkehrungen getroffen werden können. 

Wenn die Praxen leer bleiben, weil Patienten Angst haben, sich anzustecken, wird das nicht nur Auswirkungen auf die persönliche Lebensqualität sehr vieler behandlungsbedürftiger Menschen und auf die Krankheits- und Sterblichkeits-Statistiken haben. Viele Praxen werden wirtschaftlich so sehr in Schieflage geraten, dass dann auf Dauer auch kein Schutzschirm mehr hilft. 

Was für ein fatales Signal an die Niedergelassenen: Sie waren für die Menschen da, als die Krise begann, sie haben alles in ihrer Macht Stehende getan, sogar unter Inkaufnahme persönlicher Risiken, um die pandemische Welle zu brechen, sie haben den Schutzwall gebildet. Und dann werden ihre Praxen ausgetrocknet und die Jobs von Hunderttausenden Medizinischen Fachangestellten gleich mit zur Disposition gestellt?

Das kann nicht sein! Wir sind in Deutschland auch und vor allem deshalb vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen, weil unser ambulantes System schnell und flexibel reagiert hat. Und das „System“, das sind in erster Linie die Menschen, die darin arbeiten. Dafür dürfen sie jetzt nicht abgestraft werden! Und deshalb brauchen sie nicht nur den Schutzschirm, sondern sie brauchen vor allem die Möglichkeit, auch für die vielen Millionen Regelpatienten wieder da zu sein.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung zum Thema Telemedizin im weitesten Sinne, von der wir in diesen Wochen immer wieder lesen, sie habe durch die Corona-Pandemie einen riesigen Schub bekommen. Ich persönlich kann hier keine Revolution erkennen, auch keinen angeblichen „Hype“. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Es war gut und richtig, dass wir in der akuten Krise die Möglichkeiten für eine unkomplizierte Nutzung etwa von Videosprechstunden oder telefonischer Beratung und fernmündlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgebaut haben.

Als Arzt bin ich aber nach wie vor der Überzeugung, dass solche Instrumente grundsätzlich nur für ein stark begrenztes Anwendungsgebiet infrage kommen. Vor allem dann, wenn ich den entsprechenden Patienten kenne und wenn es sich um Fälle handelt, die keiner körperlichen Begutachtung bedürfen, oder im Rahmen der Unterstützung nichtärztlichen Personals bei der Vor-Ort-Versorgung. 

Es ist in jedem Fall richtig und sinnvoll, dass alle Praxen technisch und von ihrem Know-how her in der Lage sein sollten, solche Tools anzuwenden, um sie unter ganz bestimmten Voraussetzungen – wie jetzt in der Pandemie – anwenden zu können. Ich warne aber dringend davor, damit Anreize für arztersetzende Strukturen zu schaffen.

Privatwirtschaftliche Anbieter und sogar einige Krankenkassen sehen darin ein lukratives Geschäftsmodell oder die Chance auf den Einstieg in die Managed Care! Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre der Ausverkauf der persönlichen Arzt-Patienten-Beziehung zugunsten einer Callcenter-Medizin! Die Schwelle zur Übernahme der Versorgung durch Krankenkassen und profitorientierte Unternehmen wird immer niedriger. Wo soll das hinführen? Gibt es irgendwann die Weiterbildung zum Facharzt für Online-Medizin und alle anderen brauchen wir dann nicht mehr?

Wie gesagt: Ich sehe durchaus nützliche und gute Gründe darin, fernmündliche und telemedizinische Anwendungen in den Praxen zu etablieren. Sie sind aber immer nur als Ergänzung und Unterstützung zu denken, niemals als Alternative zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt – und schon gar nicht als eine eigenständige neue Säule der Versorgung! 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Andreas Gassen hat bereits darauf hingewiesen: Offensichtlich hat das ambulante System in der Krise so gut und geräuschlos funktioniert, dass die Politik der Auffassung ist, man könne hier einfach alles so weiterlaufen lassen. Darauf deutet zumindest das sogenannte Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket der Bundesregierung hin. Neben der Unterstützung und dem Ausbau des Öffentlichen Gesundheitsdienstes findet sich darin ein „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“.

Mit ihm sollen Investitionen gefördert werden, um Notfallkapazitäten sowie die digitale Infrastruktur zu fördern. Ferner sollen „Investitionen in die gezielte Entwicklung und die Stärkung regionaler Versorgungsstrukturen, sowohl für den Normalbetrieb wie für Krisenzeiten konzeptionell aufeinander abgestimmt, zum effizienten Ressourceneinsatz aus dem Programm unterstützt werden“. Das Volumen des Unterstützungspakets für die Kliniken beträgt drei Milliarden Euro.

Zwei Dinge fallen hierbei auf. Erstens: Das KV-System und die vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Praxen werden in diesem Konjunkturprogramm mit keiner Silbe erwähnt. Nun könnte man sagen, Praxen sind auch keine staatlichen Strukturen. So weit, so gut. Allerdings: Auch ein Großteil der Krankenhäuser befindet sich nicht in staatlicher Trägerschaft. Zweitens:  Investitionskosten werden im stationären Bereich ohnehin schon durch die duale Finanzierung gesondert berücksichtigt.

Die Praxen lässt man damit komplett allein. Stattdessen müssen wir mit den Krankenkassen beziehungsweise ihrem Spitzenverband mühsam um jeden Cent feilschen. Ganz offensichtlich wird hier mit zweierlei Maß gemessen.

Womit ich beim nächsten Thema wäre: dem Ergebnis des aktuellen Bewertungsausschusses.
Kaum scheint die Krise bewältigt, ist von Partnerschaft und konstruktiver Zusammenarbeit mit dem GKV-Spitzenverband nicht mehr viel zu spüren. Lange überfällige hausärztliche Honorar- und Strukturthemen werden im Bewertungsausschuss erneut und ohne konstruktives Gegenangebot auf die lange Bank geschoben.

Auch zu den anderen eingebrachten Themen gab es eine klare Ablehnung der Kassen ohne ernsthafte und verhandlungsfähige Gegenvorschläge. Mit den Stimmen der Unparteiischen wurden die Anliegen der Vertragsärzte einfach weggestimmt. Die Ärzte werden wieder als die „Sparschweine“ der gesetzlichen Krankenversicherungen entdeckt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
ein anderes Problem, das bereits vor der Pandemie existierte, durch sie aber deutlich stärker in den Fokus gerückt ist, sind Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Zwischenzeitlich hinzugekommen ist die Frage nach der Beschaffung und Bevorratung von sonstigem medizinischen Bedarf, insbesondere von Schutzausrüstung. Beide Themen stehen nicht nur hierzulande, sondern auch auf europäischer Ebene zurzeit ganz oben auf der Agenda. Es stellen sich drängende Fragen. Ist eine zu weitgehende Globalisierung schuld an Lieferengpässen? Gibt es ein Alternativmodell?

Am 1. Juli übernimmt Deutschland bekanntermaßen die europäische Ratspräsidentschaft. Durch die Corona-Krise haben sich die thematischen Schwerpunkte hier verschoben, natürlich auch im Bereich Gesundheit. Die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung wird das zentrale Thema sein. 

Ich hatte bereits im Januar dieses Jahres die Gelegenheit, bei einer von der Bundesärztekammer und der KBV organisierten Veranstaltung in Brüssel das Thema Arzneimittelengpässe mit europäischen Fachleuten zu diskutieren. Dabei waren wir uns einig, dass die Zentralisierung der Produktion an einigen wenigen Standorten der falsche Weg ist. Ich habe mich dafür ausgesprochen, dass in Verträgen mit Pharmaherstellern grundsätzlich gewährleistet sein muss, dass mehrere Anbieter und verschiedene Produktionsstandorte, auch für den Bezug des Wirkstoffs, existieren.

Dabei würde ich allerdings nicht so weit gehen zu fordern, dass die Produktion für den deutschen Markt nur noch innerhalb der EU oder gar in Deutschland erfolgen darf. „Made in Germany“ ist leider nicht immer und zwangsläufig ein Garant für Qualität. Auch der Skandal um minderwertige Brustimplantate aus unserem Nachbarland Frankreich ist noch in Erinnerung und durch Corona bedingte Lieferengpässe aus Italien haben uns ebenfalls spürbar getroffen.

Wir sollten also nicht so überheblich sein anzunehmen, dass wir es grundsätzlich besser machen als China, Indien oder sonst irgendwer. Aber wir müssen darauf achten, dass wir uns nicht abhängig machen von einem Hersteller und einem Standort, ganz gleich, wo dieser angesiedelt ist. Das Europäische Parlament hat sich mittlerweile ebenfalls dafür ausgesprochen, hier Maßnahmen zu ergreifen.

Die entsprechenden Vorschläge muten allerdings teilweise eher sozialistisch an – in jedem Fall sind sie zentralistisch. Ein Vorschlag ist die Gründung gemeinnütziger Unternehmen, um selbst versorgungsrelevante und strategisch wichtige Medikamente zu produzieren. Ein anderer eine EU-weite Arzneimittelreserve, welche durch eine neu zu gründende Behörde überwacht wird. Beides klingt extrem planwirtschaftlich und realitätsfern.

Auch eine avisierte Beschaffung und Verteilung von Schutzausrüstung auf europäischer Ebene klingt eher surreal: Der Bedarf aller 27 Mitgliedstaaten ist schlichtweg nicht erfüllbar. Die EU-Kommission arbeitet derzeit an einem Papier mit Kriterien für die Verteilung.

Unabhängig davon, ob dazu je eine Einigung zu erzielen wäre, sind aber Zweifel an der organisatorischen Umsetzbarkeit einer gemeinschaftlichen Bevorratung – insbesondere für kritische Arzneimittel und Medizinprodukte sowie für persönliche Schutzausrüstung – angebracht. Schon allein deshalb, weil es die erforderlichen Strukturen, etwa für das Einkaufsmanagement, auf europäischer Ebene nicht gibt.

Natürlich steht das Thema Bevorratung von Schutzausrüstung auch in Deutschland auf der Agenda. Minister Spahn sprach bereits davon, eine „dauerhafte nationale Reserve“ anlegen zu wollen. Bund und Länder werden sehr schnell merken, dass das – zumindest wenn man es richtig macht – eine höchst aufwendige und damit eher undankbare Aufgabe ist, die sich nicht nebenbei erledigen lässt.

Ich warne schon jetzt davor, dass die KVen hier erneut freiwillig in die Bresche springen. Denn es ist nicht damit getan, eine Lagerhalle zu mieten und diese mit Kartons zu füllen. Die Sache ist ungleich komplexer und bedarf erheblicher Ressourcen. Ganz abgesehen davon, dass die KVen zunächst per Gesetz überhaupt dazu verpflichtet werden müssten, denn eine solche Aufgabe gehört nicht zu ihrem Portfolio und Mittel dafür sind auch nicht vorhanden.

Auch mit Blick nach Brüssel sehen wir, dass Corona alles überstrahlt und den sonstigen Austausch deutlich erschwert. Unsere Aktivitäten in Brüssel waren schon allein aufgrund der allgemeinen Reisebeschränkungen in den letzten Wochen stark eingeschränkt. Hier werden wir nacharbeiten müssen. Wir waren jedoch die ganze Zeit und sind auch weiterhin wachsam, was sich dort tut. Wir achten sehr genau darauf, welche Themen dort bewegt werden, die für die Ärzteschaft hierzulande von Bedeutung sind. Die KBV bleibt dran!

Im Übrigen ist mir wichtig zu erwähnen, dass in der KBV auch neben und trotz Corona in allen Ressorts weiter hart gearbeitet wurde und wird. Dafür ein großes Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Beispielhaft möchte ich ein Ergebnis dieser Arbeit hier gesondert ansprechen, da es für die Praxen von erheblicher Bedeutung ist:

Wir konnten kürzlich beim Thema Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regresse einen Durchbruch und damit eine echte Verbesserung für die Praxen erreichen. Im Terminservice- und Versorgungsgesetz war angelegt, dass die Wirtschaftlichkeitsprüfung neu strukturiert wird. Die Rahmenvorgaben mussten entsprechend geändert werden. Die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband hierzu waren hart und zäh.

Letztendlich konnten wir aber einige wichtige Veränderungen, um nicht zu sagen Meilensteine, für die Arzneimittelversorgung erreichen. 

Die wichtigste Veränderung ist, dass Ärzte nicht mehr für vier Jahre rückwirkend belangt werden können, sondern nur noch innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren. Das heißt, die Kassen müssen sehr viel schneller und zeitnäher prüfen und ihre Anträge auf Regress stellen. Das macht es den Kolleginnen und Kollegen leichter zu reagieren.

Der zweite wichtige Erfolg ist, dass im Falle eines Regresses der Arzt oder die Ärztin nicht mehr den kompletten Preis der als unwirtschaftlich geltenden Verordnung zurückzahlen muss, sondern lediglich die Differenz zum Preis eines als wirtschaftlich angesehenen Medikaments. Darüber hinaus konnten wir in den Verhandlungen erreichen, dass der Differenzbetrag auch als Richtschnur bei der Maßnahme „Beratung vor Regress“ angewandt wird. Dadurch erreichen Ärzte die Auffälligkeitsgrenze weniger schnell und das Instrument der Beratung bleibt länger erhalten.

Die Regelung gilt für Einzelverordnungen rückwirkend seit dem 11. Mai 2019. Für die jahresbezogene Richtgrößenprüfung gilt sie bereits rückwirkend zum 1. Januar 2019.

Klar ist, dass unsere Forderung der generellen Abschaffung von Regressen damit noch nicht erfüllt ist. Dennoch halte ich die in wirklich schwierigen Verhandlungen mit der Kassenseite erzielten Einigungen für einen ganz wesentlichen Fortschritt auf dem Weg zu diesem Ziel.

Das berühmte Damoklesschwert der Richtgrößen konnten wir damit wesentlich entschärfen. Solange die Politik weiterhin nicht einen Hauch von Bereitschaft zeigt, Arzneimittelregresse komplett abzuschaffen, müssen wir uns darauf konzentrieren, die Rahmenbedingungen für die Praxen so günstig wie eben möglich zu beeinflussen. Und zwar so, dass ein Arzt bei normalem Arbeiten überhaupt nicht von einem Regress betroffen sein sollte. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
zum Thema Digitalisierung wird Thomas Kriedel gleich sprechen. Ich will lediglich beispielhaft einen Aspekt herausgreifen, der in der Ärzteschaft – völlig zu Recht! – für großen Unmut gesorgt hat. Er betrifft die Regelungen zur Einsicht der Versicherten in ihre elektronische Patientenakte (ePA), die zu Januar 2021 kommt, sowie das Einstellen von Dokumenten in die Akte.

Im Entwurf für das Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) war ursprünglich vorgesehen, dass Versicherte in der Praxis Zugriff auf ihre ePA bekommen sollen, etwa über entsprechende Terminals, und dass Ärzte sie hierbei unterstützen sollen. Wir haben schon unmittelbar nach Vorliegen des Referentenentwurfs sehr deutlich gemacht, dass wir die Funktion der Arztpraxen als „Lesestuben“ für die ePA nicht akzeptieren werden. Eine solche Dienstleistung ist angesichts der knappen Arbeitszeitressourcen von Ärzten und nichtärztlichem Personal weder zeitlich noch infrastrukturell zu leisten! 

Eine Delegation der Aktenverwaltung auf die Praxen darf es nicht geben. Seit dem 15. Mai liegt der Regierungsentwurf des PDSG vor, der den Einwand der KBV aufgegriffen hat. Nun sind es die Krankenkassen, die spätestens bis zum 1. Januar 2022 eine technische Infrastruktur für die Verarbeitung von Daten in der ePA flächendeckend zur Verfügung stellen sollen. 

Bezogen auf den Regierungsentwurf haben wir in diesem Zusammenhang auch eine für die Versorgungspraxis taugliche Formulierung gefordert, die das erklärte Ziel der Regelungen unmissverständlich deutlich macht. Nämlich, dass der behandelnde Arzt nur solche Dokumente einstellen muss, die aus dem aktuellen Behandlungstermin resultieren. Etwaigen Vorstellungen, dass der Arzt auch Dokumente aus früheren Terminen in die Akten einpflegen soll, haben wir eine klare Absage erteilt. Die Rolle des Arztes als Chronist für die ePA lehnen wir strikt ab!

Ein anderes Gesetzesvorhaben ist durch die Corona-Krise vorerst ausgebremst worden, nämlich die Reform der Notfallversorgung. Hier ist der aktuelle Stand immer noch der Referentenentwurf vom 8. Januar, zu dem die KBV ihre Stellungnahme Anfang Februar vorgelegt hat.

Am 17. Februar haben Andreas Gassen und ich an der Verbändeanhörung des Bundesministeriums für Gesundheit teilgenommen. Seither ruht das Ganze. Wir rechnen frühestens in der zweiten Jahreshälfte mit einer Wiederaufnahme, stehen aber jederzeit mit allen erforderlichen Kräften bereit, uns entsprechend einzubringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
ich möchte auf ein weiteres Thema eingehen, das in der Corona-Welle etwas untergegangen ist: Die Ambulantisierung der Medizin kommt – endlich! – auch in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung an. Dies spiegelt sich in dem Entwurf für eine neue Approbationsordnung wider, den das Ministerium bereits im Dezember vorgelegt hat. 

Der Entwurf fand viel Zustimmung, aber auch Kritik, unter anderem von der Deutschen Hochschulmedizin. Deren Vertreter bezweifeln, dass es möglich sein wird, genügend ambulantes Lehrpersonal zu finden. Hier seien die KVen in der Pflicht, genügend Lehrpraxen und Prüfer zur Verfügung zu stellen. Richtig ist: Alle, nicht nur die KVen, müssen sich der Herausforderung stellen, die ambulanten Anteile in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung zu stärken.

Wenn die angehenden Medizinerinnen und Mediziner das gesamte Spektrum der ärztlichen Tätigkeit überhaupt noch kennen und erlernen sollen, bleibt gar nichts anderes übrig. Die Krankenhäuser können dieses nicht abdecken, weil der Großteil der Diagnostik, viele Eingriffe und Behandlungen dort gar nicht mehr stattfinden. Ganze Krankheitsbilder gibt es stationär überhaupt nicht mehr zu sehen.

Wir müssen uns gemeinsam der Herausforderung stellen, die entsprechenden Kapazitäten für die Medizinerausbildung zu schaffen; und wir als KV-System werden den Auftrag in Bezug auf die Lehrpraxen annehmen. Der ganze Prozess erfordert aber auch mehr Flexibilität auf Seiten der Hochschulen. Es wird ihnen nicht helfen, sich zurückzulehnen und mit dem Finger auf die KVen zu zeigen. Hier müssen sich alle bewegen.

Auch in der ärztlichen Weiterbildung verzeichnen wir ein wachsendes Interesse an einer Tätigkeit im ambulanten Bereich. Die Nachfrage nach entsprechenden Förderstellen bei niedergelassenen Fachärzten steigt. Das zeigt der aktuelle Evaluationsbericht zum Förderprogramm Weiterbildung 2018. In jenem Jahr haben Krankenkassen und KVen die Weiterbildung im vertragsärztlichen Bereich mit rund 280 Millionen Euro bezuschusst, davon rund 42 Millionen Euro für den fachärztlichen Bereich.

Von den besonders geförderten Fachgebieten neben der Allgemeinmedizin sind vor allem Stellen im Bereich Kinder- und Jugendmedizin gefragt. Interessant ist auch: Das Durchschnittsalter der Ärztinnen und Ärzte, die sich für eine ambulante Weiterbildung interessieren, sinkt. In der Allgemeinmedizin lag es 2018 bei 38,3 Jahren, das sind zwei Jahre weniger als 2016. In den weiteren geförderten Facharztgruppen sank das Durchschnittsalter um ein Jahr, auf im Schnitt 35,2 Jahre.

Diese Entwicklung lässt hoffen, dass die jungen Ärztinnen und Ärzte perspektivisch früher in die ambulante Versorgung einsteigen. Allerdings: Der Trend zur Teilzeitbeschäftigung setzt sich auch in der Weiterbildung fort: 2018 waren 41 Prozent der jungen Mediziner in Teilzeit beschäftigt, das sind zehn Prozent mehr als im Jahr 2015. 

Der wachsende Zuspruch zur Weiterbildung im ambulanten Bereich ist natürlich sehr erfreulich. Der Nachwuchs ist unser aller Zukunft und steht deshalb im Fokus unserer Aufmerksamkeit. Der Fluch des Erfolges besteht jedoch darin, dass die bisherige Finanzierungsvereinbarung an ihre Grenzen stößt – und das ist beinahe wörtlich zu nehmen.

Die Regelung, dass KVen, welche die verlangte Zahl an zu fördernden Weiterbildungsstellen nicht erreichen, die Förderung in anderen KVen mitfinanzieren sollen, hat nachvollziehbarer Weise zu Unmut geführt. Mehr Allgemeinärzte an ohnehin attraktiven Standorten fördern und damit die Gesamtzahl der Allgemeinmediziner insgesamt steigern oder aber gezielter in den Gebieten fördern, die Nachwuchssorgen haben – das ist ein offener Punkt. Wir als KBV wollen möglichst bald denkbare Lösungen mit Ihnen diskutieren. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
dies ist ein weiteres Beispiel, das verdeutlicht, dass auch wir als KBV mit Ihnen und den KVen soweit es geht wieder in den Regelbetrieb übergehen wollen und auch sollten – bei aller gebotenen Sensibilität und Wachsamkeit für die weitere Entwicklung von Corona. 

Angesichts einer so globalen Herausforderung wie einer Pandemie erscheinen einem die eigenen heimischen Probleme manchmal in neuem Maßstab – eine Erfahrung, die durchaus helfen kann. Aber wir haben nun einmal Aufgaben, die zu erledigen sind, und die wir auch nicht auf die lange Bank schieben wollen. Auch das gehört dazu, wenn man Verantwortung trägt, wie wir es als KVen und KBV tun. 

Vielen Dank.
 

Es gilt das gesprochene Wort.