Themenseite

Arzneimittel für neuartige Therapien

ATMP-Qualitätssicherungs-Richtlinie

Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP) basieren auf Gen-, Gewebe- oder Zellprodukten. Diese Therapien sind innovativ und erfordern hohe Qualitätsstandards. Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt die Qualitätssicherung für den Einsatz einiger dieser Gen- und Zelltherapeutika in der ATMP-Qualitätssicherungs-Richtlinie.

Ob ein ATMP aufgenommen wird und damit der Qualitätssicherung unterliegt oder nicht, entscheidet der Unterausschuss Arzneimittel des G-BA nach bestimmten Kriterien. In entsprechenden Anlagen zur Richtlinie werden die Details indikationsbezogen oder bezogen auf Arzneimittelgruppen ausgestaltet.

Es gibt Qualitätsanforderungen für die einzelnen Behandlungsphasen von der Therapievorbereitung über die Durchführung bis zur Nachsorge. Sie betreffen die fachlichen Kenntnisse des ärztlichen und nicht ärztlichen Personals wie Facharztqualifikation, Berufserfahrung und Mindestmengen, die Arbeitsprozesse in der Einrichtung wie Bereitschaftsdienste und Fallkonferenzen, Strukturvorgaben wie Ausstattung und Kapazität der Räumlichkeiten sowie Meldungen an Patientenregister.

In der vertragsärztlichen Versorgung können qualitätsgesicherte ATMP aktuell ausschließlich in Form von Gentherapeutika bei Patientinnen und Patienten mit einer schweren Hämophilie eingesetzt werden. Zur Durchführung dieser Therapie benötigen Ärztinnen und Ärzte eine Genehmigung ihrer Kassenärztlichen Vereinigung. Nur mit Genehmigung können sie die Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenkassen abrechnen.

Für andere ATMP-Therapien ist derzeit nur die Nachsorge vertragsärztlich möglich, nicht jedoch die Vorbereitung und Durchführung. Daher gibt es Unterschiede beim Anzeige- und Genehmigungsverfahren je nach Behandlungsphase, die eine Vertragsärztin oder ein Vertragsarzt in der ATMP-Therapie übernehmen möchte.

Das sind ATMP

Arzneimittel für neuartige Therapien umfassen eine Gruppe innovativer Wirkstoffe, die entweder aus Nukleinsäuren oder Zell- beziehungsweise Gewebeprodukten bestehen.

Ziel der aus Nukleinsäuren aufgebauten Gentherapeutika ist entweder der Ersatz, die Reparatur, die Entfernung oder Regulation eines defekten oder dysfunktionalen Gens.

Die Gruppe der sogenannten somatischen Zelltherapeutika und biotechnologisch hergestellten Gewebeprodukte bestehen hingegen aus Zellen, die im Labor so modifiziert werden, dass sie zusätzliche Funktionen, zum Beispiel in der Abwehr von Krebszellen, erhalten oder defektes Gewebe ersetzen.

ATMP sind damit individuell auf Patientinnen und Patienten abgestimmte Arzneimittel, die eine gezieltere Behandlung, im besten Fall Heilung von angeborenen oder erworbenen Erkrankungen ermöglichen. (Quelle: G-BA)

Übersicht

Die Vorbereitung einer ATMP-Therapie beinhaltet die Diagnostik und Indikationsstellung. Bei der Durchführung wird das jeweilige ATMP appliziert. Die Nachsorge besteht aus der Verlaufskontrolle mit regelmäßiger Einbestellung der Patientinnen und Patienten und dauert in der Regel mehrere Jahre.

Anlage Vorbereitung und Durchführung vertragsärztlich möglich Nachsorge vertragsärztlich möglich
CAR-T-Zellen bei B-Zell-Neoplasien (Anlage I) Nein Ja
Onasemnogen-Abeparvovec bei spinaler Muskelatrophie (Anlage II) Nein Ja
Tabelecleucel bei EBV-positiven Posttransplantations-lymphomen (Anlage III) Nein Nein
Gentherapeutika bei Hämophilie (Anlage IV) Ja Ja
Eladocagene Exuparvovec (Anlage V) Nein Ja
info

Details zum Genehmigungsverfahren

Der G-BA stellt entsprechende Checklisten und Musterformulare für das Anzeige- und Genehmigungsverfahren bereit.

Bei Fragen zum Anzeige- oder Genehmigungsverfahren wenden Sie sich bitte an Ihre zuständige KV. Diese kann Ihnen auch erläutern, wie die Qualitätsanforderungen überprüft werden – hier sieht die Richtlinie je nach Anlage und Behandlungsphase sowohl schriftliche Verfahren als auch Vor-Ort-Begehungen vor.

Die Anzeigebestätigung und die Genehmigung werden personengebunden – mit Angabe des Namens der jeweiligen Ärztinnen oder Ärzte - und pro Einrichtung – mit Angabe der Betriebsstättennummer – ausgestellt.

1 / 4

Vertragsärztinnen und Vertragsärzte können die Nachsorge übernehmen

CAR-T-Zellen sind patientenindividuell hergestellte Gentherapeutika. Der Patientin oder dem Patienten werden Immunzellen (T-Zellen) entnommen, gentechnologisch verändert und wieder zugeführt. Dank der im Labor angeregten Bildung von chimären Antigenrezeptoren (CAR) können die CAR-T-Zellen Krebszellen erkennen und bekämpfen. Bei B-Zell-Neoplasien handelt es sich um bösartige Erkrankungen des lymphatischen Systems. (Quelle: G-BA)

Für ATMP-Therapien nach der Anlage I können Vertragsärztinnen und Vertragsärzte die Nachsorge übernehmen. Sie zeigen dies entsprechend bei ihrer KV zusammen mit den erforderlichen Nachweisen an und erhalten eine Bestätigung.

Die Nachsorge umfasst mindestens die ersten drei Jahre ab der Entlassung aus der Behandlungseinrichtung. In diesem Zeitraum muss der Patient beziehungsweise die Patientin mindestens einmal jährlich vorstellig werden. Zudem muss einmal jährlich eine Register-Meldung erfolgen.

Vertragsärztinnen und Vertragsärzte können die Nachsorge übernehmen

Säuglinge und Kleinkinder mit spinaler Muskelatrophie (SMA) weisen einen Defekt in einem Gen namens SMN1 auf. Die resultierende Fehlbildung des unverzichtbaren „survival motor neuron“-Proteins schränkt die normale Funktion der Nerven und die normalen Muskelbewegungen ein. Die Symptome beginnen normalerweise vor dem 6. Lebensmonat. Das Krankheitsbild umfasst Schwäche und Schwund der Muskeln, einschließlich der Lungenmuskulatur. Onasemnogen-Abeparvovec ist eine Gentherapie, die bei bestimmten Formen der SMA funktionstüchtige Kopien des defekten Gens SMN1 liefert.

Die Therapie soll entsprechend frühzeitig in den Krankheitsverlauf eingreifen, um das Fortschreiten der Muskelschwäche aufzuhalten. Die SMA ist eine seltene, genetisch bedingte neuromuskuläre Erkrankung. Der Wirkstoff wird als intravenöse Infusion verabreicht. Das Protein wird ausreichend gebildet und die Nervenfunktion bleibt erhalten.

Für ATMP-Therapien nach der Anlage II können Vertragsärztinnen und Vertragsärzte die Nachsorge übernehmen. Sie zeigen dies entsprechend bei ihrer KV zusammen mit den erforderlichen Nachweisen an und erhalten eine Bestätigung. Die Nachsorge umfasst bis zu 15 Jahre.

Vertragsärztinnen und Vertragsärzte können die Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge übernehmen

Die mittelschweren und schweren Verlaufsformen der Hämophilie können zu schwersten Blutungen in Muskeln und Gelenken sowie im Magen-Darm-Bereich und des Gehirns führen. Aufgrund der zugrundeliegenden Genetik sind fast ausschließlich Männer davon betroffen. Nach den Gentherapien zur Behandlung der Hämophilie wird der entsprechende Gerinnungsfaktor VIII bei Hämophilie A beziehungsweise der Gerinnungsfaktor IX bei Hämophilie B exprimiert.

Mit Roctavian® und Hemgenix® sind im Europäischen Wirtschaftsraum Gentherapeutika für die Behandlung von schwerer Hämophilie A beziehungsweise schwerer und mittelschwerer Hämophilie B zugelassen. Durch einmalige intravenöse Gabe soll das funktionsfähige Gerinnungsfaktor-Gen in die Leberzellen einer Patientin oder eines Patienten eingebracht werden. Dadurch werden ausreichende Mengen des Gerinnungsfaktors im Blut gebildet und Blutungen verhindert oder Blutungsepisoden verringert.

Für ATMP-Therapien nach der Anlage IV können Vertragsärztinnen und Vertragsärzte die Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge übernehmen.

Vertragsärztinnen und Vertragsärzte können die Nachsorge übernehmen

Der Aromatische-L-Aminosäure-Decarboxylase-(AADC)-Mangel ist eine genetisch bedingte neurometabolische Störung, welche mit eingeschränkter Synthese der Neurotransmitter Dopamin und Serotonin einhergeht.

Betroffene Kinder entwickeln in der Folge kaum funktionelle Motorik und erreichen kaum oder gar keine motorischen Meilensteine wie eine aufrechte Kopfhaltung, freies Sitzen, Stehen oder Laufen. Die Erkrankung kann bereits beim Neugeborenen-Screening diagnostiziert werden. Nach aktuellen Studien ist von einer sehr geringen Inzidenz mit ein bis zwei neuen Fällen pro Jahr auszugehen.

Für die kurative Behandlung von Patientinnen und Patienten mit AADC-Mangel ab 18 Monaten ist der Wirkstoff Eladocagene exuparvovec zugelassen – im europäischen Wirtschaftsraum unter dem Handelsnamen Upstaza®. Seit August 2023 befindet sich das Gentherapeutikum in Deutschland jedoch außer Vertrieb. Da eine Versorgung durch Importe nicht ausgeschlossen werden kann, hat der G-BA Qualifikationsanforderungen beschlossen.

Für ATMP-Therapien nach der Anlage V können Vertragsärztinnen und Vertragsärzte die Nachsorge übernehmen. Sie zeigen dies entsprechend bei ihrer KV zusammen mit den erforderlichen Nachweisen an und erhalten eine Bestätigung. Die Nachsorge umfasst bis zu 15 Jahre.

Innovationsfonds: Förderprojekt zu ATMP

Der Innovationsfonds fördert das Projekt „INTEGRATE-ATMP“. Hierfür haben sich spezialisierte deutsche Behandlungszentren, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene, zusammengeschlossen. Das Projekt wird harmonisierte und qualitätsgesicherte Instrumente zur Sicherung der bestmöglichen Behandlungsqualität von mit ATMP behandelten Patientinnen und Patienten entwickeln und an den beteiligten Zentren modellhaft erproben.Die Instrumente umfassen die Einführung strukturierter Behandlungspläne für die ambulante Vor- und Nachsorge sowie den Aufbau eines krankheitsübergreifenden und für zukünftige ATMP-Zulassungen erweiterbaren ATMP-Registers. Darüber hinaus entsteht eine telemedizinische Kommunikations- und Austausch-Plattform für Patientinnen und Patienten und alle an der Behandlung Beteiligten, die auch ein strukturiertes Management möglicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen zulässt. Der Erfolg dieser Instrumente wird begleitend evaluiert. Das Projekt wird für vier Jahre (Laufzeit: 1. Oktober 2022 bis 30. September 2026) mit insgesamt circa 13,6 Millionen Euro gefördert. (Quelle: G-BA)

Die KBV blickt den Ergebnissen mit Interesse entgegen, da vertragsärztliche Leistungserbringer (z.B. Medizinische Versorgungszentren, Berufsverband der Hämatoonkologen) beteiligt sind.

info

Abonnieren Sie unsere kostenlosen Newsletter