PRESSE Informationen für Medien

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV im Interview:

Wie bewerten sie die aktuelle Diskussion um Eigenbeteiligungen im Gesundheitswesen?

Also, dass es diese Diskussion gibt, ist grundsätzlich gut. Wir haben ja eine Diskussion, die viel weitgehender ist, nämlich, wie sicher sind die Sozialsysteme, wie können wir sie zukunftsfest gestalten. Da wäre es natürlich hilfreich, auch mal den Fokus auf versicherungsfremde Leistungen zu lenken und nicht ausschließlich auf die Leistungserbringung im Gesundheitswesen, aber sei es drum. Eigenbeteiligungen oder Selbstbehalte sind aber letztendlich natürlich ein probates Mittel und wir sind ja eines der wenigen Länder, die das bisher überhaupt nicht bespielt haben, dieses Thema.

Sie haben einen Facharzttarif vorgeschlagen. Was meinen Sie damit?

Das ist eigentlich nur aus der Idee geboren, dass ja ein potenzielles Primärarztsystem etabliert werden soll, wohl wissend, und das weiß glaube ich jeder im System, dass wir gar nicht genug Primärärzte haben, um wirklich zwingend alle da durchzuschleusen. Das heißt, wir würden einen Flaschenhals kreieren. Deshalb soll es ja alternative Möglichkeiten geben, auch Fachärzte ohne einen vorherigen Gang in die Hausarzt-, Kinderarzt- oder gynäkologische Praxis aufzusuchen, beispielsweise durch eine medizinische Ersteinschätzung. Wir wissen aber auch, dass es trotzdem Menschen gibt, die das entweder wissentlich ignorieren oder einfach denen das zu lästig ist, sich diesen Mechanismen zu unterwerfen. Das wird man auch nicht komplett abstellen können. Wenn man aber das weiß, macht es sicherlich Sinn, hier eine Option anzubieten, dass ein spezieller Tarif eben diese Ersteinschätzung sozusagen zu umgehen hilft oder sie ersetzt. Das geht natürlich nicht ohne Finanzmittel, denn zum einen müssen ja die Fachärzte für Termine, die in Anspruch genommen werden, sei es über die primärärztliche Steuerung, SmED oder auch durch Menschen, die sie primär konsultieren, in voller Höhe erstattet bekommen. Also das Budget müsste aufgefüllt werden. Dazu braucht es Finanzmittel. Zum Zweiten wollen wir die Einnahmenbasis der GKV erweitern. Das wäre über einen freiwilligen Tarif denkbar. Das heißt, man könnte sowohl die Leistung komplett bezahlen, die die Fachärzte erbringen. Gleichzeitig hätte die GKV eine Kostendeckung und nur so ist es ja überhaupt denkbar, dass es mehr fachärztliche Termine gibt, weil das geht ja nur damit, dass die Praxen eben mehr arbeiten.

Ist die Gebühr von 200 Euro pro Facharztbesuch gerechtfertigt?

Der Vorschlag kommt wohl aus der Idee, dass einzelne Arztbesuche bei uns enorme Kosten auslösen. Das ist ja auch, wenn Sie Umfragen auf der Straße machen und fragen die Menschen "Was meinen Sie, was der Arztbesuch kostet?", dann werden in der Regel 100, 200, 300 Euro genannt. Tatsächlich ist es so, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung aber die Einzelleistung leider bedauerlich schlecht vergütet ist. Und da die Fallwerte der meisten Fachärzte im Quartal zwischen 60 und 80 Euro liegen und das sind ja in der Regel mehrere Besuche, sieht man, wie fern der Realität diese 200 Euro sind. Auch wenn ich durchaus der Meinung bin, das könnte eine angemessene Größenordnung für einen fachärztlichen Besuch sein. Aber selbst eine Kernspin-Untersuchung kostet in der GKV bei 100 Prozent Auszahlungsquote gerade um 130 Euro. Also hier ist wohl ein grundsätzlicher Wunsch, Eigenbeteiligung zu etablieren, von einer völlig überhöhten Kostenschätzung der Leistungen in der ambulanten gesetzlichen Krankenversicherung entstanden.

Wie könnte man sonst die Zahl der Arztbesuche reduzieren?

Also, wie viele Arztbesuche man am Ende des Tages wirklich hat und die wirklich konkret mit anderen Gesundheitssystemen zu vergleichen, das ist ja eine schwierige Diskussion. Wir kennen die unterschiedlichen Leistungsangebote im Ausland. Wir wissen auch, dass zum Beispiel Psychotherapie in der Regel in anderen Ländern nicht über die GKV abgewickelt wird. Also sind die Zahlen nicht eins zu eins vergleichbar. Nichtsdestotrotz haben wir eine hohe Inanspruchnahme, zum Teil durch unsinnige Regelungen auch getriggert. Ich denke nur an die Krankschreibepflicht in den ersten drei Tagen. Das produziert abertausende Arztbesuche, die aus unserer Sicht nicht zwingend notwendig wären. Das könnte man tarifrechtlich regeln. Wir haben natürlich durchaus auch Patienten, die oft zu verschiedenen Ärzten gehen. Das sind gar nicht so viele, aber die machen es dann intensiv. Insofern glaube ich, kriegt man das Ganze überhaupt nur in den Griff, wenn man tatsächlich wieder ein Gefühl dafür schafft, dass eine solidarisch finanzierte Krankenversicherung eben kein Selbstbedienungsladen ist, sondern die Leistungen eben nach Notwendigkeit in Anspruch genommen werden sollen. Und da helfen Eigenbeteiligungen in der Regel auch ganz gut.

Wie wird die Diskussion nun weitergeführt?

Zunächst einmal wird die Frage sein, wie sich jetzt die aktuellen Gesetzgebungspläne in der Gesundheitspolitik darstellen. Ich würde mal annehmen, dass die Notfallreform da prioritär zu bedienen ist. Dann haben wir das Krankenhausänderungsgesetz. Wann und in welchem Umfang dann die primärärztliche Steuerung Thema wird, werden wir sehen. Sicherlich gibt es durchaus Patientengruppen, die von einer primärärztlichen Steuerung profitieren. Aber wir wissen eben ganz genau, dass tun erstens ist es nicht für alle zielführend. Zweitens haben wir einfach einen personellen Engpass. Jetzt schon 5.000 Hausarztsitze nicht besetzt. 40 Prozent der Kolleginnen und Kollegen über 60. Das ist also ein Problem, was mit Ansage noch größer wird. Also macht es jetzt keinen Sinn, 73 oder 75 Millionen Menschen jetzt auch noch zwingend in diesen prospektiven Flaschenhals zu schicken. Das hat die Ministerin auch schon gesehen und gesagt, hier müssen wir verschiedene Ausnahmen denken. In der Diskussion befinden wir uns. Da haben wir ein Papier abgeliefert, was verschiedene Bereiche adressiert. Und auch da haben wir schon das Thema Eigenbeteiligung adressiert, weil wir eben aus der Erfahrung einfach wissen, dass Sie können Angebote so gut konstruieren, wie Sie mögen, es gibt immer Menschen, die sich dem aus welchen Gründen auch immer entziehen oder die es nicht wahrnehmen. Insofern glaube ich, die Diskussion wird noch spannend. Ein verpflichtendes Primärarztsystem für alle halte ich für a) personell kaum umsetzbar, ich gehe auch davon aus, dass die Politik das nicht umsetzen wird, weil in der Form müssten sie Patienten natürlich in einem erheblichen Umfang verpflichten, in der Regel Einschreiben nach Postleitzahl etc. Das bleibt abzuwarten, ob man das den potenziellen Wählern dann auch zumuten möchte. Wir stehen bereit, mit Vorschlägen die Diskussion auch zu bereichern und von daher warten wir mal ab, was politisch in den nächsten Monaten passiert.

Folgen Sie uns auf LinkedIn und Instagram unter @kbv4u.

KBV2GO! Immer an Ihrer Seite
mit Nachrichtenticker und vielen nützlichen Anwendungen für die Praxis – jederzeit und überall

Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV:

Warum ist die Grippeschutzimpfung so wichtig?

Die Grippeschutzimpfung schützt natürlich insbesondere ältere Menschen und chronisch kranke Menschen vor der doch häufig sehr schwer verlaufenden Influenza und bietet sicheren und guten Schutz. Ganz dringlich ist es für alle Menschen über 60 Jahre und für alle chronisch kranke Menschen, auch wenn sie jünger als 60 Jahre.

Wie trägt die Grippeschutzimpfung zur Entlastung des Gesundheitssystems bei?

Indem eben schwere Influenza-Fälle vermieden werden, damit auch Hospitalisationen, also Krankenhaus-Einweisungen, schwere Verläufe, komplizierte Verläufe, zum Teil auch bei jüngeren Menschen. Und die zu vermeiden, ist einmal für die Betroffenen natürlich ungeheuer wichtig, aber auch für das Gesundheitswesen.

Was zeichnet die ärztliche Praxis vor Ort denn bei Impfungen gegenüber anderen Angeboten aus?

Ja, das ist zurzeit viel diskutiert. Natürlich ist die Impfung nicht nur der technische Pieks in den Oberarm, sondern es gehört dazu die Beratung, die Anamneseerhebung, gegebenenfalls auch die Reaktion bei Komplikationen, die ausgesprochen selten sind, aber vorkommen. Und darüber hinaus gibt es ja für dieses Klientel, nämlich ältere Menschen, Menschen mit chronischen Erkrankungen, weitere wichtige Impfungen, zum Beispiel gegen Lungenentzündung oder Gürtelrose, zu denen auch beraten werden sollte und kann. Und all das geht umfassend nur in der Arztpraxis, nur bei Ärztinnen und Ärzten, die ihre Patienten kennen und die das auch studiert haben, was sie dort machen.

Was möchten Sie den Niedergelassenen dazu mit auf den Weg geben?

Ja wie jedes Jahr möchten wir motivieren zu impfen, das tun die Ärztinnen und Ärzte auch in millionenfacher Zahl. Es ist also ungeheuer wichtig in ganz, ganz vielen Praxen, wohnortnah, verteilt durch ganz Deutschland. Das ist wichtig für die gesamte Gesundheit der Bevölkerung, fürs Gesundheitswesen. Und ich danke den Praxen, dass sie wahrscheinlich auch in diesem Jahr, genauso wie in den Jahren davor ganz massiv Anteil an dieser Kampagne haben werden.

Folgen Sie uns auf LinkedIn und Instagram unter @kbv4u.

116117, der Patientenservice. Wir helfen, wenn Sie krank sind - rund um die Uhr.

KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner im Interview

Die ePA ist seit dem 1. Oktober Pflicht. Sind die Praxen vorbereitet?

Die Praxen haben die Phase der freiwilligen Nutzung der ePA, das ist die sogenannte Hochlaufphase, intensiv genutzt. Zuletzt haben wir aus Daten der Gematik gesehen, das Dreiviertel der Arztpraxen, die ePA bereits in dieser freiwilligen Phase ausprobiert, mit ihr gearbeitet und sie getestet haben. Es gibt aber – das muss man auch dazu sagen – nach wie vor technische Probleme, die nicht durch die Praxen zu verantworten sind. Ein Punkt ist, dass bis vor kurzem noch nicht alle Hersteller ein durch die Gematik zertifiziertes ePA-Modul ausgeliefert hatten, sodass natürlich diese Praxen nicht mit der ePA arbeiten konnten, weil das Modul noch nicht vorhanden war. Das haben wir sehr, sehr kritisch gesehen, weil die Hersteller auch bereits ab Januar gesagt haben, sie seien eigentlich ePA-ready. Und insofern konnten natürlich die Praxen diese Phase nicht ausreichend nutzen. Wir haben jetzt noch einen Anteil von ungefähr zehn Prozent der Praxen, die noch kein ePA-Modul haben. Paradoxerweise werden die Praxen mit Sanktionen dafür bestraft, wenn sie dieses ePA-Modul nicht vorhalten können durch Abzug der Reduzierung der TI-Pauschale, bis zu einem generellen Abrechnungsausschluss im Jahr 2026. Das ist natürlich vollkommen inakzeptabel, dass man hier die Praxen bestraft, wenn die Hersteller nicht liefern. Wir sind deshalb mit dem BMG im Gespräch, um für diese Praxen – deren Hersteller kein zertifiziertes ePA-Modul vorhalten werden – eine Übergangsregelung zu finden.

Was melden die Praxen sonst zurück?

Diejenigen, die mit der ePA schon arbeiten, geben uns positive Rückmeldungen in dem Sinne, dass zum Beispiel die E-Medikationsliste ein tatsächlicher Vorteil ist, oder auch die Tatsache, dass sie Dokumente einsehen können, die in der ePA vorhanden sind und die auch in ihre eigene Dokumentation übernehmen können. Hier gibt es positive Rückmeldungen. Was die Umsetzung der ePA in den einzelnen PVS-Systemen angeht, haben wir durchaus gemischte Rückmeldungen. Ein hoher Anteil der Praxen ist zufrieden, aber ein beträchtlicher Anteil ist auch nicht zufrieden. Also hier haben wir wirklich eine ganz heterogene Umsetzung durch die PVS-Hersteller. Der dritte und wahrscheinlich wichtigste Punkt ist, dass 75 Prozent der Praxen uns zurückgemeldet haben, dass die TI nicht stabil genug läuft.

Wie drückt sich das dann aus?

Die Praxen können gar nicht auf die ePA zugreifen, oder sie können keine Dokumente hochladen in die ePA oder runterladen, oder es dauert viel zu lange. Diese Instabilität der Telematikinfrastruktur, das ist ein großes Problem. Das muss eindeutig viel besser werden. Die TI muss zuverlässig laufen. Anderenfalls wird die ePA nicht in der notwendigen Form akzeptiert werden können.

Wird die ePA denn von Patientinnen und Patienten akzeptiert?

Bei den Patienten, auch das haben uns die Praxen zurückgemeldet, sind sehr viele überhaupt nicht informiert, dass sie eine elektronische Patientenakte haben. Da müssen sicherlich die Krankenkassen nachlegen mit Informationen. Auch der Anteil derjenigen Patienten die jetzt eine ePA-App haben, liegt ungefähr bei fünf Prozent über alle Kassen hinweg. Das ist natürlich sehr, sehr gering. Wichtig ist dennoch, dass die Krankenkassen die Patienten darüber informieren, dass sie eine elektronische Patientenakte haben, wenn sie dem nicht widersprochen haben, und dass die Patienten hierüber ausreichend Bescheid wissen. Sonst entsteht natürlich in den Praxen der ganze Aufklärungsaufwand über die elektronische Patientenakte, was sie leistet, und dafür haben die Praxen nicht die notwendige Zeit. Sie brauchen diese Zeit für die Behandlung der Patientinnen und Patienten. Diese Aufgabe liegt ganz klar bei den Krankenkassen.

Wie ist der Stand bei den Krankenhäusern?

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat mitgeteilt, dass zum 1. Oktober nur neun Prozent der Krankenhäuser die ePA nutzen werden, obwohl für die Krankenhäuser ab dem 1. Oktober die Nutzungspflicht ja genauso besteht für die Praxen. Das ist deshalb kritisch weil die Praxen den größten Mehrwert im Austausch der Informationen mit den Krankenhäusern sehen, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Krankenhausentlassbrief, der einen echten Mehrwert darstellen würde. Insofern müssen die Krankenhäuser hier unbedingt nachziehen.

Folgen Sie uns auf: LinkedIn und Instagram: @kbv4u