Praxisnachricht
  • Aktualisierungsdatum:
  • 70 Jahre Selbstverwaltung

Gassen: Wir brauchen ein klares politisches Bekenntnis zur Selbstverwaltung

Die ärztliche Selbstverwaltung in Deutschland muss nach Aussage des Vorstandsvorsitzenden der KBV, Dr. Andreas Gassen, wieder freier und unabhängiger agieren dürfen. „Wir brauchen ein klares politisches Bekenntnis zur Selbstverwaltung und ein gemeinsames Verständnis, dass gesetzliche Regelungen zurückhaltend ausgestaltet sein müssen“, sagte Gassen bei einem Festakt von KBV und Kassenzahnärztlicher Vereinigung zum 70-jährigen Bestehen der Selbstverwaltung am Dienstag in Berlin.

„Was wir über die Jahrzehnte und insbesondere in der jüngeren Vergangenheit beobachten, ist eine stetige und ungesunde Zunahme an Reglementierung und Regulierung in der vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung und damit der Selbstverwaltung“, kritisierte der Vorstandsvorsitzende der KBV. Greifbar werde dies an dem mittlerweile völlig aufgeblähten Fünften Sozialgesetzbuch. Gassen räumte ein, dass die Körperschaften an der auch von den Praxen gefühlten übermäßigen „Kontrollitis“ nicht unbeteiligt seien. „Der Grund ist aber, dass wir letztendlich umsetzen müssen, was Politik uns vorgibt.“ Und diese Vorgaben würden immer kleinteiliger, so dass das entscheidende Wörtchen „Selbst“ in Selbstverwaltung immer mehr zur Makulatur werde. 

Gassen: „Wir sind die Experten für Versorgung“

An Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) gewandt, appellierte der KBV-Vorstandsvorsitzende: „Geben Sie uns die Freiheit zurück, die wir brauchen.“ Das Prinzip der Selbstverwaltung sei ein Ausdruck des Vertrauens der Politik in die Kräfte der Selbstregulierung – aber es sei auch ein Versprechen, der Selbstverwaltung freie Hand zu lassen. „Denn wir wollen eben nicht nur verwalten, sondern Versorgung gestalten – mit Lösungen, die im wahrsten Sinne des Wortes praxis- und patientennah und nicht am politischen Reißbrett entstanden sind. Wir sind die Experten für Versorgung!“, stellte Gassen klar.

Nicht zuletzt die Erfahrungen der Corona-Pandemie haben die Bedeutung und die Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung und der ambulanten Versorgung mit vielen selbstständigen Praxen in der Fläche eindrucksvoll vor Augen geführt. „Und wenn wir heute wieder – in anderem Kontext – davon sprechen, dass Deutschland krisenresilient werden muss, dann sind es diese unabhängigen und selbstverwalteten Strukturen, die einen wesentlichen Beitrag hierzu leisten können“, betonte Gassen.

Selbstverwaltung entlastet den Staat

Er wies darauf hin, dass das Modell der ärztlichen Selbstverwaltung in der hiesigen Form nicht nur ziemlich einmalig, sondern durchaus eines mit Vorbildcharakter für andere Länder sei. Ihn verwundere das nicht wirklich, handele es sich bei der Selbstverwaltung doch um ein bestechendes politisches Konzept. „Die Selbstverwaltung entlastet den Staat im Sinne der Subsidiarität; sie ist nah dran an den Menschen und Themen, für die sie zuständig ist und bietet dadurch eine besondere Expertise. Und sie genießt durch Wahlen derer, die sie vertritt, ein hohes Maß an demokratischer Legitimation.“

Es spreche viel dafür, so grundlegende und relevante Dinge wie die Gesundheitsversorgung weder ausschließlich dem freien Markt noch zentralstaatlicher Organisation zu überlassen, betonte Gassen einen weiteren Vorzug der Selbstverwaltung. So sorgten die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen mit ihrer regulierenden Tätigkeit für gleiche Werte und Standards in der Versorgung und bildeten „eine Art Schutzwall gegen ideologieanfällige Parteipolitik in den Gezeiten von Regierungslegislaturen“.

Wesentliches Element einer gelebten und wehrhaften Demokratie

Wie wichtig dies sei, habe die Geschichte der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands (KVD), der KBV-Vorgängerorganisation während der Zeit des Nationalsozialismus gezeigt. So habe sich die KVD zu einer „willfährigen Erfüllungsgehilfin einer rassistischen und faschistischen Ideologie gemacht“, sagte Gassen. Jüdische Ärztinnen und Ärzte seien systematisch ausgegrenzt und ihrer Existenz beraubt, ins Exil oder auch in den Tod getrieben worden. Daher sähen KBV und KZBV eine starke und unabhängige Selbstverwaltung heute als „wesentliches Element einer gelebten und wehrhaften Demokratie.“

Bei einem Empfang am Abend lobte Gesundheitsstaatssekretär Tino Sorge (CDU) die Selbstverwaltung als „Erfolgsmodell“. Er sicherte zu, dass zumindest die neue Bundesregierung nicht die Intention habe, die Selbstverwaltung „zu gängeln“. Im Hinblick auf die aktuellen Vorschläge zur Ausweitung der Befugnisse von Apothekern sagte er: „Wir sollten offen miteinander sprechen, also keine Denkverbote haben.“

Gründung der KBV als Einrichtung der Selbstverwaltung

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung organisiert gemeinsam mit den 17 Kassenärztlichen Vereinigungen in eigener Verantwortung die ambulante Versorgung. Der Staat gibt die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Aufgaben vor. Dies ist kurzgefasst das Prinzip der ärztlichen Selbstverwaltung, wie es mit dem Gesetz über das Kassenarztrecht 1955 festgelegt wurde. Mit dem vor 70 Jahren vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetz wurde auch die KBV formal als Körperschaft des öffentlichen Rechts etabliert. Ihre Aufgabe ist es fortan, die ambulante Versorgung zu organisieren und die Interessen der Vertragsärzte und -psychotherapeuten gegenüber der Politik und den Krankenkassen zu vertreten. So schließt sie mit allen Krankenkassen Verträge ab, sodass jeder Vertragsarzt und jeder Vertragspsychotherapeut jeden Patienten behandeln kann, egal in welcher gesetzlichen Krankenkasse er versichert ist. 

Die Gründung der KBV geht zurück auf das Jahr 1931. Bis dahin gab es das Einzelvertragssystem zwischen Ärzten und Krankenkassen; jeder Arzt war auf privatrechtliche Dienstverträge mit den Kassen angewiesen und damit weitgehend abhängig. Infolgedessen kam es immer wieder zu Streiks. Um die ambulante medizinische Versorgung landesweit sicherzustellen, wurden die Kassenärztlichen Vereinigungen gegründet, die für alle Ärzte mit allen Krankenkassen verhandeln sollten. Nach Kriegsende wurde die Arbeit zunächst auf der Grundlage der 1931/32 erfolgten Vereinbarungen fortgesetzt. 1951 beschließt der Deutsche Bundestag das Selbstverwaltungsgesetz, das den Wiederaufbau der öffentlich-rechtlich organisierten Selbstverwaltung innerhalb der Sozialversicherung regelt. 1955 folgt das Gesetz über das Kassenarztrecht. 

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