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Gassen: Eigenbeteiligung als Option für Versicherte

Vor dem Hintergrund eines geplanten Primärarztsystems hat der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, für ein Tarifmodell mit Eigenbeteiligung geworben. Dieses helfe nicht nur die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung zu erweitern, sondern komme auch jenen Patienten zugute, die weiterhin nicht auf den direkten Zugang zum Facharzt verzichten wollten.

Gassen schlägt einen zusätzlichen Facharzttarif für gesetzlich Krankenversicherte in Höhe von 200 bis 350 Euro jährlich vor, die auch künftig ohne Überweisung des Hausarztes oder ohne digitale Ersteinschätzung direkt zu einem Facharzt gehen wollen. Wer den Tarif abschließt, soll weiterhin die Wahlfreiheit haben und kann auch künftig direkt einen Facharzt aufsuchen. Das Vorhaben der schwarz-roten Koalition, die Patienten vom Hausarzt steuern zu lassen, sei insbesondere für ältere Menschen mit vielen Krankheiten und Chroniker sinnvoll, aber eben nicht für alle Versicherten, argumentierte Gassen.

Die Mehreinnahmen aus dem Facharzttarif sollen Gassen zufolge dazu dienen, die zusätzlichen Termine außerhalb des Budgets voll zu vergüten. Aktuell bekommen die Fachärzte ihre Leistungen im Schnitt nur zu 80 Prozent vergütet.

Eigenbeteiligung in anderen Ländern üblich

Entstanden sei die Idee auch aus der Überlegung heraus, wie die Sozialsysteme und in diesem Fall die Gesundheitsversorgung zukunftsfest gestaltet werden könnten, erläuterte Gassen seinen Vorschlag in einem Video-Interview. Die Eigenbeteiligung sei aus seiner Sicht ein probates Mittel. „Wir sind eines der wenigen Länder, die dieses Thema bisher überhaupt nicht bespielt haben“, sagte der KBV-Chef. Hinzu komme, dass es für ein Primärarztsystem nicht genügend Primärärzte gebe, um all die Patienten weiterzuleiten. „Das heißt, wir würden einen Flaschenhals kreieren.“ 

Selbst alternative Möglichkeiten zur Patientensteuerung, wie eine medizinische Ersteinschätzung, würden nicht verhindern können, dass immer noch einige Patienten am System vorbei direkt zu den Fachärzten wollten. „Das wird man auch nicht komplett abstellen können“, ist sich Gassen sicher. Weil das ohne neue Finanzmittel nicht zu bewältigen sei, wäre ein freiwilliger Tarif eine Option.

Angesprochen auf die von CDU-Politikern vorgeschlagene Gebühr von 200 Euro für jeden direkten Facharztbesuch verwies der KBV-Vorstandsvorsitzende auf zum Teil falsche Vorstellungen über die Kosten im Gesundheitswesen. „Wenn Sie eine Umfrage auf der Straße machen und die Menschen fragen: ‚Was meinen Sie, was der Arztbesuch kostet?‘ dann werden in der Regel 100, 200, 300 Euro genannt.“ Tatsächlich lägen die Fallwerte der meisten Fachärzte im Quartal zwischen 60 und 80 Euro.

Gassen: Es ist nicht alles finanzierbar

Die Steuerung der Patienten lässt sich nach Aussage Gassens nicht nur über Tarife regeln. Die hohe Inanspruchnahme der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte werde durch zum Teil unsinnige Regelungen geradezu befeuert. „Ich denke nur an die Krankschreibepflicht in den ersten drei Tagen. Das produziert abertausende Arztbesuche, die aus unserer Sicht nicht zwingend notwendig wären. Das könnte man tarifrechtlich regeln“, sagte der KBV-Vorstandsvorsitzende.

„Insofern glaube ich, kriegt man das Ganze überhaupt nur in den Griff, wenn man tatsächlich wieder ein Gefühl dafür schafft, dass eine solidarisch finanzierte Krankenversicherung eben kein Selbstbedienungsladen ist, sondern die Leistungen nach Notwendigkeit in Anspruch genommen werden sollen.“ Eine Eigenbeteiligung der Versicherten sei daher in seinen Augen die richtige Antwort.

Gassen äußerte sich skeptisch, ob das Primärarztsystem überhaupt kommen wird. Aktuell hätten die Notfallreform und das Krankenhausänderungsgesetz oberste Priorität. Hinzu komme der personelle Engpass in der Vertragsärzteschaft. So seien rund 5.000 Hausarztsitze nicht besetzt, und etwa 40 Prozent der Kolleginnen und Kollegen seien über 60. Ein verpflichtendes Primärarztsystem für mehr als 70 Millionen gesetzlich Versicherte halte er allein personell für kaum umsetzbar. Gassen bot der Politik Unterstützung an. „Wir stehen bereit, mit Vorschlägen die Diskussion zu bereichern.“

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