Apotheken sind keine Arztpraxen – KBV warnt vor massiver Kompetenzausweitung
Nach den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums sollen Apotheken künftig nicht nur mehr impfen dürfen, sondern auch verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung abgeben – sowohl bei bekannten Dauertherapien chronisch kranker Menschen als auch bei unkomplizierten, akuten Erkrankungen, die in einer Rechtsverordnung zu regeln sind. Zudem sollen Beratungen und Tests zur Früherkennung und Prävention von Krankheiten vermehrt in Apotheken erfolgen.
„Die Maßnahmen stellen einen deutlichen Bruch mit der ärztlichen Therapieverantwortung und dem Grundsatz des Arztvorbehalts dar“, sagte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner den PraxisNachrichten. Die Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente beispielsweise setze eine ärztliche Diagnose voraus. „Diese kann ohne Untersuchung und differenzialdiagnostische Abklärung nicht erfolgen.“
Zudem führe die Neuregelung, dass Apotheken verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Rezept abgeben dürfen, zu Fehlanreizen. „Apotheken haben ein wirtschaftliches Interesse, ein möglichst teures Medikament an Patienten abzugeben“, betonte Steiner. Eine nachträgliche Rezeptierung der von der Apotheke abgegebenen Arzneimittel und eine Übernahme der Wirtschaftlichkeitsverantwortung durch den behandelnden Arzt lehne die KBV entschieden ab.
Mehrkosten durch Austausch von Rabattarzneimitteln
Höchst problematisch sieht die KBV auch die geplante Lockerung bei der Abgabe von Arzneimitteln, für die die Krankenkassen mit den Herstellern einen Rabatt ausgehandelt haben. Bislang dürfen Apotheken ein rabattiertes Arzneimittel gegen ein wirkstoffgleiches Medikament nur dann austauschen, wenn das Rabattarzneimittel nicht lieferbar ist. Künftig soll das bereits möglich sein, wenn die Apotheke das rabattierte Arzneimittel nicht vorrätig hat.
„Mit dieser Regelung sollen Apotheken entlastet werden, was allerdings zu einer finanziellen Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung führt“, erläuterte Steiner. Dabei sei nicht geregelt, wie mit den Mehrkosten bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Ärzte umzugehen sei. Die KBV fordert deshalb eine gesetzliche Klarstellung, dass Ärztinnen und Ärzte in diesen Fällen nicht für eine unwirtschaftliche Arzneimittelabgabe haftbar gemacht werden können. Rezepte, bei denen ein Arzneimittelaustausch erfolgt, sollten entsprechend gekennzeichnet und bei eventuellen Wirtschaftlichkeitsprüfungen berücksichtigt werden.
Weitere Schutzimpfungen in Apotheken
Rechtliche und fachliche Bedenken äußerte Steiner auch gegen die Reformpläne, alle in der gesetzlichen Krankenversicherung anerkannten Schutzimpfungen mit Totimpfstoffen für Erwachsene auf die Apotheken auszudehnen. „Die Durchführung einer Impfung ist nicht ohne Grund eine originär ärztliche Aufgabe. Beim Eintritt einer Impfreaktion, die mit erheblichen gesundheitlichen Gefährdungen verbunden sein kann, ist eine sofortige Behandlung erforderlich, die heilkundliche Fachkenntnisse verlangt“, warnte sie.
Steiner bezweifelte, dass sich durch den Einbezug von Apotheken die Impfquote verbessern lässt und verwies auf den bereits niederschwelligen Zugang zu Impfberatungen und Impfungen in den 100.000 Vertragsarztpraxen in Deutschland.
Mehrbelastung für Praxen nach Apothekenberatung
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die im Referentenentwurf neu aufgeführten pharmazeutischen Dienstleistungen, die auch Maßnahmen zur Prävention und Früherkennung beispielsweise von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus umfassen. „Ärzten vorbehaltenen Leistungen sollen jetzt Apotheker übernehmen, ohne dass diese dafür ausgebildet sind“, sagte Steiner und fügte hinzu: „Dies stellt eine Verschiebung der Grenze zwischen ärztlicher und pharmazeutischer Tätigkeit und einen Verstoß gegen den Arztvorbehalt für die Ausübung von Heilkunde dar.“
Steiner verwies auf einen weiteren Aspekt: „Es besteht die große Gefahr einer ungerechtfertigten Leistungsausweitung durch nicht evidenzbasiertes anlassloses Testen ohne Koordination mit der Arztpraxis.“ Es sei absehbar, dass die Ergebnisse von Testungen in Apotheken zu einem erhöhten Beratungsaufwand und zu Kontrolluntersuchungen in Arztpraxen führen würden.
Das sollen Apotheken anbieten dürfen
Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Apothekenversorgung sieht unter anderem neue Befugnisse für Apotheken vor, die originär ärztliche Aufgaben sind.
Arzneimittelabgabe ohne neues Rezept
- Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung bei akuten, unkomplizierten Erkrankungen gemäß Rechtsverordnung
- Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung zur Anschlussversorgung in dringenden Fällen
- Voraussetzung: Patient muss das Medikament mindestens vier Quartale infolge verordnet bekommen haben (z. B. bei chronischen Erkrankungen), nur die kleinste Packungsgröße (N1) darf einmalig abgegeben werden
- Ausnahmen: u. a. Arzneimittel mit den Wirkstoffen Lenalidomid, Pomalidomid oder Thalidomid, Arzneimittel mit hohem Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial (z. B. Betäubungsmittel, Opioide), Hypnotika, Sedativa und Anxiolytika
Schutzimpfungen nicht nur gegen Grippe
- Durchführung aller in der gesetzlichen Krankenversicherung anerkannten Schutzimpfungen mit Totimpfstoffen bei Erwachsenen (z. B. gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten)
Beratung zur Früherkennung von Krankheiten
- Beratung mit Messungen zu Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus
- Beratung zur Prävention tabakassoziierter Erkrankungen
- erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation
- pharmazeutisches Medikationsmanagement bei komplexer oder neu verordneter Dauermedikation
- pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten
- pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie
- erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Üben der Inhalationstechnik
- erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Autoinjektoren
standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck
Austausch von Rabattarzneimitteln
- Abgabe eines in der Apotheke vorrätigen Arzneimittels, wenn das Rabattarzneimittel nicht verfügbar ist
Ausnahme vom Werbeverbot
- Werbung für die Durchführung von Testungen für den Nachweis von meldepflichtigen Krankheiten oder durch meldepflichtige Krankheitserreger verursachte Infektionen, um breitflächige und niederschwellige Testungen in Apotheken zu erleichtern