Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie
Bei Menschen, die künstlich beatmet werden oder die eine Trachealkanüle haben, kann es jederzeit zu lebensbedrohlichen Situationen kommen. Deshalb ist die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft erforderlich.
Patienten, die außerklinische Intensivpflege benötigen, wurden bisher im Rahmen der häuslichen Krankenpflege versorgt. Durch das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz wurde festgelegt, dass die außerklinische Intensivpflege eine eigene Leistung ist (§ 37c SGB V).
Grundlage für die Verordnung ist seit 1. Januar 2023 die Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Bei der Verordnung muss eine Erhebung des Entwöhnungspotenzials vorliegen und ein Behandlungsplan erstellt werden – beides neue ärztliche Aufgaben. Für die Erhebung und Verordnung ist eine besondere Qualifikation nachzuweisen.
Ablauf und ärztliche Qualifikation
Bevor sie beatmeten und trachealkanülierten Patienten außerklinische Intensivpflege verordnen, sollen Ärzte prüfen, ob eine Potenzialerhebung für eine Entwöhnung vorliegt. Voraussichtlich ab 1. Januar 2025 wird die Potenzialerhebung dann verpflichtend sein.
Die Potenzialerhebung ist mindestens alle sechs Monate durchzuführen und darf zum Zeitpunkt der Verordnung nicht älter als drei Monate sein.
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- Hausärzte und alle weiteren Vertragsärzte mit Kompetenzen im Umgang mit beatmeten oder trachealkanülierten Patienten. Sie benötigen eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung, die sie beantragen müssen.
- Fachärzte mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin / für Innere Medizin und Pneumologie / für Anästhesiologie / für Neurologie / für Kinder- und Jugendmedizin. Sie benötigen keine Genehmigung.
- Fachärzte mit Genehmigung zur Potenzialerhebung. Sie benötigen eine Genehmigung für die Potenzialerhebung, aber keine für die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege.
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- Fachärzte mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin / für Innere Medizin und Pneumologie / für Anästhesiologie mit mindestens sechsmonatiger einschlägiger Tätigkeit in einer spezialisierten Beatmungsentwöhnungs-Einheit / für Innere Medizin, Chirurgie, Neurochirurgie, Neurologie oder Kinder- und Jugendmedizin mit mindestens 12-monatiger einschlägiger Tätigkeit in einer Beatmungsentwöhnungs-Einheit
- weitere Fachärzte mit mindestens 18-monatiger einschlägiger Tätigkeit in einer spezialisierten Beatmungsentwöhnungs-Einheit
- bei nicht beatmeten Patienten auch Fachärzte mit mindestens 18-monatiger einschlägiger Tätigkeit in einer stationären Einheit der neurologisch-neurochirurgischen Früh-Reha
Für die Potenzialerhebung ist eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung erforderlich.
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- Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit der Zusatzbezeichnung Kinder- und Jugend-Pneumologie
- Fachärzte mit jeweils einschlägiger Tätigkeit in der Behandlung von langzeitbeatmeten oder trachealkanülierten, nicht beatmeten Kindern und Jugendlichen auf einer hierfür spezialisierten stationären Einheit, in einer entsprechend hierfür spezialisierten Hochschulambulanz oder in einem entsprechend hierfür spezialisierten sozialpädiatrischen Zentrum:
- Fachärzte für Anästhesiologie: mindestens sechs Monate Tätigkeit
- Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin: mindestens zwölf Monate Tätigkeit
- weitere Fachärzte: mindestens 18 Monate Tätigkeit
Bei jungen Volljährigen kann die Erhebung bei einschlägiger Tätigkeit in der Behandlung von langzeitbeatmeten oder trachealkanülierten, nicht beatmeten Versicherten in einem hierfür spezialisierten medizinischen Behandlungszentrum zusätzlich erfolgen durch:
- Fachärzte für Anästhesiologie: mindestens sechs Monate Tätigkeit
- weitere Fachärzte: mindestens 18 Monate Tätigkeit
Für die Potenzialerhebung ist eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung erforderlich.
Ärzte, die sowohl zur Verordnung als auch zur Potenzialerhebung qualifiziert sind, können beide Aufgaben übernehmen.
Ein „Vier-Augen-Prinzip“ besteht für die Fälle, bei denen voraussichtlich langfristig kein Beatmungsentwöhnungs- oder Dekanülierungspotenzial vorliegt und damit auch die regelmäßige Potenzialerhebung nicht notwendig wird. Hier gilt: Wer verordnet, darf nicht das Potenzial erheben und umgekehrt.
Übergangsregelung zur Potenzialerhebung
Bis zum 31. Dezember 2024 wird die bisher verpflichtende Vorgabe zur Potenzialerhebung in der AKI-Richtlinie durch eine befristete „Soll“-Regelung ersetzt.
Falls also nicht gewährleistet werden kann, dass eine zur Potenzialerhebung qualifizierte Person vor der Verordnung rechtzeitig zur Verfügung steht, kann von einer Potenzialerhebung ausnahmsweise abgesehen werden. Dies ist ärztlich auf dem Verordnungsvordruck (Muster 62B) unter „Weitere Erläuterungen" zu dokumentieren.
Formulare und Ausfüllhinweise
Für die Verordnung außerklinischer Intensivpflege sowie für Erhebung und Behandlungsplan gelten seit 1. Januar 2023 neue Formulare:
- Ergebnis der Erhebung: Formular 62A
- Verordnung: Formular 62B
- Behandlungsplan: Formular 62C
Versicherte reichen die Formulare bei ihrer Krankenkasse zur Genehmigung ein. Wie bei anderen gesetzlichen Leistungen müssen sie sich anteilig an den Kosten beteiligen (gesetzliche Zuzahlungspflicht).
Durch eine Übergangsregelung darf die außerklinische Intensivpflege bis 30. Oktober 2023 weiterhin auf dem Formular 12 für die häusliche Krankenpflege verordnet werden.
Abrechnung und Vergütung
Hierzu wurde der Abschnitt 37.7 in den EBM aufgenommen. Die neuen Gebührenordnungspositionen (GOP) im Zusammenhang mit der Potenzialerhebung wurden bereits zum 1. Dezember 2022 eingeführt. Die GOP für Verordnung, Koordination und Fallkonferenz sind seit 1. Januar 2023 berechnungsfähig.
Die neuen Leistungen im Überblick
Seit 1. Dezember 2022 im EBM
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Beschreibung
- Potenzialerhebung (gemäß § 5 der AKI-Richtlinie) auf Formular 62A, einmal im Behandlungsfall (=Quartal)
Bewertung
- 257 Punkte / 28,95 Euro
- ab 2023: 29,53 Euro
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Beschreibung
- Zuschlag zur GOP 37700 bei Durchführung der Erhebung im Rahmen eines Besuchs nach GOP 01410 oder 01413, je weitere vollendete 10 Minuten, höchstens dreimal im Behandlungsfall
Bewertung
- 128 Punkte / 14,42 Euro
- ab 2023: 14,71 Euro
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Beschreibung
- Zuschlag zur GOP 37700 für Schluckendoskopie
Bewertung
- 294 Punkte / 33,12 Euro
- ab 2023: 33,79 Euro
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Beschreibung
- Zuschlag zur GOP 37700 für Bestimmung des Säurebasenhaushalts und Blutgasanalyse
Bewertung
- 84 Punkte / 9,46 Euro
- ab 2023: 9,65 Euro
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Beschreibung
- Grundpauschale im Zusammenhang mit der GOP 37700 für Ärzte und Krankenhäuser gemäß § 5 Absatz 2 Satz 2 der AKI-Richtlinie, einmal im Behandlungsfall
Bewertung
- 159 Punkte / 17,91 Euro
- ab 2023: 18,27 Euro
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Beschreibung
- Pauschale für die konsiliarische Erörterung und Beurteilung medizinischer Fragestellungen durch einen konsiliarisch tätigen Arzt, einmal im Behandlungsfall
Bewertung
- 106 Punkte / 11,94 Euro
- ab 2023: 12,18 Euro
Seit 1. Januar 2023 im EBM
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Beschreibung
- Verordnung auf Formular 62B und Behandlungsplan auf Formular 62C, höchstens dreimal im Krankheitsfall
Bewertung
- 167 Punkte / 19,19 Euro
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Beschreibung
- Zuschlag zur Versichertenpauschale oder Grundpauschale für den die außerklinische Intensivpflege koordinierenden Vertragsarzt (gemäß § 12 Abs. 1 der AKI-Richtlinie), einmal im Behandlungsfall
Bewertung
- 275 Punkte / 31,60 Euro
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Beschreibung
- Fallkonferenz gemäß § 12 Absatz 2 der AKI-Richtlinie, höchstens achtmal im Krankheitsfall
Bewertung
- 86 Punkte / 9,88 Euro
Hinweise:
- Die Leistungen zur außerklinischen Intensivpflege werden extrabudgetär vergütet.
- Voraussetzung für die Berechnung ist, dass die Leistungen nach den Vorgaben der Außerklinischen Intensivpflege-Richtlinie ausgeführt werden.
- Außerdem ist für die Berechnung einiger GOP eine bestimmte Qualifikation nachzuweisen beziehungsweise eine Genehmigung bei der Kassenärztlichen Vereinigung zu beantragen (siehe Ablauf und ärztliche Qualifikation).
Fortbildung und Genehmigung
Hausärzte benötigen eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung, wenn sie außerklinische Intensivpflege verordnen wollen. Bei der Antragstellung müssen sie bestätigen, dass sie über Kompetenzen im Umgang mit beatmeten oder trachealkanülierten Versicherten verfügen oder sich diese innerhalb von sechs Monaten aneignen.
Die Qualifikation kann durch CME-Fortbildungen der KBV erlangt werden. Die Teilnahmebescheinigungen werden bei der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung eingereicht, um die erforderlichen Kompetenzen im Umgang mit beatmeten oder trachealkanülierten Versicherten nachzuweisen.
Die von der Ärztekammer Berlin mit insgesamt neun CME-Punkten zertifizierte Online-Fortbildung „Außerklinische Intensivpflege“ umfasst drei Teile:
- Teil 1 beinhaltet die Module „Krankheitsbilder“ und „Weaning – Beatmungsentwöhnung und Dekanülierung“,
- Teil 2 die Module „Hilfsmittel in der außerklinischen Intensivpflege – Beatmungsgeräte und Zubehör“ sowie „Therapieoptimierung“ und
- Teil 3 das Modul „besondere Versorgungssituationen“.
Jeder Teil setzt sich aus den Lerninhalten und jeweils zehn Multiple-Choice-Prüfungsfragen zusammen.
Die Fortbildungen sind mit jeweils drei CME-Punkten zertifiziert und im Fortbildungsportal der KBV verfügbar.
Empfehlungen des GKV-Spitzenverbands
Der GKV-Spitzenverband legt zusammen mit den Spitzenorganisationen der Pflege Empfehlungen unter anderem zu den Qualifikationen von Pflegefachkräften, zu strukturellen Anforderungen an Wohneinheiten und zur Zusammenarbeit zwischen Pflege und Ärzteschaft fest.