Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
Weihnachten steht vor der Tür. Vielleicht suchen Sie noch ein Weihnachtsgeschenk? Wie wäre es mit Deutschlands neuer offizieller 50-Euro-Goldmünze zum Thema „Gesundheit“? Das limitierte Stück ist ab einem Startpreis von 1.099 Euro zu haben. Ja, das gibt es wirklich! Deutschlands offizielle 50-Euro-Sammlermünze „Gesundheit“ aus reinstem Feingold ist Teil der fünfteiligen Serie „Deutsches Handwerk“. Ein „wertbeständiges Sammlerstück und sicherer Hafen in Krisenzeiten!“, verspricht die Werbung. Vielleicht auch ein Tipp für das Bundesgesundheitsministerium, wo man derzeit händeringend nach Geld für die klammen Sozialkassen sucht.
Aber vielleicht wäre das auch zu viel des Guten – bei den akademischen Gesundheitsberufen ist ja eher Blech als Gold angesagt. Der Plan, das sogenannte „kleine Sparpaket“ für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im Rahmen des „Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege“, kurz BEEP, Ende November durch den Bundesrat zu bringen, ist bekanntermaßen krachend – und offensichtlich zumindest für Bundesgesundheitsministerin Nina Warken überraschend – gescheitert. Zuvor hatte die Ministerin noch die Beitragsstabilität als „das übergeordnete Ziel“ ausgegeben und dann die Krankenhäuser als geeignete Ansatzpunkte ausgemacht. Bis dahin noch alles richtig gemacht, würde ich sagen. Ärztinnen und Ärzte seien nicht an der Reihe, sie hätten ihren Beitrag zum Sparkurs bereits geleistet, so die Ministerin. Auch da hat sie recht. Denn bekanntermaßen haben wir bei den Finanzierungsverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband für das kommende Jahr eine Erhöhung des Orientierungswertes um 2,8 Prozent ausgehandelt, obwohl aufgrund der Kostensteigerungen in den Arztpraxen das Doppelte gerechtfertigt gewesen wäre – ein schwieriger Kompromiss, lediglich aufgrund äußerst knapper Kassen. Allein damit hat der vertragsärztliche Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung für das Jahr 2026 Einsparungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro ermöglicht.
Und auch rückblickend haben wir bereits einen, wenngleich unfreiwilligen, Beitrag geleistet – wie wir es im Übrigen seit 30 Jahren tun. Allein im Jahr 2024 haben die vertragsärztlichen Praxen aufgrund der gedeckelten Gesamtvergütung Leistungen im Wert von circa 2,7 Milliarden Euro nicht bezahlt bekommen. Durch die Entbudgetierung der allgemeinen hausärztlichen Versorgung einschließlich Hausbesuche reduziert sich dieser Betrag zwar, es bleiben aber immer noch 2,3 Milliarden Euro, die die Krankenkassen auf Kosten der Praxen gespart haben. Übersetzt heißt das: 13 Prozent der Termine im fachärztlichen Versorgungsbereich finden ohne Bezahlung statt – das sind fast 43 Millionen Termine. Gratis!
Diese Ersparnis motiviert die SPD offensichtlich, getreu dem Motto „wäre doch gelacht, wenn man diese Zitrone nicht noch mehr ausquetschen könnte“, gleich noch einmal 400 Millionen Euro bei den Fachärzten kürzen zu wollen. Eigentlich finde ich, wir als Ärzteschaft sollten hier auch noch viel konsequenter sparen – wir sparen uns in Zukunft einfach diese 43 Millionen Termine. Geld gibt es dafür eh nicht. Lesen Sie lieber ein gutes Buch – im Rahmen einer modernen Arbeitskultur der Work-Life-Balance sicherlich eine überlegenswerte Option.
Alles andere als Work-Life-Balance waren die beiden politischen Anhörungen zum BEEP, an denen die KBV teilgenommen hat. Dort gab es keinerlei inhaltlichen Austausch, keine Fragen der Abgeordneten – aber im Hintergrund wurden klandestin Papiere mit Einsparvorschlägen auf unsere Kosten erarbeitet. Ist das die neue politische Realität der Bundesregierung in Fragen der Versorgungssicherheit?
Die Politik verweigert sich auch in anderen Bereichen der politischen Realität, zum Beispiel wenn es um Krankenhausschließungen geht. Da spielt Geld anscheinend keine Rolle, wie folgendes Beispiel zeigt. Der idyllische Landkreis Gifhorn/Peine zwischen Hannover und Braunschweig hatte bisher ein Krankenhaus, das ziemlich in die Jahre gekommen ist. Wahrscheinlich ist der Bedarf auch überschaubar, möglicherweise weil es sowohl in Braunschweig als auch in Hannover Maximalversorger und in Hannover sogar eine Uniklinik gibt. Das Krankenhaus im Wahlkreis von Hubertus Heil zu schließen war dennoch natürlich keine Option. Deshalb bekommt Peine jetzt einen schnuckeligen kleinen Neubau mit 250 Betten und das zum Black-Week-Spottpreis von schlappen 462 Millionen Euro, wenn man der Website myDRG.de glauben darf. Dafür reichen die 400 Millionen Euro Ersparnis aus den TSVG-Vermittlungsfällen noch nicht ganz, aber die Kreativ- und Kampagnenabteilung der SPD-Führungsetage wird sich sicher noch etwas einfallen lassen.
Ministerin Warken hat angekündigt, spätestens ab 2027 in weiteren Bereichen des Gesundheitswesens sparen zu müssen. Durch die Blockade des BEEP im Bundesrat passiert das jetzt möglicherweise schon früher und wahrscheinlich nur in jenen weiteren Bereichen. Die Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion hatte schon vor Anrufung des Vermittlungsausschusses entsprechende Vorschläge formuliert. Diese sehen vor, den Sparbeitrag der Krankenhäuser gegenüber dem Vorschlag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zu verringern und im Gegenzug die Pharmaindustrie und die Niedergelassenen zu belangen. Unter anderem, wie bereits ausgeführt, mit einer „Bereinigung der Doppelvergütung bei Fachärzten“. Gemeint sind damit die extrabudgetären Zuschläge für Patienten mit dringendem Behandlungsbedarf, die entweder durch die Terminservicestelle oder von einem Hausarzt beziehungsweise einer Hausärztin an fachärztliche Kollegen vermittelt werden. Für die entsprechenden Fälle werden die weiterbehandelnden Fachärzte außerdem extrabudgetär, also ohne Abschläge, vergütet. Der Vorschlag der SPD-Fraktion lautet nun, die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung um jene Vermittlungsfälle zu bereinigen.
Zur Erinnerung: Die Zuschläge zur Terminvermittlung sowie die anschließende extrabudgetäre Vergütung der Fachärzte wurden seinerzeit eingeführt, um dem Wunsch der Bundesregierung nach mehr und schnelleren Terminen nachzukommen. Nachdem die sogenannte Neupatientenregelung 2023 unter Karl Lauterbach, der sie bei Einführung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) 2019 noch euphorisch gefeiert hatte, wieder einkassiert wurde, war dies, auf besonderen Wunsch von Minister a. D. Lauterbach, die letzte aus dem TSVG verbliebene Maßnahme, um Praxen bei einer schnelleren und zielgerichteten Versorgung von Patienten zu unterstützen. Mit anderen Worten: Diese Regelung war, auch explizit von Karl Lauterbach, als Anreiz für Praxen gedacht, trotz weiterhin bestehender Budgetierung mehr Patienten zu versorgen. Hier jetzt wieder den Rotstift anzusetzen, ist völlig widersinnig – die Vertragsärzteschaft wird auf die Rücknahme des Anreizes reagieren und die Diskussion um Terminknappheit und schlechte Versorgung wird voll aufgeheizt, trotz des Bekenntnisses der aktuellen Regierungskoalition für „bessere Steuerung“ und „schnellere Terminvergabe“ im Koalitionsvertrag.
Oder sind diese Ziele mittlerweile obsolet? Angesicht der Tatsache, dass das Thema Versorgungssteuerung von der Bundesregierung derzeit auf die lange Bank geschoben wird, könnte dieser Eindruck durchaus entstehen. Dabei müsste die Entwicklung genau in die entgegengesetzte Richtung gehen: Wenn man eine sinnvolle Steuerung und bei entsprechendem medizinischem Bedarf eine schnellere fachärztliche Versorgung erreichen möchte, müsste die logische Folge die Entbudgetierung aller entsprechenden fachärztlichen Leistungen sein. Das Ganze ist für eine möglicherweise überforderte Politik vielleicht verwirrend – ich versuche es noch einmal zusammenzufassen.
Jens Spahn, CDU, wollte mehr Facharzttermine – dafür wurden die Pflichtsprechstunden von 20 auf 25 erhöht, immerhin aber mit einer Zusatzvergütung für zusätzliche Termine. Das fand damals auch Karl Lauterbach gut. Dann wurde Lauterbach, SPD, selbst Minister und fand die Regelung auf einmal nicht mehr so überzeugend – wahrscheinlich, weil sie von Jens Spahn war. Also schaffte er sie wieder ab, förderte aber den Hausarztvermittlungsfall mit zusätzlichem Geld, weil das viel besser sei.
Jetzt ist Nina Warken, CDU, Ministerin und die SPD findet den Vorschlag des ehemaligen eigenen Ministers blödsinnig und will ihn wieder kassieren. Jetzt wird sich zeigen, ob es bei der CDU einen Funken Zuverlässigkeit und Seriosität gibt, um die fortlaufende Mehrarbeit der Praxen zumindest in Spurenelementen zu vergüten.
Übrigens: Die 25 Sprechstunden sind bei all diesen Änderungen natürlich nicht reduziert worden. Kommt es nun zu Kürzungen beim Honorar der Niedergelassenen, ohne zumindest gleichzeitig die Anforderungen an die kassenärztliche Tätigkeit zu reduzieren, wissen die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zumindest eines mit absoluter Sicherheit: Verlassen kann man sich auf die Politik nicht und daraus müssen wir unsere Konsequenzen ziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kommission des BMG zur Reform der GKV-Finanzierung hat mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen. Entgegen der Ankündigung im Koalitionsvertrag, hierbei auch die Sozialpartner zu beteiligen, wurden wieder einmal keine Praktiker aus der Versorgung oder eben Sozialpartner in die Kommission berufen, sondern ausschließlich die Welt der Wissenschaft und Vertreter des stationären Bereichs. Gleichwohl wurden wir als KBV gebeten, Vorschläge einzureichen – zusammen mit über 370 anderen Institutionen! Das haben wir getan. Wir befürworten beispielsweise einen Ausbau der Karenztage bei Arbeitsunfähigkeit auf generell drei Arbeitstage. Das wäre eine große Entlastung sowohl für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch für die Praxen und wäre überdies ein deutlicher Beitrag zum Bürokratieabbau.
Vorschläge wie eine „Praxisgebühr reloaded“, in der Form wie wir sie vor rund 20 Jahren schon einmal hatten, lehnen wir hingegen ab. Eine solche spült zwar Geld in die Kassen, wäre aber in der früheren Art und Weise sehr bürokratisch und würde kaum als Steuerungsinstrument taugen. Sehr viel zielführender wäre ein Steuerungsmechanismus über unterschiedliche Krankenkassentarife. Auch hier geht es keineswegs darum, den Menschen Leistungen vorzuenthalten, sondern um die Frage, ob sich die Patientinnen und Patienten steuern lassen wollen und wenn ja, das dann auch zu fördern. Die Entscheidung liegt beim Versicherten: Wer sich steuern lässt oder aber zusätzliche Leistungen wählt, kann dies über spezifische Krankenkassentarife gestalten – ohne das solidarische Grundprinzip infrage zu stellen. Schon heute bieten viele Krankenkassen unterschiedliche Tarife an, warum nicht solche? Hierüber wollen wir endlich mit der Politik in den Dialog kommen und ich hoffe, man wird uns im neuen Jahr nicht weiter vertrösten oder mit Scheinlösungen kommen.
Es ist unstrittig, dass die Beitragszahler nicht beliebig finanziell belastet werden können. Interessant ist aber, dass die SPD weiterhin konsequent die Herausnahme versicherungsfremder Leistungen aus der GKV verweigert. Diese würde ein Einsparpotenzial von rund 45 Milliarden Euro bedeuten! Aber einen solch konsequenten Schritt traut sich eine Bundesregierung mit Bärbel Bas als SPD-Schattenkanzlerin nicht zu. Allein die konsequente Finanzierung der Gesundheitsleistungen für Bürgergeldbeziehende würde rund zehn Milliarden Euro bringen. Deshalb unterstützen wir als KBV auch die entsprechende Klage des GKV-Spitzenverbandes, die mittlerweile eingereicht wurde. Der Staat fordert Sparmaßnahmen in allen Bereichen, kommt aber seiner eigenen Fürsorgepflicht nicht nach, und das auf Kosten der Solidargemeinschaft. Übrigens: Der Bund der Steuerzahler hat festgestellt, dass der aktuelle Deutsche Bundestag der teuerste aller Zeiten sei – trotz weniger Abgeordneter. Hier gäbe es sicher auch noch Sparpotenzial.
Wir müssen bei dem Thema Leistungskapazitäten der GKV den Finger in die Wunde legen und auch ich persönlich werde das weiter tun, auch wenn das zu der einen oder anderen verkürzten Schlagzeile führt. Ich stelle keine Sozialleistungen infrage, ich stelle nur die Frage, aus welchem Topf diese Leistungen finanziert werden. Ich frage mich, ob hier wirklich die Solidargemeinschaft der Beitragszahler zuständig sein soll oder nicht eher andere Stellen, sofern der gesamtgesellschaftliche Konsens besteht, dass es alle diese Leistungen weiterhin geben soll. Auch Vorschläge wie die der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die beitragsfreie Familienmitversicherung für Ehepartner auf den Prüfstand zu stellen, ist ein diskussionswürdiger Vorschlag in dieser wichtigen gesellschaftlichen Debatte. Wenn wir am Solidargedanken festhalten wollen – und ich denke, das wollen die allermeisten –, dann darf dieser nicht überstrapaziert werden und muss gegebenenfalls auch an aktuelle Entwicklungen angepasst werden. Selbst Bündnis 90/Die Grünen haben auf ihrem Bundesparteitag letzte Woche beschlossen, dass Homöopathie nicht länger von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden soll. Sie haben die Zeichen der Zeit erkannt.
Noch einmal: Es geht nicht automatisch um Leistungskürzungen per se, sondern um die Frage, wer am Ende was finanziert. Klar ist: Beitragserhöhungen sind nicht unendlich möglich, sie belasten Versicherte wie Arbeitgeber und gefährden damit die Wirtschaftsleistung. Also müssen wir an die Ausgabenseite ran. Und hier genügt ein Blick auf die Zahlen. Im Jahr 2024 waren die Ausgaben der GKV für Behandlungsfälle im Krankenhaus mehr als doppelt so hoch wie im ambulanten Bereich. In den Praxen wurden aber ungefähr 35-mal so viele Fälle versorgt. Wir sind nicht der Kostentreiber im Gesundheitswesen und wir sind ganz sicher nicht der Bereich, wo sich große Summen einsparen lassen. Was nicht heißt, dass wir uns nicht an der Ausarbeitung von Ideen für eine Stabilisierung der GKV- Finanzen beteiligen. Eines muss aber auch klar sein: Nur weil sich niemand an echte Sozialreformen traut, kann es nicht sein, dass die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen die Zeche zahlen, indem sie fröhlich weiter millionenfach umsonst Leistungen erbringen.
Was wir ganz klar nicht unterstützen, sind die Vorschläge aus dem kürzlich öffentlich gewordenen Sparpaket der Krankenkassen, das ja ehrlich gesagt schon etwas Wahnhaftes hat. Statt dafür zu sorgen, dass nun endlich auch Fachärzte ihre Arbeit vollständig bezahlt bekommen, fordern die Kassen ernsthaft, die Entbudgetierung von Haus- und Kinderärzten rückgängig zu machen. Dabei wissen sie sehr gut, dass 97 Prozent der Versorgung von ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen gestemmt werden. Nicht von Krankenhäusern, nicht von Apotheken und auch nicht von Discountern! Sollte dieses Szenario Realität werden, werden sich die Menschen in unserem Land verwundert die Augen reiben, wie schnell ein substanzieller Anteil von Haus-, Kinder- und Fachärzten sich in den verdienten Ruhestand verabschiedet und das Wort Wartezeit auf einen Termin eine ganz neue Bedeutung erfährt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Reformen sind dringend nötig, das bestreitet niemand, und wenn man inhaltlich sinnvoll reformieren will, macht es auch Sinn, mit denjenigen zu sprechen, die diese Reformen umsetzen müssen. Doch das passiert leider nicht – zumindest in diesem Punkt gibt es Kontinuität zu Karl Lauterbach.
Die schwarz-rote Koalition hat sich im Koalitionsvertrag vollmundig eine bessere Steuerung der Inanspruchnahme von Versorgung, mehr Effizienz und zielgerichteten Ressourceneinsatz auf die Fahne geschrieben – die derzeitigen Gesetzentwürfe, wie das Apothekenversorgung-Weiterentwicklungsgesetz, die Notallreform und andere, konterkarieren diese Ziele eher. Sie sorgen für immer mehr Parallelstrukturen und zusätzliche Angebote – vom Impfen in den Apotheken bis zum Hausbesuchsdienst rund um die Uhr.
Im Entwurf zur Notfallreform finden sich mehrere Vorschläge aus Wolkenkuckucksheim, auf die Stephan Hofmeister noch eingehen wird: 24/7 Fahrdienst, 24/7 Telemedizin, natürlich 24/7 digitale Ersteinschätzung, direkte Terminierung in den Praxen und so weiter. Wie immer ohne adäquate Finanzierung. Ich würde Ministerin Warken empfehlen, den Entwurf noch um verbindlichen Sonnenschein an 365 Tagen zur Vitamin-D-Aufnahme zu ergänzen. Eine Forderung, die auch alle toll fänden und die die gleiche Wahrscheinlichkeit auf Realisierung hätte – nämlich exakt null Prozent. Sinnvoller wäre beispielsweise, sich das gemeinsame Papier zur Notfallversorgung anzuschauen, dass die beiden Organisationen verfasst haben, die diese Reform letztlich umsetzen müssen, nämlich die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die KBV.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rettung naht: der Gesundheits-Check beim Discounter. Ein weiteres Instrument um die Praxen zu „entlasten“, ähnlich wie die Apotheken-Impfversuche und die geplante medizinische Beratung durch Nichtmediziner. Kann man machen, hat mit medizinischer Versorgung aber nichts mehr zu tun. Es soll bereits Infektionen nach einer Impfung in der Apotheke gegeben haben. Die ersten Gerichte beschäftigen sich aufgrund des Angebots der Drogeriemarktkette dm zum Augenscreening bereits mit der Frage, wie weit medizinische Standards im Einzelhandel gewahrt werden können. Nicht umsonst unterliegt die Ausübung von Heilkunde strengen Regularien und erfordert eine langjährige Aus- und Weiterbildung. Geradezu entlarvend sind Aussagen wie die der PR-Abteilung von Kaufland, wenn sie unverhohlen ihr neues telemedizinisches Angebot, das zurzeit in einem Modellprojekt in Süddeutschland erprobt wird, mit der möglichen „Ergänzung durch Präventionsangebote für Selbstzahler“ anpreist. Sprich, wenn der Kunde – ich sage bewusst nicht Patient – schon mal da ist, kann man ihm gleich noch Zusatzangebote wie beispielsweise einen sogenannten „Life-Style-Check-up“ mit auf die Rechnung setzen.
Unabhängig davon, wie das Ganze sich weiterentwickelt: Wenn Versorgung auf diese Weise immer weiter fragmentiert wird und jenseits der Kontrolle und Qualitätssicherung der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) stattfindet, müssen wir auch unsere Positionierung zum Sicherstellungsauftrag überdenken. Wir werden uns mit Sicherheit nicht zum Steigbügelhalter von Konzerninteressen mit fragwürdigem Nutzen für die Gesundheit der Menschen machen lassen und gleichzeitig tatenlos zusehen, wie die verbriefte medizinische Qualitätsarbeit, die tagtäglich in den Praxen geleistet wird, banalisiert und kannibalisiert wird, weil Konzerne den schnellen Euro machen wollen und andere gerne „Doktor“ spielen wollen.
Gute Versorgung lebt von Kooperation und von Teamarbeit – und hier lässt sich sicher noch einiges verbessern. Die Maßgabe muss aber sein: Jeder Beruf übernimmt das, wofür er ausgebildet ist. Heilberufliche Kompetenzen und Kernaufgaben dürfen nicht vermischt oder ausgetauscht werden. Kooperation bedeutet: gemeinsam stark, bei klarer Verantwortung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beschließen das Jahr an einem Punkt, an dem es längst nicht mehr um Gesundheitspolitik alleine geht, sondern um die Zukunftsfähigkeit unseres Sozialstaates insgesamt. Wenn man das Lavieren der Bundesregierung sieht, geht es wahrscheinlich bald um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Die Diskussion um die Rente ist nicht nur zu einer inneren Zerreißprobe für die CDU geworden, sondern für die Koalition insgesamt. Der Ball liegt im Bundestag. Die Regierung muss sich zusammenraufen und endlich liefern.
Bei der Vertreterversammlung im September habe ich noch über den von Friedrich Merz groß angekündigten „Herbst der Reformen“ gesprochen. Der war eher ein laues Lüftchen als ein kräftiger Wind der Veränderung. Jetzt erleben wir erst einmal einen kalten Winter. Vielleicht gibt es im neuen Jahr ein politisches Frühlingserwachen – das wäre wirklich zu hoffen. Wenn die Politik jetzt nicht den Mut zu wirklichen Reformen hat und weiter nur mit Absichtserklärungen arbeitet, wird das denjenigen politischen Kräften in die Hände spielen, die behaupten, dass „die da oben“ sowieso nicht mehr auf die Sorgen und Nöte der Menschen hören und nur noch in ihrer eigenen Welt agieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss möchte ich noch auf ein Thema zu sprechen kommen, das jenseits der aktuellen Tagespolitik liegt, uns als Vorstand aber sehr wichtig ist. Vor zwei Wochen hat die KBV, gemeinsam mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Bundesärztekammer, der Bundeszahnärztekammer und dem BMG zum 10. Mal den Herbert-Lewin-Preis für wissenschaftliche Forschungsarbeiten zur Rolle der Ärzteschaft im Nationalsozialismus vergeben. Den ersten Preis erhielt Dr. Dr. Lea Münch für ihre Arbeit „Innenansichten der Psychiatrie im Elsass zur Zeit des Nationalsozialismus. Lebensgeschichten zwischen Strasbourg und Hadamar“. Die Studie beleuchtet individuelle Schicksale psychiatrischer Patientinnen und Patienten. Mit dem zweiten Preis wurde Dr. Dana Derichs ausgezeichnet. Ihre Arbeit „Die Medizinstudentinnen der Universität Erlangen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus“ analysiert Lebenswege und Karrieren von Frauen in der Medizin.
Vor gut einem Jahr haben wir in den Räumen der KBV im Beisein ranghoher Gäste aus Deutschland und Israel die Wanderausstellung „Systemerkrankung. Arzt und Patient im Nationalsozialismus“ eröffnet, in der wir, in Kooperation mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, die Geschichte und das Erbe der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands in der NS-Zeit dokumentiert und aufgearbeitet haben. Seither hat die Ausstellung in zahlreichen KVen gastiert – aktuell ist sie in der KV Schleswig-Holstein, ab dem 5. Januar in Potsdam. Rund 5.000 Menschen haben die Ausstellung bislang besucht. Ich möchte mich an dieser Stelle für das große Engagement der gastgebenden KVen bei der Realisation vor Ort bedanken. Jede einzelne Eröffnung hat für mediale Aufmerksamkeit und mit besonderen Gästen – oftmals Zeitzeugen und deren persönlichen Erzählungen – für erschütternde und tief berührende Momente gesorgt. Noch bis Ende 2026 wird die Ausstellung durch Deutschland reisen. Um die Ergebnisse unseres Forschungsprojektes über die Dauer der Ausstellung hinaus zu wahren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wollen wir neben der bereits existierenden Website einen dauerhaften Erinnerungsort in der KBV, am Herbert-Lewin-Platz, schaffen. Hierzu werden wir Ihnen nachher einen Antrag vorlegen. Wir wollen damit ein weiteres sichtbares Zeichen setzten, dass wir als KBV unsere historische Verantwortung ernst nehmen und die Gräuel der Vergangenheit nie in Vergessenheit geraten dürfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Bundesregierung heute nicht den Boden bereiten will für neue radikale Kräfte – und sei es durch Unfähigkeit –, dann muss sie die Sorgen der Menschen ernst nehmen, aber auch die Herausforderungen derer erkennen und adressieren, die dieses Land am Laufen halten. Und dazu gehören eben auch all jene, die jeden Tag Millionen Menschen in den ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen behandeln und versorgen.
Die oft zitierte Brandmauer zur AfD bröckelt in vielen Bereichen; die AfD versucht ihrerseits, nicht wegzudiskutierende Probleme im Gesundheitswesen für sich zu kapern, um Stimmung gegen die etablierten Parteien zu machen und deren Lösungsunfähigkeit anzuprangern. Das dürfen weder die Parteien der Mitte noch wir als niedergelassene Ärzteschaft zulassen. Die Parteien der demokratischen Mitte müssen aber auch ihrer Verantwortung gerecht werden und „liefern“, um radikalen Rändern bei diesem gesellschaftlich wichtigen Thema nicht das Feld zu überlassen.
Wir grenzen uns klar gegen diejenigen vom linken und rechten Rand ab, die unser Land und unsere Gesellschaft verändern wollen – unsere Bundesregierung ist aktuell keine große Hilfe. Wir als ärztliche Selbstverwaltung stehen als verlässliche Partner für Lösungen jederzeit zur Verfügung. Unser Gesundheitssystem war immer – um das Zitat vom Anfang aufzugreifen – ein sicherer Hafen in Krisenzeiten. Jetzt müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Hafen nicht trockenfällt.
Vielen Dank
(Es gilt das gesprochene Wort.)