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KBV-Vorstand: „Es droht eine Bagatellisierung der Versorgung“

In höchstem Maß unzufrieden mit den Reformbemühungen der Bundesregierung zeigte sich der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bei der heutigen Vertreterversammlung in Berlin. Die Vorstände forderten die politisch Verantwortlichen auf, Konzepte und Vorschläge aus der Praxis zu berücksichtigen und zügig Ergebnisse zu liefern.

„Reformen sind dringend nötig, das bestreitet niemand. Und wenn man inhaltlich sinnvoll reformieren will, sollte man auch mit denjenigen sprechen, die diese Reformen umsetzen müssen. Doch das passiert leider nicht“, kritisierte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen. Er warnte davor, Reformen auf dem Rücken der Niedergelassenen umzusetzen und immer weiter bei den Arzt- und Psychotherapiepraxen sparen zu wollen. Gassen: „Nur weil sich niemand an echte Sozialreformen traut, kann es nicht sein, dass die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen die Zeche zahlen.”

Die Zahlen sprechen eine beredte Sprache. „Allein im Jahr 2024 haben die vertragsärztlichen Praxen aufgrund der gedeckelten Gesamtvergütung Leistungen im Wert von ca. 2,7 Milliarden Euro nicht bezahlt bekommen. Durch die Entbudgetierung der allgemeinen hausärztlichen Versorgung einschließlich Hausbesuche reduziert sich dieser Betrag zwar, es bleiben aber immer noch 2,3 Milliarden Euro, die die Krankenkassen auf Kosten der Praxen gespart haben. Übersetzt heißt das: 13 Prozent der Termine im fachärztlichen Versorgungsbereich finden ohne Bezahlung statt – das sind fast 43 Millionen Termine. Gratis!”, rechnete der KBV-Chef vor.

Für die Reform der GKV-Finanzierung stellte er klar, dass es nicht automatisch um Leistungskürzungen per se gehe, sondern um die Frage, wer am Ende was finanziere. „Klar ist: Beitragserhöhungen sind nicht unendlich möglich. Also müssen wir an die Ausgabenseite ran“, konstatierte Gassen. „Im Jahr 2024 waren die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Behandlungsfälle im Krankenhaus mehr als doppelt so hoch wie im ambulanten Bereich. In den Praxen wurden aber ungefähr 35-mal so viele Fälle versorgt. Wir sind nicht der Kostentreiber im Gesundheitswesen und wir sind ganz sicher nicht der Bereich, wo sich große Summen einsparen lassen. Was nicht heißt, dass wir uns nicht an der Ausarbeitung von Ideen für eine Stabilisierung der GKV-Finanzen beteiligen.“

Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender KBV-Vorstandsvorsitzender, kritisierte, dass dringende Strukturreformen, die schnell zu einer Entlastung führen könnten, auf sich warten ließen. „Das meiste, was an Gesetzgebung in Aussicht steht, macht den Praxen das Leben nicht leichter, im Gegenteil“, sagte der KBV-Vize. Zwar seien einige Gesetze in der Pipeline. „Aber: Die wirklich wichtigen, grundsätzlichen Fragen, wie etwa die einer besseren Steuerung der Versorgung, werden bislang nicht angegangen“, so Hofmeister. Krankenhausreform, Notfallreform, Steuerung – das seien die großen Themen, die jetzt zu Ende gebracht werden müssten. Dabei warnte Hofmeister vor „Pseudolösungen“ mit dem Ziel, mangelnde Arztzeit auffangen zu wollen, indem andere Gesundheitsberufe oder -angebote bis hin zum Einstieg von Supermärkten oder Drogeriemarktketten diese ersetzen sollen. Sein klares Fazit: „Es droht nicht nur eine Spirale der Deprofessionalisierung im Gesundheitswesen, sondern auch eine Bagatellisierung von Versorgung.“

Den Referentenentwurf für die Notfallreform beurteilte der KBV-Vize skeptisch: „Der vorliegende Entwurf des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) enthält vernünftige Grundideen, aber in der Ausarbeitung setzt er strukturelle Fehlanreize und wurde offenkundig ohne eine realistische Einschätzung der vorhandenen Ressourcen formuliert.“ Dass beispielsweise noch mehr Integrierte Notfallzentren (INZ) errichtet werden sollen oder die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) einen fahrenden Dienst rund um die Uhr gewährleisten sollen, lehnte er ab. „Wir brauchen nicht noch weitere Versorgungsebenen und Versorgungsangebote, die den Menschen suggerieren, dass jeder jederzeit machen kann, was er oder sie will. Im Gegenteil: Wir brauchen endlich stringente Steuerung!“, so Hofmeister.

KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner schlug mit Bezug auf die Apothekenreform in dieselbe Kerbe: Der Gesetzentwurf schaffe neue, unnötige Versorgungsangebote und „eine gefährliche Verschiebung von Kompetenzen, die voller Risiken für Patienten und für die Wirtschaftlichkeit der Versorgung ist“, so Steiner. „Gerade ärztliche Diagnostik, Indikationsstellung und Therapie sind eben keine Bausteine, die nach Belieben in andere Hände gelegt werden dürfen.“ Den Apothekern fehle für das Impfen, für die Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente ohne ärztliche Verordnung und weitere ärztliche Aufgaben schlicht eines: die ärztliche Kompetenz. Tatsächliche Chancen, den Zugang zur Versorgung zu verbessern, sehe die KBV dagegen etwa in automatisierten Abgabestationen oder der direkten Medikamentenabgabe nach telepharmazeutischer Beratung, wenn Patienten in Notdienstpraxen oder beim Hausbesuch ein Medikament dringend benötigten. Dies habe man dem BMG nun auch im Rahmen der Notfallreform vorgeschlagen.

Auch in anderen Bereichen stellte Steiner fest, dass Anspruch und Wirklichkeit unter der schwarz-roten Koalition noch weit auseinanderliegen. So solle etwa die Digitalisierung theoretisch Versorgung entlasten und verbessern, praktisch bewirkten technische Ausfälle und der massenhafte Austausch von Komponenten der Telematikinfrastruktur (TI) aber das genaue Gegenteil. „Digitalisierung darf die Praxen nicht zu technischen Reparaturbetrieben machen“, kritisierte sie. Dabei sei der ambulante Bereich Vorreiter bei der Digitalisierung: „Digitalisierung ist in den Praxen im Gegensatz zu den Krankenhäusern kein Zukunftsversprechen, sondern gelebte Gegenwart.“ In den Praxen stünden Faxgeräte vor allem, um weiterhin mit den Kollegen in den Kliniken kommunizieren zu können.

Sie stellte zudem klar, dass Digitalisierung und Vernetzung auch für Steuerung und Terminmanagement unerlässlich sind. Der Patientenservice 116117 der KVen könne hier – und die Politik wünsche dies auch – eine zentrale Rolle übernehmen. Der dafür notwendige Aufbau der Infrastruktur bedürfe einer entsprechenden finanziellen Ausstattung aus staatlichen Mitteln. Steiner: „Die Finanzierung der 116117 zu einem Instrument der Daseinsvorsorge aus der Vergütung der ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen lehnen wir ab.“

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