Klartext

„Brauchen eine Politik, die Freiberuflichkeit schützt und fördert“

BFB-Präsident und KBV-Vize Dr. Hofmeister im Interview

Dr. Stefan Hofmeister im Interview

Hausarzt Dr. Stephan Hofmeister vertritt neben den Kassenärzten auch die Freiberufler insgesamt: als Präsident des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB). Im Klartext-Interview spricht er über die Resilienz dieses großen Wirtschaftszweigs, Gründungskultur und die Gemeinsamkeiten von Ärzten und Anwälten.

Dr. Hofmeister, wie hat sich die Situation der freien Berufe in den letzten Jahren verändert, insbesondere im Gesundheitswesen?

Die freien Berufe stehen unter immer größerem Druck. Während früher die Freiberuflichkeit mit einem hohen Maß an Selbstbestimmung und Eigenverantwortung verbunden war, sehen wir heute eine zunehmende Reglementierung, steigende Bürokratie und eine stärkere Einflussnahme durch staatliche Vorgaben. Im Gesundheitswesen wird dies besonders deutlich: Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte müssen sich mit einer wachsenden Flut an administrativen Aufgaben auseinandersetzen, die sie von der eigentlichen Patientenversorgung abhält.

Gleichzeitig beobachten wir eine zunehmende Kapitalisierung des Gesundheitsmarktes, etwa durch renditeorientierte Investoren, die Medizinische Versorgungszentren (MVZ) betreiben. Das gefährdet die freiberufliche, patientenzentrierte Versorgung.

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie derzeit für freiberuflich tätige Ärzte und andere Freiberufler?

Die größten Herausforderungen sind der Bürokratieaufwand, der Nachwuchsmangel und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Freiberufliche Ärztinnen und Ärzte investieren viel Zeit in Dokumentationen, Abrechnungen und gesetzliche Vorgaben – Zeit, die für die Patientenversorgung fehlt.

Gleichzeitig fällt es immer schwerer, junge Ärztinnen und Ärzte für eine Niederlassung zu begeistern, da die Unsicherheiten und finanziellen Risiken hoch sind. Ähnliche Probleme sehen wir auch in anderen freien Berufen: Steuerberater kämpfen mit immer komplexeren Vorschriften, Anwälte mit einer Flut an Regulierungen. Die Freiberuflichkeit droht, durch übermäßige Auflagen ausgehöhlt zu werden.

Welche Parallelen sehen Sie zwischen den Herausforderungen, mit denen sich Ärzte konfrontiert sehen, und denen anderer freier Berufe wie Rechtsanwälte oder Architekten?

Die zentrale Parallele ist der wachsende Einfluss staatlicher Regulierung und die zunehmende Erschwerung der selbstständigen Berufsausübung. Ob Ärzte, Rechtsanwälte oder Architekten – alle kämpfen mit überbordender Bürokratie, steigenden Kosten und einer immer komplexeren Gesetzgebung.

Wir brauchen eine Politik, die die Freiberuflichkeit schützt und fördert, anstatt sie mit immer neuen Regulierungen auszuhöhlen.

Hinzu kommt die Herausforderung der Digitalisierung: Während sie große Chancen bietet, führt sie in vielen Bereichen zunächst zu mehr Verwaltungsaufwand, anstatt Prozesse zu erleichtern. Besonders problematisch ist aber die Verdrängung durch große Konzerne oder renditegetriebene Investoren, die sich in den freien Berufen etablieren und klassische Einzelpraxen oder Kanzleien unter Druck setzen.

Digitalisierung, Bürokratie und Nachwuchsmangel betreffen viele freie Berufe. Wie können Ärzte und andere Berufsgruppen hier voneinander lernen?

Ein wichtiger Punkt ist der Wissenstransfer: Wir sollten stärker branchenübergreifend zusammenarbeiten, um bewährte Lösungen auf andere freie Berufe zu übertragen. Beispielsweise gibt es in der Anwaltschaft digitale Dokumentations- und Abrechnungsmodelle, die auch für die Medizin interessant sein könnten.

Gleichzeitig können Ärzte von den Erfahrungen anderer Berufsgruppen in der Nachwuchsgewinnung profitieren – etwa durch gezielte Mentoring-Programme. Ein weiteres Beispiel ist der Kampf gegen überbordende Bürokratie: Wenn sich verschiedene Berufsverbände hier stärker zusammenschließen, könnten sie mehr politischen Druck aufbauen.

Was erwarten Sie von der Politik, um die Freiberuflichkeit in Deutschland zu stärken?

Wir brauchen dringend eine Entbürokratisierung und bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Freiberuflichkeit. Konkret heißt das: weniger administrative Vorgaben und eine faire Honorierung der Leistungen.

Zudem muss die Politik Gründungen und Niederlassungen wieder attraktiver machen, etwa durch bessere Förderprogramme. Und nicht zuletzt: Freiberufler brauchen Planungssicherheit – ständige Gesetzesänderungen und neue Regulierungen machen es schwierig, langfristige Entscheidungen zu treffen.

Welche konkreten Maßnahmen erwarten Sie von der nächsten Bundesregierung?

Die nächste Bundesregierung muss die Freiberuflichkeit endlich als das anerkennen, was sie ist: ein tragendes Element unserer Gesellschaft und insbesondere unseres Gesundheitssystems. Dafür braucht es konkrete Maßnahmen in mehreren Bereichen:

  1. Bürokratieabbau: Die Dokumentations- und Verwaltungsanforderungen müssen drastisch reduziert werden. Ein Praxisbeispiel für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ist die elektronische Patientenakte – sie sollte die Arbeit erleichtern, nicht neue bürokratische Hürden schaffen.
  2. Faire Vergütung und Honorarentwicklung: Die Budgetierung der ärztlichen Leistungen im ambulanten Bereich muss abgeschafft oder zumindest spürbar reformiert werden. Wer Patientinnen und Patienten versorgt, sollte für seine Arbeit auch angemessen entlohnt werden – ohne starre Deckelungen und finanzielle Unsicherheiten.
  3. Attraktivität der Niederlassung steigern: Junge Ärztinnen und Ärzte müssen stärker ermutigt werden, sich niederzulassen. Dazu gehören finanzielle Anreize, weniger bürokratische Hürden und ein verlässlicheres Abrechnungs- und Vergütungssystem. Auch gezielte Förderprogramme für Praxisgründungen in unterversorgten Regionen wären sinnvoll.
  4. Mehr Mitsprache für die freien Berufe: Entscheidungen, die die ärztliche Freiberuflichkeit betreffen, dürfen nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg getroffen werden. Die KBV und andere berufsständische Organisationen müssen stärker in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden.

Kurz gesagt: Wir brauchen eine Politik, die die Freiberuflichkeit schützt und fördert, anstatt sie mit immer neuen Regulierungen auszuhöhlen. Die nächste Bundesregierung hat es in der Hand, ob freie Berufe – und damit eine unabhängige, patientenorientierte Versorgung – auch in Zukunft eine tragende Rolle spielen können.

Die größten Herausforderungen sind der Bürokratieaufwand, der Nachwuchsmangel und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Freiberufliche Ärztinnen und Ärzte investieren viel Zeit in Dokumentationen, Abrechnungen und gesetzliche Vorgaben – Zeit, die für die Patientenversorgung fehlt.

Wie könnte sich die Freiberuflichkeit in den nächsten 10 bis 20 Jahren entwickeln? Sehen Sie hier eher Chancen oder Risiken?

Ich sehe sowohl Chancen als auch Risiken. Wenn wir es schaffen, die Freiberuflichkeit zu schützen und zu stärken, kann sie auch in Zukunft ein wichtiger Eckpfeiler unserer Gesellschaft bleiben. Gerade in der Medizin ermöglicht die freiberufliche Praxis eine patientennahe, unabhängige Versorgung.

Gleichzeitig gibt es Risiken: Wenn sich die aktuellen Entwicklungen fortsetzen – mit immer mehr staatlichen Vorgaben, wirtschaftlichem Druck und zunehmender Kommerzialisierung –, dann könnte die Freiberuflichkeit stark geschwächt werden. Das wäre ein großer Verlust, nicht nur für Ärzte, sondern für alle freien Berufe und letztlich für die Menschen, die von ihrer unabhängigen Arbeit profitieren.

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