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Gassen: Wer eine gute medizinische Versorgung will, muss die Praxen stärken – KBV-Chef erwartet harte Verhandlungen
Gassen verwies in einem Interview mit den PraxisNachrichten auf die steigenden Kosten insbesondere für das Personal sowie die hohe Inflation in den vergangenen Jahren. Im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen hätten die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten bisher keinen Inflationsausgleich erhalten, was zu realen Einkommensverlusten geführt habe. Die Oberarztgehälter in den Krankenhäusern seien im vorigen Jahr im Schnitt um 6,2 Prozent angehoben worden, fuhr er fort und sagte: „Diese Steigerung muss in die Festlegung des Orientierungswertes für 2026 einfließen.“
Ohne Personal können Praxen dichtmachen
Kräftig gestiegen sind außerdem die Kosten für nichtärztliches Personal, wie Gassen hervorhob. Auch hierfür bräuchten die Ärztinnen und Ärzte einen finanziellen Ausgleich, um ihre Medizinischen Fachangestellten (MFA) adäquat bezahlen zu können und auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu sein. Ansonsten könnten etliche Praxen bald dichtmachen. Schon heute fänden viele kein ausreichend qualifiziertes Personal mehr und müssten deshalb zum Beispiel ihre Sprechzeiten reduzieren. Positiv sei, dass für die Berechnung des Orientierungswertes (OW) die aktuellen Tarifsteigerungen für die MFA herangezogen werden dürften. Bei allen anderen Kosten werde jeweils die Entwicklung der Vorjahre betrachtet (siehe Infobox).
Gassen erwartet angesichts der angespannten Finanzlage in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) harte, aber faire Verhandlungen. Der Verhandlungsspielraum sei gering, unterstrich er. Denn anders als bei Tarifverhandlungen sei gesetzlich vorgeben, welche Faktoren für die OW-Anpassung zu berücksichtigen seien. Forderungen nach einer Nullrunde, wie sie von einer einzelnen Kasse erhoben wurden, erteilte er eine klare Absage.
Praxen behandeln 95 Prozent aller Fälle
Das Problem der GKV seien nicht die Ausgaben für die ambulante Versorgung. Einsparungen ließen sich beispielsweise über eine stärkere Ambulantisierung erzielen. Zudem müssten die Krankenkassen endlich von versicherungsfremden Leistungen entlastet werden, forderte der KBV-Chef. Er verwies auf eine Mitteilung des GKV-Spitzenverbandes, wonach den Krankenkassen allein durch die Versorgung von Bürgergeldempfängern jährlich rund zehn Milliarden Euro fehlten.
„Das Geld muss dahinfließen, wo die Versorgung stattfindet – in den Praxen. Dort werden rund 95 Prozent aller Behandlungsfälle versorgt für gerade mal 16 Prozent der GKV-Gesamtausgaben, betonte Gassen.
Verhandlungen zum Orientierungswert 2026
Bereits seit Wochen laufen auf der Arbeitsebene die vorbereitenden Beratungen von KBV und GKV-Spitzenverband zur Finanzierung der ambulanten Versorgung im nächsten Jahr. Am Dienstag kommen nun die Spitzen beider Parteien zur ersten Verhandlungsrunde im Bewertungsausschuss zusammen.
Bei den jährlich stattfindenden Finanzierungsverhandlungen geht es darum, wie viel Geld die gesetzlichen Krankenkassen im nächsten Jahr für die ambulante Versorgung bereitstellen. Dazu wird der bundeseinheitliche Punktwert als Orientierungswert an die gestiegenen Kosten und Investitionen der Praxen angepasst. Anders als bei Tarifverhandlungen gibt es für die OW-Verhandlungen gesetzliche Vorgaben, wie die Höhe der Anpassung festzulegen ist.
Die PraxisNachrichten werden über die Finanzierungsverhandlungen berichten.
Darum geht es bei den Verhandlungen
Bei den jährlichen Finanzierungsverhandlungen von KBV und GKV-Spitzenverband geht es darum, wie viel Geld die Krankenkassen im nächsten Jahr für die ambulante Versorgung bereitstellen. Im Mittelpunkt steht die Anpassung des Orientierungswertes an die gestiegenen Kosten und Investitionen der Praxen. Denn von der Höhe des Orientierungswertes hängt maßgeblich ab, wie die ärztlichen und psychotherapeutischen Untersuchungen und Behandlungen für gesetzlich krankenversicherte Patientinnen und Patienten vergütet werden.
Enger gesetzlicher Rahmen
Anders als bei Tarifverhandlungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern ist bei den Finanzierungsverhandlungen das Verfahren gesetzlich vorgegeben. Der Paragraf 87 Absatz 2g SGB V regelt, welche Faktoren für die Anpassung des Orientierungswertes zu berücksichtigen sind:
- die Entwicklung der für Arztpraxen relevanten Investitions- und Betriebskosten
- Möglichkeiten zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven
- die allgemeine Kostendegression bei Fallzahlsteigerungen
Entsprechend eng ist der Verhandlungsspielraum.
Bei der Anwendung dieser Anpassungsfaktoren wird jeweils die Kostenentwicklung der Vorjahre betrachtet. Für den Orientierungswert 2026 werden somit die Veränderungen der Kosten des Jahres 2024 gegenüber dem Jahr 2023 berücksichtigt. Neu seit vorigem Jahr ist, dass bei den Personalkosten aktuelle Daten herangezogen werden dürfen. So fließen die Tarifsteigerungen für Medizinische Fachangestellte für das Jahr 2025 in die Anpassung des Orientierungswertes für 2026 ein.
Verhandlungen im Bewertungsausschuss
Die Verhandlungen finden im Bewertungsausschuss statt, der paritätisch mit jeweils drei Vertretern der KBV und des GKV-Spitzenverbandes besetzt ist. Beide Seiten bringen vor Beginn der ersten Beratung einen Beschlussentwurf ein, über den dann verhandelt wird. Kommt eine Einigung nicht zustande, schalten sie den Erweiterten Bewertungsausschuss ein.
Entscheidung mit einfacher Mehrheit der Mitglieder
Im Unterschied zu einem Schlichter bei Tarifverhandlungen erfolgt die Festsetzung einer Vereinbarung durch den Erweiterten Bewertungsausschuss mit der einfachen Mehrheit seiner Mitglieder. Das Gremium setzt sich aus den Mitgliedern des Bewertungsausschusses erweitert um einen unparteiischen Vorsitzenden und zwei weitere unparteiische Mitglieder zusammen.
Veränderungsraten der Morbidität und Demografie
Im Rahmen der Finanzierungsverhandlungen werden auch regionalen Veränderungsraten der Morbidität und Demografie berechnet und vom Bewertungsausschuss für jeden KV-Bezirk empfohlen. Sie bilden neben dem Orientierungswert die Grundlage für die regionalen Vergütungsverhandlungen, die im Herbst beginnen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen verhandeln dann mit den Krankenkassen vor Ort, wie viel Geld diese im neuen Jahr für die ambulante Versorgung ihrer Versicherten in der Region bereitstellen.