Praxisnachricht
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KBV-Vorstand: Wir brauchen eine ehrliche Debatte darüber, was unser Gesundheitssystem leisten soll

Angesichts der Defizite in der gesetzlichen Krankenversicherung fordert der Vorstand der KBV eine klare Vorstellung seitens der Politik, wie das System nachhaltig finanziert werden soll. Dazu gehöre auch eine Bestandsaufnahme, wofür die GKV derzeit Geld ausgebe, sagte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, am Mittwoch vor Journalisten.

Gassen zufolge gibt es kein Einnahmen-, sondern vor allem ein Ausgabenproblem. Dies sei nicht bedingt durch die Ausgaben für die ambulante Versorgung, sondern eine Vielzahl versicherungsfremder Leistungen. Es sei nicht einzusehen, dass die Krankenkassen die Gesundheitsleistungen für Bürgergeldempfänger bezahlten, betonte er. Das sei Aufgabe des Staates.

Um das Gesundheitssystem effizienter zu gestalten, sei ein verantwortungsvoller Umgang aller mit den Ressourcen erforderlich, fuhr Gassen fort. Hier erwarte er mehr Ehrlichkeit von der Politik gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und, dass nicht länger der Eindruck erweckt werde, dass jeder auf alles in beliebigen Umfängen und jederzeit Anspruch hätte. „Wir brauchen Verbindlichkeit. Nicht immer nur für die Ärzte, auch für die Patienten“, forderte der KBV-Chef. Patienten, die zukünftig das Gesundheitssystem ohne jede Verbindlichkeit in Anspruch nehmen wollten, sollten beispielsweise mehr zahlen als andere. Möglich seien beispielsweise neue Tarife, die die Krankenkassen ihren Versicherten anböten.

Einsparpotenziale gebe es in gewissen Umfängen bei den gesetzlichen Krankenkassen selbst, etwa durch Effizienzsteigerungen, sagte Gassen und verwies auf eine aktuelle Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte zur Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung. Weiteres Einsparpotenzial hätten deren Experten durch den Ausbau der Digitalisierung, eine stärkere Ambulantisierung sowie bei den Medikamentenkosten aufgezeigt.

Zur Erhöhung der Einnahmenbasis plädiert Gassen für zusätzliche Abgaben auf Tabak und Alkohol, die zweckgebunden in den Gesundheitsfonds fließen sollten. „Das dient der Prävention und ergibt zusätzliche Finanzmittel“, sagte er.

Hofmeister: Patienten in die richtige Versorgungsebene bringen

Dass die derzeit viel diskutierte Patientensteuerung die ambulante Versorgung kostengünstiger machen werde, sei eher unwahrscheinlich, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Dr. Stephan Hofmeister. Allein die steigenden Preise für Medikamente und Diagnostik sprächen dagegen.

Tatsächlich könne die Steuerung aber dabei helfen, die Versorgung effizienter zu machen. „Nämlich dann, wenn wir den Patienten zur richtigen Zeit in die richtige Versorgungsebene bringen“, erläuterte er und fügte hinzu: „Besonders geeignet für eine Steuerung durch das komplexe System der Gesundheitsversorgung und langjährige Begleitung insbesondere chronisch Kranker sind natürlich hausärztliche Praxen.“ Hofmeister verwies auf die Vorschläge der KBV zur Patientensteuerung, die die Vertreterversammlung im Mai beschlossen hatte.

Klar sei aber auch, dass es Ausnahmen von der Steuerung geben müsse, sei es für den Besuch beim Augenarzt, beim Psychotherapeuten oder für chronisch Kranke, die sich regelmäßig in fachärztlicher Behandlung befänden. Ein Patient, der zur Dialyse gehe, müsse nicht nur für eine Überweisung den Hausarzt aufsuchen, sagte Hofmeister.

116117 in der Patientensteuerung

Für Akutfälle habe sich gezeigt, dass die Versorgungsplattform 116117 das passende Angebot sei, zeigte sich der Vorstand überzeugt. So habe eine Umfrage ergeben, dass immerhin 60 Prozent der Befragten die 116117 kennen, sagte der KBV-Vorsitzende. Da die Nummer explizit im Koalitionsvertrag Erwähnung gefunden habe, biete die KBV der Politik den Ausbau zu einer bundesweiten Plattform zur Terminvermittlung und Versorgungssteuerung an.

Unabdingbar hierfür sei aber die Förderung mit staatlichen Mitteln, ergänzte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner. Mit einem Praxiszukunftsgesetz sichere die Politik nicht nur die Investitionen in die technische Infrastruktur der 116117 ab, sondern solle auch die Praxen bei der Digitalisierung unterstützen. So habe es die Politik schließlich auch bei der Digitalisierung der Krankenhäuser gehandhabt. „Die hohen Investitionen in eine moderne Praxis-IT und in Cybersicherheit können die Praxen auf Dauer nicht ausschließlich aus eigenen Mitteln stemmen“, sagte Steiner.

Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die zentrale Bedeutung der ambulanten Versorgung mit ihren rund 100.000 ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen. Diese bildeten nicht nur das Rückgrat der ambulanten Versorgung. „Sie bewältigen 97 Prozent der Behandlungsfälle im deutschen Gesundheitswesen.“

Steiner: Regressrisiken gefährden Impfziele

Dringende Unterstützung für die Praxen mahnte Steiner auch in Sachen Regresse an. So dürften Regressrisiken nicht dazu führen, dass Impfziele gefährdet würden, wie etwa bei der anstehenden Grippeschutzimpfung im Herbst. Ärzte dürften auch nicht in Regress genommen werden, wenn sie beispielsweise aufgrund von Lieferengpässen Einzeldosen von Impfstoffen statt kostengünstigerer Bündelpackungen bestellen müssten.

Diese und andere Vorschläge habe die KBV in einem Konzept zur Reform der Wirtschaftlichkeitsprüfungen detailliert dargelegt und dem Bundesministerium für Gesundheit übermittelt. Ein Anliegen der KBV sei dabei auch, die Zahl der Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei ärztlichen und verordneten Leistungen zu reduzieren. Der Aufwand, den Ärzte, Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen damit hätten, stehe in keinem Verhältnis zu dem, was die Kassen am Ende einnehmen würden.

Steiner: „Wir fordern nach wie vor eine Bagatellgrenze in Höhe von 300 Euro je Arzt beziehungsweise Ärztin, Krankenkasse und Quartal für alle Arten von Verordnungen.“ Damit könnten im Arzneimittelbereich rund 70 Prozent der Wirtschaftlichkeitsprüfungen entfallen.

Rund ein Viertel der Praxen ohne ePA-Modul

Allenfalls mäßig zufrieden zeigte sich Steiner mit dem Verlauf der bisherigen Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA). Diese werde in der momentanen freiwilligen Nutzungsphase nicht so genutzt, wie es der Fall sein sollte. Der Grund: Rund einem Viertel der Praxen fehlt noch immer das hierfür benötigte Softwaremodul.

Während einige PVS-Hersteller das Modul im dritten Quartal nachliefern wollten, gäbe es von anderen Herstellern gar keine Rückmeldung. „Das ist inakzeptabel. Wir werden daher weiter darauf drängen, dass so schnell wie möglich alle Praxen in die Lage versetzt werden, die ePA in den Arbeitsalltag zu integrieren und Feedback an gematik und Hersteller zu geben, falls Verbesserungen notwendig sind.“

Die Rückmeldungen der Praxen, die die ePA bereits nutzten, fielen je nach verwendetem Praxisverwaltungssystem sehr unterschiedlich aus. Als überwiegend positiv habe sich bislang die Medikationsliste erwiesen. Allerdings gebe es nicht nur im Zusammenhang mit der ePA das Problem der mangelnden Betriebsstabilität der Telematikinfrastruktur (TI), weshalb die KBV die gematik aufgefordert habe, hier alle Prozesse in den Blick zu nehmen.

Wenn die ePA am 1. Oktober verpflichtend eingeführt werde, dann werde eine mindestens 99-prozentige Verfügbarkeit der TI notwendig sein. „Alles andere gefährdet das Vertrauen und die Akzeptanz in Anwendungen wie das eRezept und die ePA“, so Steiner.

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Ärztin mit Tablet in der Hand zum Darstellen des Themas Digitalisierung. Im Hintergrund stilisierte Häuschen, die mit Linien verbunden sind.

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