Bundeskabinett beschließt Apothekenreform – KBV-Vorstand: Folgen für die Patientenversorgung nicht absehbar
Mit dem geplanten Gesetz zur Weiterentwicklung der Apothekenversorgung übertrage die Politik Apothekern originär ärztliche Aufgaben, obwohl sie dafür nicht qualifiziert seien, kritisierte der KBV-Vorstand. Ärztliche Diagnostik, Indikationsstellung und Therapie seien keine Bausteine, die nach Belieben in andere Hände gelegt werden dürften.
Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente ohne ärztliche Verordnung
Der von der Bundesregierung beschlossene Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass Apotheken künftig bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente ohne Vorliegen einer ärztlichen Verordnung abgeben dürfen. Dies soll laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) unter bestimmten Bedingungen bei der Anschlussversorgung von chronischen Erkrankungen und bei bestimmten akuten, unkomplizierten Erkrankungen möglich sein. Die entsprechenden Erkrankungen, Arzneimittel und Vorgaben für die Abgabe sollen durch das BMG zusammen mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie der Arzneimittelkommissionen der Ärzte und der Apotheker erarbeitet werden. Arzneimittel mit hohem Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential und systemisch wirkende Antibiotika sollen von der Abgabe ausgeschlossen sein.
Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf vor, dass Apotheker künftig Beratungen und Messungen von Blutwerten und Blutdruck zur Prävention beispielsweise von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Adipositas anbieten dürfen. Auch Schnelltests gegen bestimmte Erreger wie Adeno-, Influenza-, Noro-, RS- und Rotavirus sollen möglich sein. Zudem sollen Apotheker zukünftig bei Erwachsenen Impfungen mit allen Impfstoffen, die keine Lebendimpfstoffe sind, durchführen können, zum Beispiel Tetanus und FSME. Bislang ist das Impfen in Apotheken auf Grippe und COVID-19 beschränkt.
Zusätzlicher Aufwand für Praxen durch anlasslose Testungen
„Dies bestätigt unsere Befürchtung, dass es hier zu einer Leistungsausweitung durch nicht evidenzbasiertes anlassloses Testen durch medizinische Laien kommen wird“, kritisierte der KBV-Vorstand. Es sei absehbar, dass die Ergebnisse solcher Testungen zu einem erhöhten Beratungsaufwand und zu Kontrolluntersuchungen in Arztpraxen führen werden.
Aus Sicht des KBV-Vorstands konterkariert das geplante Gesetz politische Ziele von weniger Schnittstellen und mehr Effizienz in der Versorgung. Auch wenn das BMG den Anspruch erhebe, Apotheken stärken und die ambulante Versorgung entlasten zu wollen, so drohe tatsächlich aber eine Aushöhlung ärztlicher Kompetenzen, eine Schwächung der Patientensicherheit und eine weitere Zersplitterung des Gesundheitswesens. „Apotheker sind auf ihrem Fachgebiet hochkompetent, aber sie sind keine Mediziner“, stellte der Vorstand nochmals klar.
Gemeinsamer Appell der Ärzteschaft
Im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses hatten die KBV und andere Ärzteverbände wiederholt vor den negativen Auswirkungen für die Patientenversorgung gewarnt. In einer gemeinsamen Pressemitteilung appellierten sie am Dienstag noch einmal an die Bundesregierung, die Pläne fallenzulassen.
Nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfes durch die Bundesregierung werden sich im neuen Jahr Bundesrat und Bundestag mit der Apothekenreform beschäftigen.
Das sollen Apotheken anbieten dürfen
Der Kabinettsentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Apothekenversorgung sieht unter anderem neue Befugnisse für Apotheken vor, die originär ärztliche Aufgaben sind.
Arzneimittelabgabe ohne neues Rezept
- Abgabe von bestimmten verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne Vorliegen einer ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibung – unter bestimmten Bedingungen bei der Anschlussversorgung von chronischen Erkrankungen und bei bestimmten akuten, unkomplizierten Erkrankungen.
- Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wird ermächtigt, in einer Rechtsverordnung die entsprechenden Erkrankungen, Arzneimittel und Vorgaben für die Abgabe festzulegen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie die Arzneimittelkommissionen der Ärzte und der Apotheker sollen bei der Erstellung eingebunden werden.
- Die Abgabemöglichkeit erstreckt sich laut BMG nicht auf Arzneimittel mit hohem Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential und nicht auf systemisch wirkende Antibiotika.
Weitere Schutzimpfungen
- Durchführung aller in der gesetzlichen Krankenversicherung anerkannten Schutzimpfungen mit Totimpfstoffen bei Erwachsenen (z.B. gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten)
Beratung zur Prävention von Krankheiten
- Beratung mit Messungen zu Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus
- Beratung zur Prävention tabakassoziierter Erkrankungen
- erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation
- pharmazeutisches Medikationsmanagement bei komplexer oder neu verordneter Dauermedikation
- pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten
- pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie
- erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Üben der Inhalationstechnik
- erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Autoinjektoren
- standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck
Testen in Apotheken und Pflegeeinrichtungen
- Schnelltests gegen bestimmte Erreger (z.B. Adeno-, Influenza-, Noro-, RS- und Rotavirus) in Apotheken und zugelassenen Pflegeeinrichtungen
Ausnahme vom Werbeverbot
- Werbung für die Durchführung von Testungen für den Nachweis von meldepflichtigen Krankheiten oder durch meldepflichtige Krankheitserreger verursachte Infektionen, um breitflächige und niederschwellige Testungen in Apotheken zu erleichtern
Austausch von Rabattarzneimitteln
- Abgabe eines in der Apotheke vorrätigen Arzneimittels bereits dann, wenn das Rabattarzneimittel nicht verfügbar ist