Gesetz zur Reform der Notfallversorgung
Darum geht es in dem Gesetz
Die Bundesregierung plant eine umfassende Neuordnung der Akut- und Notfallversorgung in Deutschland. Mit dem Gesetzentwurf verfolgt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) das Ziel, die Patientensteuerung zu verbessern, Ressourcen gezielter einzusetzen und die drei Versorgungsbereiche – vertragsärztlicher Notdienst, Notaufnahmen der Krankenhäuser und Rettungsdienste – besser zu vernetzen. Das Gesetz wurde in der 20. Legislaturperiode bereits in der ersten Lesung beraten. Durch den Bruch der damaligen Ampel-Koalition befasste sich der Bundestag nicht weiter damit. Der vorliegende Gesetzentwurf bringt die Reform der Notfallversorgung in aktualisierter Form erneut auf den Weg und greift auf wesentliche Punkte der Entwürfe aus den vergangenen beiden Legislaturperioden zurück.
Die Reform umfasst mehrere Kernpunkte: Flächendeckend sollen Integrierte Notfallzentren (INZ) entstehen, in denen Notaufnahmen und Notdienstpraxen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) unter einem Dach zusammenarbeiten. Eine einheitliche digitale Ersteinschätzung soll Patientinnen und Patienten in die passende Versorgungsebene steuern. Die Rufnummern 116117 (Patientenservice) und 112 (Notruf) sollen digital vernetzt werden, um Hilfesuchende gezielter weiterleiten zu können. Die KVen sollen rund um die Uhr eine telemedizinische Beratung sowie einen Hausbesuchsdienst vorhalten. Zudem sollen die gesetzlichen Krankenkassen neben dem Transport künftig auch die medizinische Notfallrettung bezahlen.
Beratungsfolge
- Referentenentwurf: 17.11.2025
- Verbändeanhörung: 10.12.2025
- Verabschiedung Kabinettsentwurf: Februar 2026
- 1. Durchgang Bundesrat: N.N.
- 1. Lesung Bundestag: N.N.
- Anhörung im Bundestag: N.N.
- 2./3. Lesung Bundestag: N.N.
- 2. Durchgang Bundesrat: N.N.
- Inkrafttreten: N.N.
Das sind die Positionen der KBV
Stellungnahme der KBV
Standpunkte auf einen Blick
- Parallelstrukturen durch weitere Versorgungsebenen und -angebote verhindern effiziente Patientensteuerung
- Weitere Integrierte Notfallzentren sorgen nicht für angestrebte Entlastung
- Patientenservice 116117 und Notrufnummer 112 sollen besser vernetzt werden
- Notdienstliche Strukturen brauchen eine auskömmliche Finanzierung
- Sozialversicherungsfreiheit für Ärzte im KV-Notdienst erfordert eine gesetzliche Regelung
Dr. Stephan Hofmeister zum Referentenentwurf
Keine Parallelstrukturen schaffen
Mit dem Gesetzentwurf soll der Sicherstellungsauftrag der KVen um verschiedene Angebote ausgedehnt werden. Dazu zählen ein 24/7 aufsuchender Fahrdienst sowie ein 24/7 telefonisch und 24/7 videounterstütztes Versorgungsangebot. Die KBV lehnt das ab, da keine Kapazitäten für den Aufbau einer Doppelstruktur vorhanden sind. Die Ressourcen der Niedergelassenen sind begrenzt und die Arztzeit zu knapp. Für die Versorgung ist ein aufsuchender Dienst flächendeckend weder notwendig noch wirtschaftlich oder personell umsetzbar.
Da die Erfordernisse von Region zu Region unterschiedlich sind, sind entsprechende bundesweite Vorgaben für eine solche ausnahmslose Ausweitung des Sicherstellungsauftrags nicht bedarfsgerecht. Die KBV lehnt es zudem ab, dass solche Parallelstrukturen zur Regelversorgung teilweise mit Fördermitteln aus den Verwaltungskosten der Vertragsärzte finanziert werden sollen.
Keine Entlastung durch weitere INZ
Die Zahl der Patientinnen und Patienten in den Notaufnahmen der Krankenhäuser, im Rettungsdienst und im ärztlichen Not- beziehungsweise Bereitschaftsdienst nimmt stetig zu. Mit der geplanten Ausrichtung der INZ soll unter anderem für Entlastung gesorgt werden. Das sieht die KBV kritisch und befürchtet vielmehr das Gegenteil. Der Gesetzentwurf öffnet Krankenhäusern mit INZ-Standort rund um die Uhr für die notdienstliche Akutversorgung – auch während der regulären Sprechzeiten der vertragsärztlichen Praxen. INZ-Notaufnahmen können demnach vollständig an der ambulanten Versorgung teilnehmen, einschließlich Arzneimittelverordnung und Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
Das schafft ein eigenes 24/7-Parallelsystem losgelöst von der Regelversorgung und widerspricht dem Vorrang der vertragsärztlichen Versorgung. Statt Notaufnahmen zu entlasten, ist ein erhöhter Zustrom von Patienten zu befürchten. Alle Hilfesuchenden mit einem von ihnen selbst als dinglich erachteten Anliegen erhalten eine ärztliche Leistung im INZ – unabhängig vom tatsächlichen Ergebnis der Ersteinschätzung. Die KBV vermisst eine Verpflichtung für INZ-Krankenhäuser, das Terminbuchungssystem der KVen für die Anschlussversorgung zu nutzen. Zudem kritisiert die KBV, dass die Patientensteuerung ausschließlich durch das Krankenhauspersonal erfolgen soll. Das widerspricht dem Sachverständigenrat, der 2018 empfohlen hatte, die Steuerung ambulanter Patienten durch vertragsärztliches Personal vorzunehmen, um die im internationalen Vergleich ungewöhnlich hohen stationären Aufnahmeraten zu senken. Aus dem gemeinsamen Tresen wird ein „einsamer“ Tresen unter Krankenhausleitung. Empfehlenswert ist eine verbindliche Steuerungsregelung im Sinne einer „Hotline-first-Strategie“.
Vernetzung von 116117 und 112
Die Vernetzung von Akutleitstellen (116117) und Rettungsleitstellen (112) ist aus Sicht der KBV überfällig. Bislang gibt es nur wenige gelungene Kooperationsbeispiele, die nur einen Bruchteil der rund 240 Rettungsleitstellen in Deutschland betreffen. Kritisch sieht die KBV jedoch die konkrete Ausgestaltung: Die Initiative zur Zusammenarbeit liegt einseitig bei den Rettungsleitstellen. Die regionalen KVen werden verpflichtet, auf Antrag eine Kooperationsvereinbarung abzuschließen Das führt nicht zu einer flächendeckenden Kooperation aller 17 Akut- und 243 Rettungsleitstellen. Problematisch ist die Finanzierung: Während die Rettungsleitstellen Gelder aus dem Sondervermögen des Bundes erhalten, sollen die erheblichen Aufwände der KVen zur Hälfte aus Verwaltungskosten der Vertragsärzte finanziert werden.
Die organisatorische Trennung der Rufnummern 116117 und 112 bei gelichzeitig digitaler Verknüpfung und engem Austausch begrüßt die KBV. Ebenso begrüßt sie grundsätzlich die Auftrennung der 116117 in eine Akutleitstelle und eine Terminservicestelle als sinnvolle Weiterentwicklung. Die Herausforderungen sind hierbei nicht nur technischer Natur, sondern liegen – auch angesichts des Aufgabenzuwachses – auch in der Personalgewinnung und sind mit erheblichen Mehrkosten verbunden. Für die Umsetzung ist ein längerer Übergangszeitraum erforderlich. Die 116117 kann nach Vorstellung der KBV in einem solchen Konzept die Rolle der flächendeckenden Erreichbarkeit für die ambulante Versorgung spielen, gleichzeitig auch die Ersteinschätzung vornehmen und auch den Terminservice mit abdecken. Das ist realisierbar – wobei digital vor Telefon, vor Arztkontakt geht.
Weitere Informationen
Gesicherte Finanzierung
Grundsätzlich begrüßt die KBV die Erweiterung der Finanzierungsgrundlage für die Notfallreform. Allerdings lehnt sie es ab, dass die Vertragsärzte aus ihren Verwaltungskosten Investitions- und Betriebskosten für ein erweitertes Versicherungsangebot aufbringen müssen. Während etwa die mit der Notfallreform geplante Infrastruktur bei Rettungsdiensten und Krankenhäusern im Wesentlichen aus Mitteln des Sondervermögens für Infrastruktur und Klimaneutralität gedeckt werden soll, sollen die Mittel für die neuen KV-Akutleitstellen, Organisation von Notdienstpraxen sowie für die Kooperation mit Rettungsdiensten und Krankenhäusern jeweils zur Hälfte von KVen und Krankenkassen finanziert werden.
Die Akutleitstellen der KVen sollen künftig auch kommunale Angebote der Daseinsvorsorge vermitteln – etwa Krisendienste oder die Unterbringung von Obdachlosen. Die KBV hält eine Finanzierung solcher gesamtgesellschaftlicher Aufgaben aus GKV-Beiträgen und insbesondere aus Verwaltungskosten für KV-Mitglieder für unangemessen. Auch hier wäre eine Finanzierung der Akutleitstellen aus dem Sondervermögen folgerichtig. Zudem kritisiert die KBV die asymmetrische Regelung beim Grundbetrag für Notfall und Notdienst: Fehlende Mittel sollen aus den Haus- und Facharztvergütungen entnommen werden, überschüssige Mittel zur Entlastung der Krankenkassen – statt umgekehrt.
Sicherheit für ärztlichen Bereitschaftsdienst
Die KBV fordert, das Sozialversicherungsrecht für Ärzte im Bereitschaftsdienst anzupassen. Da es sich um eine wichtige Dienstleistung für die Allgemeinheit handelt, sollen ärztliche Dienste im Bereitschaftsdienst von der Sozialversicherungspflicht ausgenommen werden – analog zur gesetzlichen Regelung bei Rettungsärztinnen und -ärzten. Außerdem fordert die KBV eine hinlängliche Finanzierung für den ärztlichen Bereitschaftsdienst – insbesondere Infrastrukturkosten wie Personal, Räumlichkeiten und die 116117-Leitstelle müssen durch regionale Vereinbarungen refinanziert werden.